Russlands UN-Botschafter Tschurkin ahnte wohl, was auf ihn, auf den Sicherheitsrat, auf die Welt und vor allem auf die Menschen in Syrien zu kam, als das mächtigste UN-Gremium (am Freitag) um 20.30 Uhr deutscher Zeit in New York für zwei sehr denkwürdige Stunden zusammentrat:
"Wir erleben eines der merkwürdigsten Spektakel in der Geschichte der vereinten Nationen", sagte der Russe Tschurkin.
Und der Mann hatte so Recht. Zwei Resolutionen lagen zur Abstimmung auf dem Tisch: Es ging nicht um Worte, sondern um Menschenleben. Um eine Feuerpause in Aleppo. Frankreich und Spanien hatten einen Entwurf vorgelegt. Eine Feuerpause, ein Flugverbot über Aleppo, um die Luftangriffe zu beenden, eine Überwachung durch UN-Beobachter.
"Perverserweise", sagt der amerikanische UN-Vertreter David Pressman sorge ausgerechnet der Vorsitzende des Sicherheitsrates dafür, dass das Töten in Syrien weitergehe. "Grotesk."
Der so angesprochene Russe Vitali Tschurkin schrieb mit. Später sollte er sagen, derlei erwartbare Beleidigungen würden ihn nicht erreichen. Es sollte nicht die einzige verbale Beleidigung für Tschurkin an diesem Tag bleiben: Der britische Botschafter Rycroft verweigerte Tschurkin gleich zu Beginn jeden Respekt.
Eigentlich beginne er im Saal seine Reden stets mit einem Dank an den Sitzungspräsidenten. "Das kann ich heute nicht." Die Stimmung eisig. "In Aleppo sterben sie gerade, oder wissen nicht, ob sie den Morgen erleben. Und wir?", fragte der Brite. "Wir sitzen hier und gucken weiter zu? Und doch Dank ihnen", und er schaut Tschurkin an, "tun wir genau das."
"Eine doppelte Demütigung"
Russland hatte sein Veto angekündigt. Nicht einmal. Mehrfach. Flugverbot über Aleppo? Ein Sicherheitsrat, der Russland sagt, wo es fliegen darf und wo nicht? Unmöglich. Nie habe es derlei gegeben, sagt Tschurkin. Jede Vetomacht hätte vorher eingebunden werden müssen. Dann die Abstimmung: Elf Hände gehen nach oben. Elf Ja-Stimmen. Zwei Enthaltungen, darunter China. Zwei aber stimmten mit Nein. Venezuela und die Vetomacht Russland. Das Aus für die Feuerpause. Das Aus für ein Flugverbot. Wieder stirbt neben Aleppo auch die Hoffnung.
"Ein Veto, das ein zynischer Missbrauch der Macht eines permanenten Sicherheitsratsmitglieds ist. Dafür kann ich ihnen nicht danken", sagt Rycroft. Selten legte sich Verachtung so hörbar über den hufeisenförmigen Tisch des Sicherheitsrates: "Das wahllose Bombardieren von Zivilisten. Übelkeit erregend. Barbarisch. Hören sie endlich auf damit."
Tschurkin empfiehlt darauf dem Briten, Großbritannien solle mit seinem kolonialen Gebaren aufhören. Sich aus Syrien heraushalten. Dadurch wäre schon viel gewonnen. Dann die zweite Resolution. Die russische. Inhalte: Feuerpause ja. Ein Flugverbot aber enthält sie nicht. Neun Nein-Stimmen. Zwei Enthaltungen. Vier Mal Zustimmung. Abgelehnt. Und wieder meldete sich der Brite.
"Herr Präsident, ein einsames Veto von Ihnen und vier Ja-Stimmen für Ihren Entwurf. Eine doppelte Demütigung", nennt es Rycroft. Der amerikanische UN-Vertreter David Pressman sagt es anders: Man habe heute das Bombardement von Aleppo stoppen wollen. Nicht mehr. Es sei eine tödliche Schande, dass man dazu nicht in der Lage war.