Als Dag Hammarskjöld am 9. April 1953 in New York aus dem Flugzeug steigt, ist er in den Augen der Welt ein weitgehend unbeschriebenes Blatt, ein Kompromisskandidat aus einem ebenso kleinen wie unbedeutenden Land. Begrüßt wird der neue UNO-Generalsekretär mit den Worten: "Auf Sie wartet der schwierigste Job der Welt".
In der Tat: Die UNO steckt in einer tiefen Krise und ist gleichzeitig wichtiger denn je. Der 47-jährige Schwede meistert die Aufgabe mit Bravour. "Lass Dag das machen", heißt es bald im UNO-Hauptquartier. Was aber hat ihn für diesen Job qualifiziert? Berggren beleuchtet zunächst Hammarskjölds familiären Hintergrund:
"Seine Mutter Agnes hatte eine Sensibilität, die seinem Vater Hjalmar mit seiner strengen Staatsmoral abging. Aber ihre Haltungen waren nicht unvereinbar. Jeden Sonntag gingen sie zusammen zur Kirche, und jeder spiegelte eine der zentralen Seiten des Luthertums wider, das Schweden seit der Reformation dominiert hatte: Das Individuum ist den weltlichen Autoritäten strengen Gehorsam schuldig, aber in Glaubensfragen ist der Mensch eigenständig und steht auf einer Stufe mit allen anderen. Äußerer Zwang, innere Freiheit - das sollte das dominierende Thema in Hammarskjölds Leben werden."
Ein Außenseiter und unauffälliger Bürokrat
Der Name Hammarskjöld ist in Schweden keineswegs nur positiv belegt. Dags Vater wurde 1914 Premierminister, und seine Regierung fuhr im Ersten Weltkrieg eine strikte Neutralitätspolitik. So strikt, dass die Lebensmittel in Schweden knapp wurden und der verhasste Regierungschef den Namen "Hungerskjöld" bekam. Schon als Kind wurde Dag damit zum Außenseiter, blieb schüchtern und introvertiert.
Während seines Studiums schloss er ein paar enge Männerfreundschaften und blieb zeitlebens unverheiratet. Gerüchte über seine mögliche Homosexualität werden von Berggren geprüft, aber als nicht beweisbar abgetan. Hammarskjöld schlug eine Beamtenlaufbahn ein, ohne in der Stockholmer Bürokratie hervorzustechen.
"Es ist leicht nachzuvollziehen, warum so viele von Hammarskjölds Biografen seine Zeit als schwedischer Beamter übersprungen haben. Was aus seinem Leben hervorsticht, sind der Anfang und das Ende, die Jugend im Schloss von Uppsala und die politische Dramatik während seiner Zeit als UNO-Generalsekretär. Aber was dazwischen passierte, wirkt im Vergleich dazu wie ein langer, anonymer und bürokratisch-grauer Abschnitt. Hammarskjöld bot das Idealbild eines loyalen Beamten, der in seiner Freizeit kulturellen Interessen nachging. Aber hinter dieser Fassade gab es eine moralische Intensität, eine religiöse Überzeugung und existentialistische Grübeleien, die nur wenige Kollegen und Freunde erahnten."
Ein Kompromisskandidat erweist sich als Volltreffer
Am 31. März 1953 erfolgte der entscheidende Wendepunkt. Dag erhielt aus New York ein Telegramm, dass er als künftiger UNO-Generalsekretär gehandelt werde, als Kompromisskandidat der zerstrittenen Supermächte USA und Sowjetunion. Er nahm die Mitteilung zuerst gar nicht ernst, aber schon bald kam die Bestätigung - eine Sensation für Schweden und die ganze Welt.
"Hammarskjöld muss in diesem Augenblick klar geworden sein, dass dies der Posten war, auf den er sich sein ganzes Leben lang vorbereitet hatte. Er hatte Sprachkenntnisse, administrative Kompetenz und war ein geschickter Verhandler. Und vor allem bot ihm der UNO-Job eine Lösung seines eigenen existenziellen Konflikts zwischen Unabhängigkeit und Unterordnung. Als Generalsekretär würde er einerseits der höchste Beamte der Welt, und andererseits könnte er über allen nationalen und politischen Interessen stehen."
Der Abschied von Schweden fiel Hammarskjöld nicht schwer, denn er hatte keine Familie, und er war kein glühender Patriot. Schon wenige Tage später flog er nach New York und stürzte sich in sein neues Amt.
Die UNO war noch jung, die Rollen der einzelnen Posten und Institutionen waren noch nicht festgelegt, ständig entstanden neue Staaten. Der Korea-Krieg hatte den Optimismus genährt, dass die UNO die Probleme der Welt lösen könnte. Und davon gab es jede Menge. In Hammarskjölds Amtszeit fielen 20 internationale Krisen, bei 13 davon konnte er Erfolge erzielen, wie 1956 in der Suezkrise. Hammarskjöld nutzte jeden erdenklichen Spielraum, und er setzte neue Maßstäbe. Aber als der Kongo nach seiner Unabhängigkeit von Belgien 1960 in Chaos und Gewalt versank, stieß auch Hammarskjöld an seine Grenzen.
Tod und Vermächtnis
"Rückblickend muss man seine letzte Afrika-Reise als desparate Aktion sehen, eher von Angst vor einem erniedrigenden Abgang als von einer vagen Hoffnung geprägt, die Kongo-Krise lösen zu können. Nach der Nachricht von dem Flugzeugabsturz wuchs die Unruhe im UNO-Hauptquartier, aber erst am Tag darauf kam die Bestätigung vom Tod aller Insassen. Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile, und die ganze Welt war in Schock und Trauer."
Um es gleich vorwegzunehmen: Berggren bietet keine Erklärung für den rätselhaften Tod und erst recht keine neuen Verschwörungstheorien. Und das ist auch gut so. Das Buch ist vielmehr eine intensive Auseinandersetzung mit Hammarskjölds Persönlichkeit und bestätigt das traditionell positive Bild, verzichtet aber auf Lobeshymnen und spart auch seine menschlichen Schwächen nicht aus.
Natürlich gibt es bereits Abhandlungen über Hammarskjöld, aber Berggren schließt Lücken und erschließt neue Lesergruppen jenseits der Wissenschaft. Das Buch nimmt den Leser mit auf eine spannende, reich bebilderte Reise von Schweden rund um die Welt, ins UNO-Hauptquartier und nach Afrika.
Es wird deutlich, warum die Person Hammarskjöld bis heute nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat und warum er die UNO durch sein Verhandlungsgeschick zu erstaunlichen Höhen führen konnte. Um politischen Stillstand zu überwinden, müssen nicht unbedingt Genies ans Werk - benötigt werden vielmehr die richtigen Leute am richtigen Ort.
Henrik Berggren: "Dag Hammarskjöld - Att bära världen" [Die Welt zu tragen]
Verlag Max Ström, Stockholm 2016, 240 Seiten, 249 SEK
Verlag Max Ström, Stockholm 2016, 240 Seiten, 249 SEK