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Universität Bremen
Asylbewerber als Gasthörer

Youssef Fakie stammt aus Syrien - dort hat er BWL studiert. Seit Januar lebt er in Deutschland und wartet auf seinen Asylbescheid. Dank des IN-Touch-Programms der Universität Bremen kann der Asylbewerber auch hier Seminare und Vorlesungen besuchen.

Von Franziska Rattei |
    Studenten sitzen am Campus Koblenz der Universität Koblenz-Landau im großen Hörsaal.
    Noch macht die Uni Bremen wenig Werbung für ihr ungewöhnliches Angebot (dpa / picture alliance / Thomas Frey)
    "Hallo, schönen guten Tag, einen Moment eben bitte."
    Der Alltag von Moussa Dieng ist stressig. Im Übergangswohnheim in Bremen-Hastedt leben rund 260 Flüchtlinge, und das Personal ist knapp. Sobald ein Zimmer frei ist, stehen neue Asylbewerber vor der Tür; zunehmend Akademiker, sagt der Wohnheimsleiter.
    "Eine Familie hat mir das mal sehr plausibel erklärt und hat mir gesagt: Sie sind mit fünf Personen - die Flucht hierher hat für die 20.000 Dollar gekostet. Und da zeigt sich einfach: Nur noch die Elite kommt mittlerweile raus, ne? Alle, die sich das nicht mehr leisten können, die sitzen in Syrien fest, ne? Bei vielen unterschiedlichen Nationalitäten, dass wirklich nur die Elite rauskommt, und die auch wirklich hohe Bildungsabschlüsse haben."
    Viele Flüchtlinge haben akademische Abschlüsse
    Eine Umfrage unter den Bewohnern hat ergeben: 85 Prozent der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und dem Iran haben in ihrem Heimatland studiert; zum Teil haben sie akademische Abschlüsse, zum Teil mussten sie die Uni schon vorher verlassen, um zu flüchten.
    "Und dann haben wir gedacht, wir treten einfach mal an das International Office der Universität Bremen ran und fragen, ob nicht zumindest diese Partizipation am Unileben möglich wäre."
    Das war im Frühjahr, und die Universität reagierte schnell und unkompliziert. Innerhalb weniger Wochen wurde improvisiert und zusätzlich gearbeitet – ein Budget für das Projekt "IN-Touch" gab und gibt es nämlich nicht. Seit April besuchen rund 30 Flüchtlinge Vorlesungen und Seminare der Universität Bremen.
    "IN-Touch" mit der Wissenschaft
    Einer von ihnen ist Youssef Fakie. Der 35-Jährige stammt aus dem syrischen Aleppo und hat dort mit einem BWL-Studium begonnen. Seit Januar lebt er in Deutschland. Er hat schnell gemerkt, dass er seine Zeit nutzen will anstatt einfach nur zu warten bis über sein Asylgesuch entschieden wird. Zweimal die Woche besucht er wirtschaftswissenschaftliche Veranstaltungen der Uni Bremen. Bis zum Beginn der Vorlesung bleiben noch ein paar Minuten für einen Kaffee.
    "Ich hab Interesse, an der Uni zu studieren. Und dann, das war für mich eine Möglichkeit. Ich weiß, wie die Uni funktioniert jetzt, und wie lernt man in der Uni, und wie kann man an der Uni studieren – nicht nur theoretisch, auch praktisch."
    An seiner syrischen Uni gab es beispielsweise kein elektronisches Studenten-Netzwerk, die Kommunikation zwischen Dozenten und Studierenden lief vor allem über Gespräche ab. In Aleppo verschickten die Lehrkräfte auch keine Powerpoint-Präsentationen ihrer Vorlesungen, sagt Fakie. Die Studierenden mussten alles selbst mitschreiben.
    "Ja, solche Sachen. Es ist komplizierte Sache, ja. Aber durch das "IN-Touch"-Programm habe ich alle diese Informationen gelernt. Das war eine Möglichkeit."
    Keine Anrechnung von erbrachten Studienleistungen
    Youssef Fakie nutzt die Bibliothek der Uni mehrmals die Woche. Er hat sich informiert, welche Unterlagen er braucht, um ein Regelstudium anzufangen, was BAföG bedeutet. Aber auch als Gaststudent fühlt er sich schon fast wie ein normaler Student, sagt er; bis auf ein paar Details: Sein Engagement kann er sich nicht als Studienleistung anrechnen lassen, er erhält allenfalls ein Zertifikat für die regelmäßige Teilnahme. Außerdem bekommt er keine Mensakarte vom Studentenwerk, und das Kontakte knüpfen läuft auch eher schleppend. Vielleicht, weil Fakies Studienkollegen gar nichts von dem Programm "IN-Touch" wissen. Michael Ankele sitzt mit Fakie in einer Vorlesung. Er studiert Komplexes Entscheiden an der Uni Bremen.
    "Ich war jetzt überrascht zu hören, dass unser Kommilitone Asylbewerber ist. Also das war jetzt auch niemand von uns aufgefallen. Er war nicht irgendwie ein Fremdkörper bei uns. Ich find das eigentlich ganz spannend, das jetzt zu hören."
    Die Uni Bremen kommuniziert wenig über ihr außergewöhnliches Programm. Im International Office, wo die Fäden für "IN-Touch" zusammenlaufen, wollte man erstmal abwarten, wie es läuft. Ende Juli wird das erste Semester ausgewertet, dann könne man intensiver dafür werben. Grundsätzlich wolle man aber weitermachen. Gesellschaftliche Verantwortung ende schließlich nicht nach einem Semester.