Von Europa würden derzeit noch nicht genügend Impulse ausgehen. 20 Prozent CO2-Reduktion seit 1990 sei das Ziel - das sei viel zu schwach. Deutschland habe 40 Prozent bis 2020 im Blick. "Europa muss sich ehrgeizigere Ziele setzen." Nun müsse man die anderen Länder in der EU dafür gewinnen und vor allem die osteuropäischen Staaten davon überzeugen, dass eine klimafreundliche Politik keinen Stillstand bedeutet.
Deutschland zahlt eine Milliarde US-Dollar in Klimafonds
Der Klimagipfel in New York könne zudem zur Startrampe für ein völkerrechtliches Abkommen zu mehr Klimaschutz werden, sagt Flasbarth. Deutschland werde den Kampf gegen den Klimawandel weiter antreiben. "Wir müssen weg von der fossilen Energieversorgung und werden dafür Mittel einsetzen. Wir werden als erster Staat in den internationalen Klimafonds einzahlen." Flasbarth sprach von einer Milliarde US-Dollar, die Deutschland überweise - weitere Staaten sähen sich nun "genötigt", ebenfalls einzuzahlen. "Am Ende wird kein Staat erfolgreich sein, der weiter auf einen hohen CO2-Ausstoß setzt."
Dass Deutschland zuletzt in zwei Jahren steigende CO2-Bilanzen aufweise, sei der Politik in der letzten Legislaturperiode geschuldet. "Da haben sich Wirtschafts- und Umweltministerien gegenseitig lahmgelegt. Das Ruder reißen wir jetzt wieder rum."
"Keine Showveranstaltung" trotz Merkels Absage
Die Tatsache, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel dem Klimagipfel fernbleibe, deute keinesfalls auf eine "Showveranstaltung" hin. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks "wird die Bundesregierung gut vertreten", sagte Flasbarth. Er erhoffe sich Impulse, "dieser Gipfel wird Erfolge haben".
Zu der Konferenz in New York werden heute mehr als 100 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt erwartet. Im Vorfeld hatten Demonstranten in New York versucht, die Wall Street zu blockieren und Absperrungen vor der Börse zu durchbrechen. 100 Menschen wurden festgenommen.
Das Interview in voller Länge
Silvia Engels: In New York kommen heute mehr als 100 Staats- und Regierungschefs zusammen, um gemeinsam nach Wegen zu suchen, um die stockenden Klimaschutzverhandlungen wieder anzuschieben. Für die Bundesregierung wird unter anderem Bundesumweltministerin Barbara Hendricks von der SPD teilnehmen. Am Telefon ist nun der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth. Er ist hier geblieben. Guten Morgen, Herr Flasbarth.
Jochen Flasbarth: Guten Morgen, Frau Engels.
Engels: In New York werden viele Regierungschefs sein. Opposition und Demonstranten hatten zuletzt gefordert, auch Bundeskanzlerin Merkel solle anreisen, um der Konferenz mehr Gewicht zu verleihen. Hätten Sie sich das auch gewünscht?
Flasbarth: Ich will wirklich die Terminplanung der Bundeskanzlerin nicht kommentieren. Ich glaube, dass die Frage auch ein Stück überbewertet wird. Es ist gut, dass viele Regierungschefs da sind, aber es ist auch gut, dass Barbara Hendricks da ist, und wir werden die Bundesregierung da gut vertreten.
Engels: Konkrete Beschlüsse, damit 2015 ein ambitioniertes neues Klimaschutzprotokoll beschlossen werden kann, die sind in New York nicht zu erwarten. Ist das eine reine Show-Veranstaltung?
Flasbarth: Nein, das kann man überhaupt gar nicht so sehen, denn natürlich hat dieser New Yorker Gipfel nichts mit dem formalen Verhandlungsprozess zu tun. So war das von Ban Ki-Moon ja auch nicht angelegt, sondern er wollte zusätzliche Impulse einsammeln von der ganzen Welt, neue Initiativen, die freiwillig sind, die über das hinausgehen, was im Verhandlungsprozess jetzt erreicht ist, und es ist eine Vielzahl von Initiativen, die dort vorgestellt wird. Also ich glaube, dieser Gipfel wird seinen Erfolg haben, indem er genau die Impulse, die Ban Ki-Moon haben wollte, auch bringt.
