Es wäre die diplomatische Brechstange. Eine öffentliche Bankrotterklärung für den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen. Ausgesprochen von der eigenen UN-Generalversammlung. Es wäre die Ultima Ratio angesichts einer sterbenden Stadt und sterbender Menschen in Aleppo. Eine sogenannte "Special Emergency Session". Am 3. November 1950 hat sich die Generalversammlung dieses Instrument selbst an die Hand gegeben für Fälle, in denen der Sicherheitsrat wie jetzt seiner Verantwortung Frieden, Leben und Sicherheit zu schützen nicht mehr nachkommt. Jetzt, sagt der Völkerrechtler Simon Adams, sei die Zeit da:
"Daraus spricht die Frustration der Welt, jetzt zu sagen: Ihr, der Sicherheitsrat hattet fünfeinhalb Jahre Zeit, euren Job zu machen. Ihr habt versagt. Jetzt handelt endlich oder tretet zur Seite, um andere handeln zu lassen."
Rechtlich müssten 50 Prozent der 193 Mitglieder umfassenden Generalversammlung eine solche Notfallsitzung wollen und Zweidrittel dann einer Resolution unter dem Titel "Uniting for Peace" zustimmen. Aber selbst dazu scheinen die in der Syrien-Krise blockierten UN nicht mehr in der Lage. Kanadas Außenminister hatte vorige Woche alle aufgefordert, eine solche Notfallsitzung einzuberufen. Ban Ki-Moon war da, appellierte flehend an die Nationen: "Haben wir nichts gelernt aus Ruanda, aus Srebreniza?"
"Es wäre ein absolutes Misstrauensvotum"
Aber in Aleppo wird weiter gestorben, seit Samstagabend wieder weiter gebombt. Der Völkerrechtler Professor Simon Adams hofft - bisher vergeblich - dass eine solche Notfallsitzung doch noch zustande kommt:
"Es wäre ein absolutes Misstrauensvotum an den Sicherheitsrat. Die Botschaft: Ihr macht euren Job nicht, während die Leute sterben. Die Syrer können nicht weitere sechs Monate warten. Ost-Aleppo könnte schon Weihnachten nicht mehr existieren."
71 Nationen hatten am vergangenen Donnerstag ein informelles Treffen zur Lage in Syrien beantragt. Deutschland war eines der Länder. Russland reagierte danach offenbar umgehend. Russische Diplomaten in aller Welt versuchen bis zur Stunde, eine solche Notfall-Sitzung inklusive der öffentlichen Bankrotterklärung an einen in diesem Monat ausgerechnet von Russland geleiteten Sicherheitsrat zu verhindern.
"Die Russen sind enorm nervös. Es kommt nicht oft vor, dass sie nervös sind. Ich weiß, dass sie derzeit überall auf der Welt, auch in Berlin versuchen, die Regierungen von diesem Schritt abzuhalten."
Das Schweigen der Generalversammlung wird jeden Tag lauter
Bisher offenbar mit Erfolg. Eine Notfallsitzung der UN-Generalversammlung. Sie wäre die diplomatische Brechstange. Zehn Mal in 71 Jahren verwendet. Bei der Suezkrise, dem russischen Einmarsch in Afghanistan. Dem israelisch-arabischen Krieg. Jetzt sagt Simon Adams, sei wieder eine solche Zeit gekommen:
"Freunde und Kollegen meiner Organisation sterben in Aleppo. Die Leute dort haben keine Zeit mehr dafür, dass der Sicherheitsrat weiter Spielchen spielt, empörte Reden hält aber nichts tut. Der Sicherheitsrat muss helfen, die Syrienkrise zu lösen. Punkt."
Aber der Sicherheitsrat schweigt und auch das Schweigen der Generalversammlung wird jeden Tag ein bisschen lauter. Und jeden Morgen schaut Simon Adams weiter auf sein Handy, wartet auf ein Lebenszeichen seiner Freunde aus Aleppo:
"Jeden Morgen schaue ich auf mein Handy und ich weiß nicht, wovor ich mehr Angst habe. Keine Nachricht von meinen Freunden und Kollegen aus Aleppo zu erhalten oder eine Nachricht auf dem Display zu sehen."