An der Pädagogischen Universität von Blagoweschtschensk scheint ein wenig die Zeit stehengeblieben zu sein. Die Farbe bröckelt von der Fassade, das Linoleum auf den Fluren hat Risse. Olga Zalesskaja hat hier bereits in den 1990er-Jahren Sinologie studiert.
"Das war der Rat meiner Eltern. Beide waren Prorektoren an dieser Universität, und meine Mutter war diejenige, die als erstes in unsere chinesische Nachbarstadt Heihe hinübergefahren ist, um Verbindungen mit der dortigen Universität zu knüpfen. Das war 1989, und sie hat schon damals erkannt, dass sich China wirtschaftlich schnell entwickeln und Chinesisch bald populär sein wird."
Heihe liegt auf dem anderen Ufer des Amur. Zwischen beiden Städten verkehrt heute eine Fähre. Olga Zalesskaja blieb an der Universität von Blagoweschtschensk, wurde Leiterin des Lehrstuhls für Sinologie. Mittlerweile ist sie Dekanin der Internationalen Fakultät. Sie spricht von einem Chinesisch-Boom. In den letzten zehn Jahren habe der Lehrstuhl rund 500 Absolventen hervorgebracht. Etwa ein Viertel habe Arbeit im russischen Staatsdienst gefunden, andere seien für Unternehmen nach China gegangen. Die meisten aber gingen in die Lehre.
"Sie unterrichten an Schulen, Universitäten und Privatschulen. Im europäischen Teil Russlands sind unsere Absolventen sehr gefragt, denn da wir an der Grenze zu China leben, vermitteln wir eine sehr gute Umgangs- und Alltagssprache – und kein Akademikerkauderwelsch, das die Chinesen dann gar nicht verstehen. In Moskau ist das nämlich ein Problem."
Mit gleichaltrigen Chinesen in Kontakt treten
Im europäischen Teil Russlands, tausende Kilometer entfernt, hätten die Studierenden außerdem ein völlig verqueres, stark idealisiertes Bild von China, meint Zalesskaja.
"Sie denken, China sei die Zivilisation von Konfuzius im allerbesten Sinne des Wortes, die Chinesen seien alle Intellektuelle und läsen Gedichte aus der Tang-Dynastie, schwebten in ihren Tee-Zeremonien und lebten alle nach Feng Shui."
In Moskau glauben sie es gar nicht, wenn wir ihnen sagen: Die Chinesen sind ziemlich pragmatisch und geerdet. Die wollen Geld verdienen. Und wenn sie euch zum Tee einladen, dann wollen sie wahrscheinlich was von euch.
In Blagoweschtschensk können die russischen Studierenden direkt mit chinesischen Gleichaltrigen in Kontakt treten.
Denn an der Pädagogischen Universtität studieren auch viele Chinesen Russisch. Wenngleich in China Englisch die Fremdsprache Nummer eins bleibe, sei auch dort das Interesse am Nachbarland und damit an der Sprache seit zwei Jahren enorm gewachsen, sagt Zalesskaja. Sie berichtet allerdings von Schwierigkeiten, russische und chinesische Studierende miteinander ins Gespräch zu bringen.
"Wenn ein russischer Student einen chinesischen Freund finden will, der ihm beim Lernen der Sprache hilft, dann findet er einen. Diejenigen, die so ein Ziel nicht haben, bemühen sich auch nicht besonders, Chinesen kennenzulernen. Da macht sich der Kulturunterschied bemerkbar. Wir sind eben doch näher an Europa. Wenn Kommilitonen aus Europa hier sind, kommen unsere Studenten viel schneller in Kontakt."
Erst kürzlich war Präsident Putin zu einem Staatsbesuch in Peking. Russland erhofft sich einen neuen Absatzmarkt für russisches Gas und chinesische Investitionen und Kredite. Die Dekanin Zalesskaja sagt, an ihrer Universität bekomme sie von der Wende nach China nichts mit.
"Es gibt in Russland keine zweite Universität, die so dicht an China liegt. Man könnte die Pädagogische Universität Blagoweschtschensk zu einer Marke machen, ihr mehr Geld geben, eine Werbekampagne für sie in China starten. Aber es passiert nichts dergleichen. Und ich sehe auch nicht, dass es demnächst geschieht."