"Weltweit hin zu Erneuerbaren"
Engels: Beobachter und einige NGOs rechnen ja zumindest wenigstens mit einigen Sofortmaßnahmen wie beispielsweise einer besseren Versorgung mit erneuerbarer Energie. Wird auch Deutschland da seinen Beitrag leisten? Wie sieht der aus?
Flasbarth: Ja. Bundesministerin Hendricks hat gerade dazu auch neue Vereinbarungen in New York getroffen. In der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern werden weitere Programme aufgelegt, wie die Energieversorgung verändert werden kann. Wir müssen ja weg, letztendlich vollständig weg von der fossilen Energieversorgung, nicht nur bei uns im Land, sondern weltweit hin zu Erneuerbaren. Da werden wir uns engagieren und wir werden auch zusätzliche Mittel dafür einsetzen.
Engels: In welchem Umfang?
Flasbarth: Wir haben in diesem Sommer bereits angekündigt und werden das jetzt auch vollziehen, als erster Staat in erheblichem Umfang in den sogenannten Internationalen Klimafonds einzuzahlen im Umfang von einer Milliarde US-Dollar. Das sind ungefähr 750 Millionen Euro. Damit haben wir schon einen sehr, sehr starken Impuls gesetzt und ich höre, dass weitere Staaten sich nun "genötigt" sehen, auch nachzuziehen und erheblich einzuzahlen. Insofern, glaube ich, haben wir die Erwartung, die man zu Recht an Deutschland als starken Industriestaat stellt, auch schon erfüllt.
Engels: Herr Flasbarth, dann lassen Sie uns den Blick etwas weiten. Früher galten ja Deutschland und die EU, auch was die mittelfristige Planung angeht, als Vorreiter bei internationalen Klimaschutzverhandlungen. Nun monierte Achim Steiner, Direktor des UNO-Umweltprogramms, in der jüngsten Ausgabe des "Spiegel", die Europäer seien, was das angeht, nur mit sich selbst beschäftigt. Hat er Recht?
Flasbarth: Jedenfalls gehen von Europa nicht genügend Impulse aus. Da hat er völlig Recht. Wir haben in Europa ein Ziel von 20 Prozent Reduktion im Vergleich zu 1990. Das haben wir immer als viel zu schwach angesehen. Deshalb hat Deutschland auch ein sehr viel ehrgeizigeres Ziel. Wir wollen 40 Prozent bis 2020 erreichen. Auch dazu müssen wir noch einige Hausaufgaben machen. Aber die Analyse, dass Europa wieder stärker proaktiv werden muss, sich ehrgeizigere Ziele setzen muss und dann auch wieder verhandlungsstärker in der Welt sein muss, da hat Achim Steiner absolut Recht.
"Wir wollen in Deutschland immer etwas mehr machen"
Engels: Mindestens 40 Prozent Reduktion schwebt der Bundesregierung, Ihrer Ministerin vor. Sie haben es gesagt. Das soll auch das Ziel sein, das Minimalziel, was die EU festschreiben soll. Aber schon da ist Polen beispielsweise als großer Kohle-Emittent nach wie vor dagegen. Wie wollen Sie das je unter einen Hut bringen?
Flasbarth: Wir müssen unterscheiden, was wir national wollen. National sind das 40 Prozent bis 2020. In der gesamten EU reden wir um 40 Prozent bis 2030. Das würde dann bei uns irgendwas in der Größenordnung um die 55 Prozent für Deutschland sein. Wir wollen in Deutschland immer etwas mehr machen, wir müssen auch etwas mehr machen, weil wir leistungsstärker sind als viele andere Staaten, weil wir 1990 als Bezugsdatum haben, also in dem Jahr, als die Deindustrialisierung in Ostdeutschland stattgefunden hat. Aber wir müssen auch die anderen Länder in der EU dazu gewinnen und insbesondere die osteuropäischen Staaten davon überzeugen, dass eine klimaverträgliche Wirtschaftsentwicklung nicht Stillstand in ihren Ländern bedeutet.
Engels: Sie sagen, Deutschland müsse mehr tun. Nun ist im vergangenen Jahr aber in Deutschland der CO2-Anstieg wieder mal angestiegen, weil sich für Kraftwerksbetreiber beispielsweise die Nutzung alter abgeschriebener Kohlekraftwerke eher rentiert als das moderne Gaskraftwerk. Wird das auch dieses Jahr so sein?
