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UNO-Flüchtlingsbericht
"Industriestaaten sollten mehr Menschen aufnehmen"

Im weltweiten Vergleich bekämen Deutschland und Europa nur einen kleinen Teil der globalen Flüchtlingsbewegung ab, sagte Roland Bank vom UNO-Flüchtlingshilfswerk im DLF. Die meisten Flüchtlinge blieben in ihren Heimatregionen. Von den Industriestaaten erwartet Bank unter anderem, dass sie mehr Flüchtlinge aufnehmen und sichere Zugangswege schaffen.

Roland Bank im Gespräch mit Bettina Klein |
    Ein Flüchtling schläft auf einer Decke des Hilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) auf der Straße zum Grenzübergang nach Ungarn bei Horgos in Serbien.
    Laut eines UNHCR-Berichts ist einer von 113 Menschen weltweit auf der Flucht. (dpa-Bildfunk / Gregor Fischer)
    Aus dem Jahresbericht des UNHCR geht hervor, dass sich im vergangenen Jahr 65,3 Millionen Menschen auf der Flucht befanden - ein Rekord. 2014 waren es noch 59,5 Millionen. Dabei kommen über die Hälfte der Flüchtlinge aus Syrien, Somalia und Afghanistan. Um das zu ändern, müssten die Konflikte in den Heimatländern bewältigt werden, sagte Roland Bank vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR im Deutschlandfunk. Daran sollten sich auch die westlichen Industrieländer beteiligen: "Es muss eine Situation entstehen, bei der die Menschen wieder nach Hause zurückkehren können."
    Er forderte außerdem, dass die Nachbarländer der Krisenstaaten unterstützt werden. Finanzielle Nothilfe allein reiche da nicht aus. Es sei wichtig, dass Länder wie der Libanon oder Jordanien auch strukturell unterstützt würden. Denn eine Flucht, die Kontinente überschreitet, sei bisher nach wie vor die Ausnahme. Die meisten Flüchtlinge bleiben in der Krisenregion.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Heute ist Weltflüchtlingstag, wir haben es schon in dieser Sendung angedeutet. Das bedeutet auch, dass heute der neue aktuelle Jahresbericht des UNHCR veröffentlicht wird über die aktuellen Flüchtlingsbewegungen in der Welt. Die Sperrfrist läuft erst in wenigen Minuten ab, aber wir können darüber jetzt schon sprechen mit Roland Bank vom UNHCR, vom Weltflüchtlingsprogramm im Deutschland. Er leitet in Berlin die Rechtsabteilung. Guten Morgen, Herr Bank.
    Roland Bank: Guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Was ist für Sie die wichtigste Botschaft aus diesem neuen Jahresbericht über die Flüchtlingsbewegung?
    Bank: Die Weltflüchtlingszahlen befinden sich ja erneut auf einem Höchststand. 2015 waren über 65 Millionen Menschen auf der Flucht vor Konflikten und Verfolgung. Das sind noch mal fünf Millionen mehr als noch 2014 und das sind doppelt so viele wie vor 20 Jahren. Das entspricht dann insgesamt auch einer Einwohnerzahl eines großen europäischen Landes wie Frankreich oder Italien. Das heißt, es ist eine enorme Größenordnung. Und die Kollegen haben sich auch die Mühe gemacht, das mal umzurechnen auf die Gesamtzahl der Weltbevölkerung. Das bedeutet, dass einer von 113 Menschen weltweit auf der Flucht ist.
    Klein: Nun muss man auch dazu sagen, dass, wie ich gelesen habe, 40 Millionen von diesen 65 Millionen sind innerhalb ihrer Heimatländer oder ihres Heimatlandes auf der Flucht.
    Bank: Genau. Zwei Drittel ungefähr der Zahlen sind in ihren eigenen Ländern vertrieben und fliehen dort meistens vor internen Konflikten. Der restliche Teil befindet sich auch zu erheblichen Teilen, über 80 Prozent in der jeweiligen Region, sodass die Situation einer Flucht, die Kontinente überschreitet, die Ausnahme bildet.
    "Alte, lang andauernde Konflikte sind weiterhin ungelöst"
    Klein: Was ist denn Ihre Erklärung dafür, weshalb die Flüchtlingszahlen ein weiteres Mal angestiegen sind?
    Bank: Man hat da im Grunde zwei wesentliche Faktoren. Zum einen sind alte, lang andauernde Konflikte weiterhin ungelöst, beispielsweise in Somalia oder Afghanistan, und dann haben wir in den letzten fünf Jahren einige neue dramatische oder auch wieder aufgeflammte Konflikte gesehen. Am präsentesten ist uns natürlich die Situation in Syrien, was jetzt seit über fünf Jahren zu erheblichen Flüchtlingszahlen, den größten Flüchtlingszahlen weltweit führt. Aber auch in anderen Situationen wie im Südsudan, im Jemen, in Burundi, in der Ukraine, Zentralafrikanische Republik sind Konflikte neu entstanden oder wieder aufgeflammt und haben zu erheblichen Flüchtlingszahlen geführt.
