Der Pfiff kommt regelmäßig, alle fünf Minuten. Fast gleichzeitig gehen dann überall im Lehrgebäude der Uniklinik Hamburg-Eppendorf Türen auf und zu. Junge Menschen strömen heraus, manche sind erst 16 Jahre alt. Alle wollen einmal Ärzte werden. Weiße Pfeile auf den Flurböden zeigen ihnen die Richtung, in die sie nun weitergehen müssen. Klinik-Professor Wolfgang Hampe sieht zu:
"Jetzt geht gleich der nächste Pfiff los, genau. Jetzt treten sie wieder ein in die nächsten Türen. Jetzt müssen die fünf Minuten arbeiten in ihren Räumen. Und dann geht´s zur nächsten Station, kommt der nächste Pfiff."
Was ein bisschen nach Kasernenhof klingt, hat mit Drill jedoch überhaupt nichts zu tun, im Gegenteil: Wolfgang Hampe und seine Kollegen wollen wissen, wie die Kandidaten mit anderen Menschen umgehen, ob sie erklären können, ob sie genug Geduld haben, ob sie zuhören können. Kurzum:
"Was wir hier sehen möchten, ist psychosoziale Kompetenz!"
Einen "Sozial-Parcour" durchlaufen
200 Bewerber müssen dafür an diesem Tag eine Art Parcours durchlaufen: In sieben verschiedenen Räumen werden ihnen Aufgaben gestellt, in denen sie ihre sozialen Fähigkeiten unter Beweis stellen können. Dafür hat die Uni-Klinik extra Schauspieler engagiert, die z.B. Demenzpatienten darstellen. Und denen sollen die Kandidaten nun mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen erklären, wie etwa eine Uhr funktioniert:
"Da unterscheiden sich die Bewerber doch sehr deutlich. Also manche können gut da auf die Person eingehen, auf diese leicht demente Person, fragen immer wieder nach: Haben Sie das verstanden? Können Sie mir nochmal sagen, wie das ist? Und Ähnliches. Andere Bewerber schaffen´s kaum, die analoge Uhr überhaupt richtig zu erklären."
Da hilft auch das beste Abitur nichts. Am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf hat zum Wintersemester ein Schnitt von 1,8 gereicht, um sich bewerben zu können. Früher war sogar schon mal eine zwei vor dem Komma okay. Alle Kandidaten müssen zunächst einen Bio-, Physik- und Chemie-Test absolvieren. Die 100 Besten bekommen sofort einen Studienplatz.
Von den nachfolgenden 200 Bewerbern kann die Hälfte dann ebenfalls noch zugelassen werden - wenn sie erfolgreich den "Sozial-Parcour" absolvieren: "Das kostet uns pro Bewerber effektiv mehrere hundert Euro. Und das ist halt auch das Argument von vielen Fakultäten, die sagen: "Sie nehmen nur die Abitur-Note. Die da kommen sind uns gut genug. Und wir wollen da keine Kosten in sowas reinstecken. Wir stecken das Geld lieber in andere Dinge."
Vergabe nach Wartesemestern
Weil ihr Notenschnitt nicht reicht, sammeln manche Bewerber Wartesemester. Im Schnitt dauert es dann acht Jahre, bis sie mit ihrem Studium beginnen können - um dann oft schon nach wenigen Semestern zu scheitern. Viele Experten halten die Vergabe nach Wartesemestern deshalb ebenfalls für eine Katastrophe. Wie eine Reform aussehen könnte? So zum Beispiel, sagt Wolfgang Hampe, der auch die Verfassungsrichter in Karlsruhe berät: 40 von 100 Vergabe-Punkten gibt´s für die Abitur-Note, nochmal 40 Punkte für einen naturwissenschaftlichen oder medizinischen Test:
"Dann hätten wir sowas wie 80 Punkte. Und dann soll´s aber nochmal 20 Punkte für andere Kriterien geben. Zehn zum Beispiel für eine Berufsausbildung, die maximal ein Jahr dauern sollte, ein freiwilliges soziales Jahr, irgendetwas im medizinischen Bereich. Und die letzten zehn Punkte sollen vergeben werden über einen Test, bei dem auch versucht wird, psycho-soziale Kompetenzen abzuprüfen."
Im Uniklinikum ist die letzte Test-Runde gerade vorüber. Erleichterung bei den Bewerbern, die hoffen, die letzte Hürde für die Zulassung zum Medizin-Studium endlich genommen zu haben. Und von denen Viele dankbar dafür sind, dass sie auf diesem Weg zeigen konnten, dass sie einmal sehr gute Ärzte werden können:
"Weil ich es sonst eher nicht geschafft hätte. Wegen 1,8."
"Weil man menschlich vielleicht überzeugen kann und das als Arzt ja sicherlich für Patienten auch dann sehr wichtig ist, dass man einen kompetenten, netten Arzt hat!"