Flasbarth: Ja, wir haben in der Tat zwei Jahre hintereinander steigende Emissionen gehabt. Das ist auch der Preis dafür, dass wir in der letzten Legislaturperiode eine müde Klimapolitik hatten, dass sich Wirtschafts- und Umweltministerium vier Jahre lang lahmgelegt haben, wir praktisch sprachlos geworden sind und mehr über Strompreisbremsen als über engagierte Klimapolitik geredet haben. Das Ruder reißen wir jetzt wieder herum. Ich bin zuversichtlich, dass das auch gelingt und dass wir einen Wettlauf beginnen können, eben die 40 Prozent am Ende doch noch zu erreichen.
"Wir reißen das Ruder gerade herum"
Engels: Werden denn durch die konkreten Vorgaben der Energiewende hier immer noch falsche Anreize gesetzt, gerade was das Verhältnis Kohlekraft alt gegen Gaskraftwerk neu angeht?
Flasbarth: Wir haben die Dinge in den letzten Jahren zum Teil auch falsch eingeschätzt. Ich weiß, vor wenigen Jahren wurde darüber nachgedacht, wir werden eine Stromlücke bekommen, wenn wir die Atomkraftwerke abschalten. Inzwischen wissen wir, wir haben kein Problem einer Lücke; wir haben Überkapazitäten im Kraftwerksmarkt. Wir exportieren in erheblichem Umfang Strom. All das drückt einerseits auf die Preise an der Börse, bedeutet energiewirtschaftliche Probleme und treibt die CO2-Emissionen. Das müssen wir umbauen. Das Wirtschaftsministerium geht das Thema auch mit großen Schritten an. Ich bin zuversichtlich, dass wir diese Probleme in kurzer Zeit auch wieder in den Griff bekommen.
Engels: Haben die Klimaschützer es auch deshalb härter, weil die breite Öffentlichkeit (nicht nur hierzulande) stärker auf steigende Strompreise guckt als so sehr auf Klimaschutz?
Flasbarth: Jedenfalls hat Achim Steiner, den Sie ja eben zitiert haben, Recht, dass wir eine große Fähigkeit haben, in Deutschland unsere eigenen Erfolge zu verkennen. Wir haben schon sehr viel erreicht in diesem Bereich. Wir müssen uns noch weiter anstrengen. Aber insgesamt ist das ein Erfolgsmodell, sowohl für die Klimaschutz, wenn wir die jetzt mittelfristig eingetretenen Probleme einmal überwunden haben, und es ist auch wirtschaftlich ein großes Erfolgsmodell. Am Ende wird nämlich kein Staat erfolgreich sein, der weiter auf hohen CO2-Ausstoß setzt.
Engels: Aber kurzfristig ist die Katastrophe durch Klimawandel bislang für viele Menschen auch in Deutschland nicht so stark zu spüren. Hat da eine Abstumpfung eingesetzt, weil der Alarmismus vielleicht früher zu groß war?
Flasbarth: Nein. Das ist der Luxus, den wir haben, in gemäßigten Breiten zu leben. Wenn Sie in anderen Teilen der Welt sind, in den südlichen Staaten, in kleinen Inselstaaten, in Afrika, dann sehen die Menschen heute schon die Dramatik des Ausmaßes des Klimawandels, der ja noch weiter zunehmen wird. Insofern ist es schon eine privilegierte Situation, die wir haben, und die sollte uns nicht die Augen davor verschließen lassen, dass wir alle gemeinsam im Klimaschutz mehr machen müssen.
Engels: Mit welchen Beschlüssen muss der Klimagipfel in New York enden, damit Sie ihn einen Erfolg nennen?
Flasbarth: Wir brauchen eine Vielzahl an Staaten, die mehr machen, als das bisher der Fall gewesen ist. Das ist sozusagen die Startrampe dann, um in Paris auch ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen neu abzuschließen im nächsten Jahr. Das wird dann der eigentliche Lackmustest dafür, ob die Staatengemeinschaft den Klimawandel ernst nimmt und wirklich etwas dagegen tun will.
Engels: Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesumweltministerium. Wir sprachen mit ihm über den heute beginnenden Klimaschutzgipfel in New York. Vielen Dank!
Flasbarth: Bitte schön!