Um Karadzic dieser Verbrechen zu überführen, rief die Anklage 337 Zeugen auf. Sie hat ihre Beweisaufnahme bereits vor gut eineinhalb Jahren abgeschlossen, im Mai 2012. Seit Oktober 2012 ist die Verteidigung am Zuge – und damit Karadzic höchstpersönlich, denn der inzwischen 68-Jährige hat durchgesetzt, sich selbst verteidigen zu dürfen. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe weist er alle als Lügen zurück und bezeichnet sich stattdessen als, Zitat: "mild und tolerant".
"Statt hier als Angeklagter zu erscheinen", so Karadzic im Gerichtssaal, übersetzt von der Dolmetscherin, "sollte ich ausgezeichnet werden für all das Gute, was ich getan habe". Er habe noch nie etwas gegen Moslems und Kroaten gehabt – und alles getan, um einen Krieg zu verhindern:
Mehr als 500 Zeugen will Karadzic zu seiner Verteidigung aufrufen. 219 sind bereits im Gerichtssaal erschienen, die meisten, ohne großes Aufsehen zu erregen. Viele Zuschauerreihen bleiben leer. Heute hingegen sind sie alle besetzt. Denn Zeuge 220 ist niemand Geringeres als Ratko Mladic, der General von Radovan Karadzic - jener Mann, der die Eroberung von Srebrenica geleitet und durchgeführt hat - und der sich deshalb ebenfalls wegen Völkermordes vor dem Tribunal verantworten muss.
Nun will Karadzic seinen ehemaligen General als Entlastungszeugen gebrauchen. Eine logische Strategie, sagt der Amsterdamer Professor für internationales Strafrecht Göran Sluiter:
"Es ist im Interesse von Karadzic, ganz egal, ob es nun um Sarajewo geht oder Srebrenica, die eigene Rolle als Politiker möglichst klein zu machen und statt dessen einfach alles auf das MiIitär abzuschieben."
Denn Mladic, das jedenfalls hofft Karadzic, soll mit seiner Aussage deutlich machen, dass Karadzic unmöglich etwas vom Völkermord in Srebrenica oder den Angriffen auf den Markt von Sarajewo gewusst haben konnte. Fraglich allerdings ist, ob Maldic überhaupt etwas sagen wird. Denn der General ist ja selbst angeklagt, er könnte sich mit einer Aussage selbst belasten. Deshalb hat er bis zum Schluss gegen sein Erscheinen im Zeugenstand protestiert – vergeblich, die Richter entschieden letztendlich zugunsten von Karadzic. Auch das eine logische und vernünftige Entscheidung, findet Professor Sluiter:
"Sonst könnte Karadzic behaupten, dass er keinen fairen Prozess bekommt. Dass ihm ein wichtiger Zeuge vorenthalten wird. Mladic wiederum kann sich auf sein Schweigerecht berufen. Denn kein Mensch kann gezwungen werden, sich selbst zu belasten. Wenn Mladic schlau ist, tut er das auch und hält wohlweislich den Mund. Es wäre dumm, ihn aufzumachen."
Seit seiner Gründung 1993 hat das Jugoslawientribunal die Verfahren von 140 Angeklagten abgeschlossen. 73 von ihnen wurden für schuldig befunden und verurteilt, darunter eine ganze Reihe wegen des Völkermordes von Srebrenica. Die Entscheidung, diesen Völkermord durchzuführen, fiel erst nach der Eroberung der Enklave, ganz kurzfristig, in der Nacht vom 11. auf den 12. Juli 1995. Im Gegensatz zu Mladic war Karadzic nicht vor Ort, sondern in Pale, damals Hauptstadt der Republika Srpska. Kann es sein, dass Karadzic, wie er behauptet, wirklich nicht gewusst hat, was sich in Srebrenica abspielte? Was sein General anordnete?
"Mladic hat die schlechteren Karten, er muss damit rechnen, wegen Völkermordes verurteilt zu werden. Bei Karadzic tut sich die Anklage zwar etwas schwerer. Aber auch da liegt durch all die anderen Prozesse inzwischen soviel Beweismaterial vor, dass auch er mit einer Verurteilung rechnen muss. Auch für Karadzic sieht es schlecht aus."