    Klein: Die Hälfte der Flüchtlinge weltweit kommen aus nur drei Ländern, listen Sie auf: aus Syrien, Afghanistan und aus Somalia. Bedeutet das, wenn die Situation in diesen drei Staaten verbessert werden würde, dass wir damit einen großen Teil des Flüchtlingsproblems in der Welt eigentlich gelöst hätten?
    Bank: Das ist richtig. Das setzt allerdings voraus, dass die Probleme oder die Konflikte tatsächlich auch gelöst würden und es eine Situation entsteht, in der Menschen nach Hause zurückkehren können. Das heißt, hinreichende Sicherheit und hinreichende Strukturen auch in den Ländern, was eine weitere grundsätzliche Herausforderung sein wird.
    Klein: Würden Sie denn daraus die Forderung ableiten, dass die Staatengemeinschaft ihre Bemühungen politischer Art vor allen Dingen auf diese drei genannten Staaten konzentrieren sollte?
    Bank: Wenn auch nicht konzentrieren, so doch jedenfalls da erheblich den Einsatz verstärken. In dem Sinne ist die Bekämpfung oder die Bewältigung von Konflikten natürlich der wichtigste Beitrag zur Reduzierung von Flüchtlingszahlen in der Welt.
    "Europa bekommt nur einen kleinen Teil der Flüchtlingsbewegung ab"
    Klein: Jetzt habe ich gelesen, dass die meisten Asylanträge überhaupt in Deutschland gestellt wurden mit rund 440.000 Anträgen. Was bedeutet das? Stehen wir in Wahrheit gut da und können eigentlich eher von anderen Staaten verlangen, dass man sich dort mehr bemüht und mehr Flüchtlinge aufnimmt?
    Bank: Ja sicherlich hat Deutschland vor allen Dingen im vergangenen Jahr und Anfang diesen Jahres sehr große Zugangszahlen gesehen. Deutschland hat da auch Außerordentliches geleistet, insbesondere auch die deutsche Gesellschaft, die ja in einzigartiger Weise hier eine Offenheit und eine Situation des Willkommens gezeigt hat, die schon sehr beeindruckend war. Innerhalb Europas hat Deutschland ja sehr stark versucht, da auf eine solidarische Lösung hinzusteuern, Übernahme von mehr Verantwortung durch die anderen Staaten. Sie hatten vorausgehend berichtet über die Situation der Relocation-Programme. Das hat nur mäßig geklappt, von den anderen europäischen Ländern Solidarität einzuwerben. Ansonsten im weltweiten Vergleich muss man natürlich sagen: Sowohl Deutschland als auch noch viel mehr Europa bekommt nur einen kleinen Teil der Flüchtlingsbewegung ab, weil die meisten Menschen jeweils in der betreffenden Region bleiben. Das beeindruckendste Beispiel ist derzeit die Syrien-Krise, wo Sie in der Türkei über 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge haben, im Libanon über eine Million bei einer Bevölkerung von 4,5 Millionen und in Jordanien über 700.000. Das sind noch sehr viel größere Zahlen, auch gerechnet auf die jeweils betreffende Bevölkerung, als wir es hier in Deutschland und insbesondere auch in Europa haben.
    "Die Gefahren auf der Fluchtroute sind noch größer geworden"
    Klein: Wir haben jetzt über ein paar Punkte gesprochen, Herr Bank. Unter dem Strich: Welche Schlussfolgerungen leitet das UNHCR jetzt aus diesen Ergebnissen ab?
    Bank: Zum einen sind die Gefahren größer geworden, überhaupt Zugang zu effektivem Schutz zu bekommen. Das heißt, die Gefahren auf der Fluchtroute sind noch größer geworden. So sind seit Anfang 2014 10.000 Menschen im Mittelmeer ertrunken. Auch die Landrouten sind sehr gefährlich, insbesondere in den Wüstengebieten. Das heißt auch, dass man erwartet, dass die Industriestaaten mehr Menschen aktiv aufnehmen. Es geht darum, hier, wenn man nach Lösungen sucht, auch einen Ansatz der Verantwortungsteilung zu verfolgen, indem man die Staaten, die Flüchtlinge zuerst aufnehmen, stärker unterstützt, und zwar sowohl mit finanziellen Mitteln, was sich dann nicht nur auf humanitäre Nothilfe beschränken sollte, sondern auch eine strukturelle Förderung umfassen sollte, von der auch die Aufnahmegesellschaften mit profitieren können. Und es müssen auch mehr sichere Zugangswege in die Industriestaaten geschaffen werden, insbesondere in Form von Resettlement, humanitären Aufnahmeprogrammen und Familienzusammenführung.
    Klein: Roland Bank vom UNHCR in Deutschland mit ersten Informationen zum Jahresbericht über die Situation der Flüchtlinge weltweit. Um sieben Uhr, in wenigen Minuten kann der Bericht dann auch im Internet nachgelesen werden. Herr Bank, haben Sie herzlichen Dank für die Ausführungen heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk.
    Bank: Ich danke auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.