Christiane Kaess: Die Schüsse trafen den russischen Diplomaten von hinten. Botschafter Andrej Kalow eröffnete in Ankara gerade eine Ausstellung. Der Titel: "Russland, wie es von den Türken gesehen wird." Da brach er am Rednerpult tödlich getroffen zusammen. Aufnahmen von gestern Abend zeigen, wie der Attentäter, ein 22-jähriger türkischer Polizist im Zivilanzug, immer wieder "Allahu akbar", Gott ist groß gerufen hat, während Kalow leblos auf dem Boden liegt.
Darüber sprechen möchte ich mit Dmitri Tultschinski. Er war bis 2014 Leiter des Deutschlandbüros der russischen Nachrichtenagentur Ria Novosti und heute lebt er als freier Journalist in Berlin. Guten Morgen, Herr Tultschinski.
Dmitri Tultschinski: Guten Morgen!
Kaess: Es hat ja in den vergangenen Tagen in der Türkei immer wieder Proteste vor den Botschaften auch Russlands gegeben, wegen der Unterstützung für die Offensive der syrischen Regierungstruppen gegen die Rebellen im syrischen Aleppo. Hatten Sie mit so einer Racheaktion gerechnet?
Tultschinski: Ich glaube, nicht so ganz allgemein, denn bei den normalen Menschen denkt man nicht daran. Aber ich glaube, die Sicherheitsbehörden sowohl in der Türkei als auch in Russland sind immer auf der Hut und waren besonders in letzter Zeit auf der Hut, und so was, glaube ich, haben sie nicht ausgeschlossen. Aber leider kam es ja so, wie es gekommen ist, und jetzt kommt es darauf an, dass die Sicherheitsbehörden von beiden Ländern gemeinsam eine richtige und tatkräftige Ermittlung, Untersuchung leisten, um herauszufinden, wer hinter dem Mordanschlag steckt.
Kaess: Würden Sie denn sagen, dass sich russische Vertreter in der Öffentlichkeit noch sicher fühlen können?
Tultschinski: Das ist eine schwierige Frage. Auf jeden Fall hat Präsident Putin gestern schon angeordnet, dass die diplomatischen Vertretungen Russlands besser geschützt werden oder noch besser geschützt werden sollen, dass die Sicherheitsbehörden und Dienste ihre Arbeit noch mal überprüfen und zusätzliche Maßnahmen treffen. Und ich hoffe, da wird noch mehr Sicherheit gegeben.
Kaess: Es geht ja um den Syrien-Konflikt und wir wollen in diesem Interview auch weiter darauf schauen. Heute wollen Vertreter Russlands, der Türkei und des Iran in Moskau beraten, wie es mit Aleppo weitergehen soll. Warum will Russland diese Extra-Verhandlungen neben denen in Genf?
Tultschinski: Es ist doch schon früher ganz deutlich gesagt worden von der russischen Seite, dass die Lösung der syrischen Krise die Sache von Syrien selbst ist, und Moskau hat, glaube ich, ziemlich konsequent darauf bestanden, dass die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass das Feuer eingestellt wird und dass letztendlich die Parteien der syrischen Öffentlichkeit sich an einen Tisch setzen und mit anderen verhandeln. Ob das weiter mit Assad oder ohne Assad geht, das bleibt abzuwarten.
"Das ist eine westliche Sicht mit der moderaten Opposition"
Kaess: Wenn ich da gerade mal einhaken darf? Das passiert ja gerade nicht. Es sind ja nicht die Syrer, die selbst entscheiden, sondern es ist jetzt in dem Falle Russland, die Türkei und der Iran.
Tultschinski: Aber es muss vor allem die terroristische Gefahr gebannt werden. Das ist ja auch das Ziel Moskaus oder Russlands, das auch gemeinsam mit der syrischen Regierung angestrebt wird. Erst wenn die Waffen schweigen, kann man sich an einen Tisch setzen und dann das weitere verhandeln.
Kaess: Und diese terroristische Gefahr musste zusammen mit der moderaten Opposition niedergebombt werden in Aleppo?
Tultschinski: Das ist eine westliche Sicht mit der moderaten Opposition. Die Opposition oder die Kämpfer, die sich in Ostaleppo verbarrikadiert haben und als Schutzschild die Zivilisten vor sich gestellt haben, das kann nicht so ganz als moderate Opposition dargestellt werden.
"Die Resolution, die jetzt auf dem Tisch liegt, ist eine gute Sache"
Kaess: Aber, Herr Tultschinski, es ist doch ganz offensichtlich gewesen, dass Russland in Ostaleppo offenbar keinen Unterschied gemacht hat zwischen Extremisten, moderaten Rebellen oder Zivilisten. Das Ganze ist ja gut dokumentiert, dank des Internets. Wir kennen diese Bilder von verschütteten Kindern oder bombardierten Krankenhäusern.
Tultschinski: Wir kennen auch die Bilder von den verwundeten und getöteten Kindern und Frauen und anderen Zivilisten, die von der syrischen Armee und von den Russen auch gerettet wurden und auch in Krankenhäuser. Auf der russischen Seite übrigens ist auch ein russischer Arzt und zwei russische Krankenschwestern umgekommen in Syrien, indem diese moderate Opposition, wie Sie sich ausdrücken, auf sie geschossen hat.
Kaess: Herr Tultschinski, konnte Russland der Resolution im Sicherheitsrat gestern zustimmen, weil die Schlacht um Aleppo längst entschieden ist?
Tultschinski: Ich glaube, das ist eine sehr ermutigende Tatsache, dass diese Resolution bei der UNO einstimmig angenommen worden ist. Das zeugt davon, dass die Weltöffentlichkeit doch gemeinsam handeln kann und dass dann auch an dieser Resolution gemeinsam gearbeitet wurde, von Russland, USA, Frankreich und so weiter. Das ist ein gutes Signal dafür, dass diese Resolution wirklich ins Leben umgesetzt wird, so wie es geschrieben ist, und dass es eine weitere Voraussetzung ist für die friedliche Lösung dieser Frage.
Kaess: Und warum hat Russland diese Resolution dann so lange blockiert, dass eventuell die UN-Beobachter jetzt zu spät kommen?
Tultschinski: Weil es gab verschiedene, genau gesagt zwei Entwürfe, glaube ich, in letzter Zeit, französischer und russischer, und die westliche Seite war nicht einverstanden mit der russischen Resolution. Es bedarf einer sehr schwierigen Arbeit, damit dies gemeinsam gemacht wird, wie es auch geschehen ist, und deswegen glaube ich, dass diese Resolution, die jetzt auf dem Tisch liegt, eine ganz gute Sache ist.
Kaess: … sagt Dmitri Tultschinski. Er lebt als freier Journalist in Berlin. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Tultschinski.
Tultschinski: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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