Fast 50.000 Euro kostet ein Medizinstudium an der Universität Witten-Herdecke, wenn man es in der Regelstudienzeit von zehn Semestern abschließt. Denn obwohl die Hochschule öffentliche Fördermittel bekommt, finanziert sie sich als Privatuniversität auch durch Studiengebühren. 50.000 Euro - das sind knapp 5.000 Euro pro Semester - nicht gerade wenig, wenn man bedenkt, dass man als Studierender kein geregeltes Einkommen hat. Studentinnen wie Levka Dahm sind deshalb froh, dass in Witten die Studierendengesellschaft bei der Finanzierung des Studiums hilft.
"Man kann sich aussuchen, welches Studium man machen möchte. Das alleine ist schon mal Luxus, dass man das völlig frei entscheiden kann - unabhängig von Eltern, von irgendwelchen Leuten, die das finanzieren könnten. Das bedeutet ja auch, dass man so lange studieren kann, wie man möchte, ohne dass es jetzt teurer wird oder man sich überlegen muss: Okay, die nächsten drei Semester das kann ich mir nicht mehr leisten. Ich muss mich beeilen. Man kann ein Jahr ins Ausland gehen. Das habe ich im Studium sehr schätzen gelernt und auch meine Kommilitonen schätzen das total."
Die Hälfte aller Studierenden an der Universität Witten-Herdecke lassen sich über die Studierendengesellschaft ihr Studium finanzieren. Der Deal: Die Studierenden müssen während ihres Studiums keine Gebühren bezahlen. Erst später nach dem Abschluss, wenn sie mehr als 21.000 Euro netto pro Jahr verdienen, verlangt die Studierendengesellschaft zehn Jahre lang 14 Prozent des Einkommens zurück. Ob und wann Rückzahlungen erfolgen ist also von Beginn an offen. Das Risiko trage alleine die Studierendengesellschaft, sagt ihr Vorsitzender Richard Knudsen. Ein gelebtes Solidarmodell, das künftig bundesweit auch auf andere private Hochschulen ausgedehnt werden soll.
"Entsprechend ist es so, dass die, die stärker aus dem Modell herausgehen, - unser Paradebeispiel sind immer diejenigen, die später mal als Chefärzte in einer Klinik tätig sind - diejenigen tragen, die sich anderen Projekten, die finanziell nicht so lukrativ sind: beispielsweise als Arzt ohne Grenzen in Afrika. Daher ist es gar kein Problem, wenn auch Einzelne im entsprechenden Zeitraum gar nicht über die entsprechende Einkommensgrenze kommen und rückzahlungspflichtig werden, weil sie eben von den Stärkeren getragen werden."
Es dürfen eben nur nicht zu viele Ärzte für Hilfsprojekte arbeiten. Dann würde das Solidarmodell zusammenbrechen. Doch den umgekehrten Generationenvertrag gibt es jetzt schon seit mehr als 20 Jahren und ist von den Studierenden selbst immer weiterentwickelt worden. Dadurch, dass Spitzenverdiener ein vielfaches dessen Zurückzahlen, was ihr Studium gekostet hat, sei das Modell bisher erfolgreich, heißt es. So erfolgreich, dass die Bochumer GLS-Bank in der jetzt neugegründeten Genossenschaft als Partner mit an Bord ist. Lukas Beckmann vom Vorstand der GLS-Treuhand ist sich sicher, dass es verschiedene Stiftungen gibt, die Interesse an der Finanzierung der neuen Genossenschaft hätten. Das Stichwort lautet: "Impact Investing".
"Wenn man in der Vergangenheit Kapital angelegt hat am Markt. Dann hatten ja viele einen Ausblick auf eine hohe Rendite. Das hat zum Teil dazu geführt, dass zum Beispiel Umweltorganisationen bei Banken Geld angelegt haben, nur um eine hohe Rendite zu bekommen, um dann mit der Rendite den Kampf gegen die Atomkraft zu führen. Impact Investing meint, dass die Kapitalanlage selbst dem Satzungszweck - der einer Stiftung zum Beispiel - entsprechen sollte."
Dafür würden Stiftungen auch kleinere Renditen in Kauf nehmen. Die jetzt in Witten neu gegründete Genossenschaft mit dem Namen "Chancen" braucht ein Kapital von mindestens 12 Millionen Euro, um 700 Studierenden bis 2020 ihr Studium zu ermöglichen. Schon im Sommersemester sollen die ersten Studierenden gefördert werden, erzählt der frischgebackene Vorsitzende der Chancen eG, Florian Kollewijn.
"Für das Sommersemester 2016 wollen wir zwischen 30 und 40 Studenten mit dem umgekehrten Generationenvertrag an verschiedenen Hochschulen und das dann peu a peu aufbauen. Das heißt, dann im Wintersemester 2016/17 bereits mehr."
Neben der Zusammenarbeit mit der Uni in Witten-Herdecke soll es zum Start eine Kooperation mit der Medizinischen Hochschule in Brandenburg, der praxisHochschule in Köln sowie der Games Academy und der Hertie School of Governance in Berlin geben. Die Zukunftsvision der Gründer: Wenn das Projekt gut läuft, sollen in zehn Jahren auch Hochschulen aus anderen EU-Ländern dazu kommen.