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Unmut in Rumänien
Kein Ende der Massenproteste absehbar

Der Rückzieher der Regierung in Bukarest hat die Massen nicht zum Schweigen gebracht. Im Gegenteil: Rumänien erlebt die größte Protestwelle seit dem Ende des Kommunismus.

Von Dimi Breuch |
    Das Bild zeigt Hunderttausende Menschen, die am Abend des 05.02.2017 vor dem Parlamentspalast in der rumänischen Hauptstadt Bukarest gegen die sozialliberale Regierung demonstrieren. Es ist bereits dunkel, aber die von obenen gesehenen Massen sind angeleuchtet.
    Hunderttausende demonstrieren am Abend des 05.02.2017 vor dem Parlamentspalast in der rumänischen Hauptstadt Bukarest gegen die sozialliberale Regierung. (dpa-bildfunk / AP / Darko Bandic)
    Fast eine halbe Million Menschen gingen bei landesweiten Protesten am Sonntagabend auf die Straße. Die Regierungsgegner zur Aufgabe brachte auch die Tatsache nicht, dass Ministerpräsident Sorin Grindeanu eine umstrittene Eilverordnung zurückgenommen hatte, die den Kampf gegen Korruption einschränken sollte. Das Dekret sah vor, dass Amtsmissbrauch nur noch dann strafrechtlich verfolgt wird, wenn die Schadenssumme mindestens 200.000 Lei (rund 44 000 Euro) beträgt - eine für rumänische Verhältnisse bereits recht große Summe. Kritiker werfen der Regierung vor, sie habe damit Vorsitzenden der Sozialdemokraten (PSD) schützen wollen. Liviu Dragnea muss sich vor Gericht wegen Anstiftung zum Amtsmissbrauch verantworten. Hier geht es um einen Schaden von 100.000 Lei.
    Nach bereits tagelangen Demonstrationen wurde die umstrittene Verordnung schließlich in einer Dringlichkeitssitzung des Kabinetts aufgehoben und umgehend im Gesetzblatt veröffentlicht. Besänftigt jedoch wurden die Massen damit nicht. Die Demonstrantin Profira Popo auf dem Siegesplatz in Bukarest sagte: "Wir wollen, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind und es keine Privilegien für die Leute im Parlament gibt. Diese Regierung ist von oben bis unten organisiert wie eine Mafia, und wir wollen so etwas nicht." Andere Teilnehmer meinten, das Gesetz habe frühere Politiker aus der kommunistischen Ära schützen sollen, die dem Staat schon über Jahre Geld gestohlen hätten.
    "Trete nicht zurück"
    Denn Ministerpräsident Sorin Grindeanu gibt sich derweil noch unbeeindruckt. Er werde sein Amt nicht zur Verfügung stellen: "Nur das Parlament kann mich entmachten", bekräftigte im Sender Antena3. Dort aber haben seine nach der Wende aus den Kommunisten hervorgegangenen Sozialdemokraten gemeinsam mit ihrem liberalen Juniorpartner eine bislang unangefochtene Mehrheit. Für die nächsten Tage wurden in den sozialen Netzwerken weitere Proteste angekündigt, etwa unter dem Hashtag #romaniaprotest. Auch im Ausland lebende Rumänen bekunden ihre Solidarität, wie etwa hier auf Twitter mit einem Wortspiel um den im Zentrum der Korruptionsaffäre stehenden PSD-Chef Liviu Dragnea:
    Dragnea selbst will inzwischen gar eine Verschwörung der Opposition ausgemacht haben: "Wenn die Demonstrationen trotz der Rücknahme des Dekrets weitergehen, dann wird klar, dass es sich um einen nach den Parlamentswahlen im Dezember geschmiedeten Plan handelt, um die Regierung zu stürzen." Bis auf Weiteres bleibt offen, wie die innenpolitische Krise beendet werden könnte. Denn Ministerpräsident Sorin Grindeanu bat seinen Justizminister darum, einen neuen Entwurf zu dem Gesetz vorzubereiten. Dieser wäre damit also nicht vom Tische, sondern wüde im Parlament zur Debatte eingebracht.
    Lichtermeer, Flehen und Beten
    Allein in der Hauptstadt Bukarest gingen diesmal etwa 250.000 Menschen auf die Straße. Mit Taschenlampen und leuchtenden Mobiltelefonen bildeten sie ein weithin zu sehendes Lichtermeer. Die Metrostation am Platz des Regierungssitzes wurde geschlossen, um Gedränge in den Unterführungen zu vermeiden. Viele junge Leute waren aus der Provinz zum Protest in die Hauptstadt gereist. Sie nutzten einen neuen Regierungsbeschluss, demzufolge Studenten kostenlos Eisenbahn fahren dürfen. In mindestens 20 weiteren Städten gab es Kundgebungen mit jeweils Tausenden bis Zehntausenden Demonstranten. Neben dem Singen der Nationalhymne waren auch eher ungewöhnliche Formen des Protestes zu beobachten. Im westrumänischen Timisoara (Temeswar) und im nordostrumänischen Iasi beteten die Demonstranten das Vaterunser im Chor. In Ploiesti, 60 Kilometer nördlich von Bukarest, knieten rund 3.000 Demonstranten vor dem Sitz der regierenden Sozialdemokraten nieder, um den Rücktritt der Regierung geradezu zu erflehen.
    Kleinere Gegendemonstration
    Zu sehen waren diesmal aber auch Anhänger der Regierung. Etwa 2.000 von ihnen sammelten sich vor dem Amtssitz des bürgerlichen Staatspräsidenten Klaus Iohannis. Sie warfen Iohannis vor, das Land zu spalten. Der Präsident hatte Aufhebung der auch international scharf kritisierte Verordnung verlangt und Klage beim rumänischen Verfassungsgericht eingereicht.