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Universitäten unter religiöser Kontrolle

In Tunesien droht aus dem demokratischen Frühling ein islamistischer Winter zu werden. Vor allem die Hochschulen sind Ziel der Islamisten. So versuchen etwa Salafisten, das Tragen des Niqab für Frauen auch an Universitäten durchzusetzen.

Von Thomas Migge |
    Sie halten Transparente hoch und rufen ihre Forderungen lautstark in die Menge. Ihre Gesichter sieht man nicht. Nur ihre Augen. Bei einigen Frauen sieht man noch nicht einmal sie. Sie tragen einen Niqab, einen traditionellen schwarzen Gesichtsschleier, der in Verbindung mit einem schwarzen Gewand getragen wird, das den gesamten Körper bedeckt. Auf einem der Poster, das sie tragen, steht der Satz: "Gott erkennt die ehrbaren Frauen".

    Diese junge Demonstrantin trägt hingegen eine modische Sonnenbrille und ihre Fingernägel sind knallrot lackiert. Ihr volles schwarzes Haar fällt auf die Schultern. Sie trägt ein Poster auf dem nur das Wort geschrieben steht: "Laizismus!".

    Westlich aussehende Studierende stehen traditionell islamisch gekleideten Kommilitoninnen gegenüber. Man schreit sich an, man protestiert und immer öfter kommt es auch zu Handgreiflichkeiten. Szenen wie diese gehören inzwischen zum Alltag an der angesehenen Universität von Manouba, im nordöstlichen Tunesien. Eine der größten Hochschulen des Landes. Von den circa 26 Tausend Studierenden sind 60 Prozent Frauen. In 14 Fakultäten unterrichten 1500 Hochschullehrer. Von ihnen sind 61 Prozent Frauen. Und so verwundert es auch nicht, dass bei den Demonstrationen dieser Tage überdurchschnittlich häufig weibliche Studierende präsent sind.

    Jenna Marzouki studiert im dritten akademischen Jahr Literaturwissenschaftlichen und Französisch. Sie demonstriert jeden Tag gegen den Versuch, meint sie, das Land zu einem Talibanstaat nach afghanischem Vorbild zu machen:

    "Die Bewegung für das Tragen des Niqab versucht hier eine Art Putsch. Sie wollen uns ihre Glaubensvorstellungen aufzwingen. Unsere Uni ist das Hauptziel ihres Vorgehens, denn sie hassen die freie Meinungsäußerung. Der Niqab ist nur der erste Schritt in Richtung islamischen Gottesstaates. Mit Hilfe einer neuen Verfassung wollen sie uns ihre Macht aufzwingen."

    So versuchen vor allem Salafisten, jene islamistischen Gruppierungen, die den Koran besonders streng auslegen, in der neuen Verfassung das Tragen des Niqab für Frauen in der Öffentlichkeit durchzusetzen, also auch an Hochschulen. Salafistische Studentengruppen an der Uni in Manouba fordern auch, dass Frauen in nicht allen Fakultäten studieren dürfen und sich ganz generell "züchtiger" geben sollten. Die Wissensvermittlung, so einer der Wortführer dieser Studentengruppen - denen nicht etwa nur männliche Studierende angehören - müsse sich am Koran ausrichten und nicht westlichen Bildungsidealen anbiedern, die in der tunesischen Kultur, so erklären sie, nichts zu suchen hätten.

    Habib Kazdagli ist Rektor der Hochschule von Manouba. Er ist entsetzt über die jüngsten Entwicklungen:

    "Die Religiösen blockieren den Lehrbetrieb. Sie fordern doch allen Ernstes, dass diejenigen, die wie im Westen leben wollen, nach Frankreich oder sonst wohin auswandern sollen. Sie stellen das bisher in Tunesien geltende Prinzip des laizistischen Staates in Frage. Hier ist der geistig offene Lehrbetrieb in Gefahr. Das gesamte Lehrperson klagt diese Situation an."

    An den 193 Hochschulinstitutionen Tunesiens gibt es nur rund 300 Niqab-Trägerinnen. Tendenz steigend. Rektor Kazdagli versuchte zunächst das Tragen des islamischen Gesichtsschleiers zu verbieten. Das führte zu einer scharfen Rüge durch den Unterrichtsminister in Tunis. Dazu muss man wissen, dass die tunesische Regierung von der islamistischen Ennadda-Partei dominiert wird. Mehr oder weniger direkt unterstützt durch diese Partei fordern salafistische Studentengruppen nun die vollständige Islamisierung der Hochschulen. Das Tragen des Niqab, befürchten laizistisch eingestellte Studierende, sei nur das trojanische Pferd dieser Islamisten, um langsam aber sicher die Hochschulen unter ihre Kontrolle zu bringen.