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Unruheherd Tadschikistan

Im Osten von Tadschikistan, in der Provinzstadt Chorog, haben letzte Woche Bewohner gegen die Ermordung eines einflussreichen örtlichen Führers protestiert und wurden daraufhin von Soldaten der Zentralregierung beschossen. Die zunehmenden politischen Spannungen zwischen Streitkräften und Lokalbevölkerung sehen viele als Nachbeben aus den Zeiten des tadschikischen Bürgerkriegs.

Von Marcus Bensmann |
    Die Flugstrecke von der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe nach Chorog gilt als einer der weltweit gefährlichsten Routen. Der Pilot steuert die zweimotorige Turboprop-Antonow durch die von Gletschern bedeckten siebentausend Meter hohen Gipfel des Pamir, taucht hinunter ins enge Tal des tadschikisch-afghanischen Grenzflusses Pjansch und setzt an zum Landeanflug auf das tadschikische Provinz-Zentrum Chorog.

    Auf den ersten Blick wirkt die Hochgebirgsstadt wieder friedlich. Doch noch vor kurzem herrschte hier für einen Tag ein ausgewachsener Krieg. Tausende tadschikische Soldaten, so hieß es, lieferten sich stundenlange Gefechte mit den Männern von vier Bandenchefs um die Kontrolle über Chorog. Die Häuserfronten entlang einer der Hauptstraßen sind seitdem mit Einschusslöchern übersät.

    Nach offiziellen Angaben starben etwa 50 Personen, darunter 17 Soldaten und 1 Zivilist. Augenzeugen indes sprechen von einer höheren Opferzahl unter Zivilisten und den Sicherheitskräften. Kinder und Frauen seien allerdings nicht unter den Opfern, auch wenn es nur knapp gewesen sei. Ein Anwohner hat die Schusswechsel auf seinem Camcorder mitgefilmt:

    "Wir wollten den Kindern Tee machen, da flog eine Kugel durchs Fenster, meine Frau wurde am Hals leicht verletzt und ein Geschoss durchbohrte die Hüfte meiner Tochter Saidmo. Wir konnten wegen der Gefechte nicht ins Krankenhaus, ein Arzt aus der Nachbarschaft verband die Wunde."

    Saidmo hat überlebt. Doch der Schrecken sitzt der Zweijährigen noch in den Augen. Den jüngsten Häuserkampf in Chorog sehen die meisten Beobachter als ein spätes Nachbeben aus den Zeiten des tadschikischen Bürgerkriegs. Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 kämpften Clans aus der Provinz Kuljab in der Ebene gegen die Hochland-Tadschiken aus dem Garm-Tal und dem Pamir erbittert jahrelang um die Macht im unabhängigen Tadschikistan.
    Die regionale Abstammung entschied oft über Leben und Tod. Schätzungen zufolge sind rund 100.000 Menschen nur aufgrund ihrer Stammes-Herkunft ermordet worden. Lokale Milizen aus dem Pamir schafften es aber, den Einmarsch bewaffneter Kuljabis in ihr Gebirgsgebiet zu verhindern. Badachschan und Chorog blieben vom Krieg verschont - bis zu diesem Sommer.

    Nach Ende des Bürgerkrieges 1997 beförderte das Regime von Emomali Rachmon im fernen Duschanbe einige dieser Milizenchefs zwar zu Offizieren der tadschikischen Streitkräfte, faktisch aber blieben sie am Pamir unabhängig von der Hauptstadt. Vier von ihnen verwandelten sich mit der Zeit schließlich in regelrechte Bandenchefs mit Sitz in Chorog. Allerdings: Die örtliche Bevölkerung hat in ihnen bisher durchaus auch Schutzherren gesehen.

    Nach Afghanistan ist es nicht weit. Die marode Staatsmacht auf beiden Seiten kann die Grenze nicht sichern. Es sind stattdessen die vier Chefs von Chorog, die mit ihren Leuten bislang die tadschikische Pamirprovinz vor Beutezügen afghanischer Räuberbanden bewahrt haben. Doch es gibt auch den "inneren Gegner", wie es einer dieser Clan-Chefs formuliert:

    "Richter, Staatsanwälte und Polizei erpressen hier Geld. Wir sind deswegen mit ihnen fast täglich im Konflikt. Die Menschen bitten uns um Hilfe, und wir helfen, denn die haben ja kein Geld."

    Diese Hilfe kann durchaus handfest ausfallen. Regelmäßig beziehen in der Pamirprovinz hohe Staatsbeamte Prügel. Am 21. Juli dann hat man den Chef der örtlichen Staatssicherheit erstochen. Die Behörden beschuldigten Tolib Ajembekow die Mörder zu decken. Ajembekow ist in seinem offiziellen Beruf Grenzoffizier, aber eben auch einer dieser so genannten "Autoritäten" von Chorog.

    Nun hat die tadschikische Regierungsmacht versucht zurückzuschlagen. Denn die Gelegenheit schien günstig. Wegen eines Manövers hatten über 1000 Soldaten in der schwer zugänglichen Provinz ein Feldlager bezogen. Ein langer Konflikt begann sich abzuzeichnen. Doch außer den Choroger "Autoritäten" und den korrupten Staatsbeamten gibt es hier, auf dem Dach der Welt, noch eine weit einflussreichere Macht - den Aga Khan.

    "Eine wichtige Rolle bei der Befriedung spielte wieder einmal der Imam der Ismailiten. Am 28. Juli ordnete er an, die Waffen abzulegen. Außerdem bot er an, mitzuhelfen die Ordnung wiederherzustellen. Und seither ist es bei uns ruhig."

    versichert ein Pamiri aus Chorog, der mit seinen drei Kindern während der Kämpfe in der Wohnung ausgeharrt hat. Anderes als die sunnitischen Tadschiken gehören die Pamiris der schiitischen Sekte der Ismailiten an, die den in Frankreich lebenden Aga Khan als den direkten Nachfolger des Propheten verehren. In den sechziger Jahren baute der international tätige millionenschwere Geschäftsmann mit einer ausgeprägten Vorliebe für Pferderennen die "Aga Khan-Stiftung" auf, die in jenen Ländern, wo Ismailiten leben, großzügig Entwicklungsprojekte fördert. Ismailiten - dies ist weithin Konsens - gelten als traditionell frei von jeglichem religiösen Fanatismus.

    "Unsere Arbeit begann in Badachschan zu Beginn des Bürgerkrieges vor rund zwanzig Jahren. Die Zufahrtswege dorthin waren blockiert, den Menschen drohte der Hungertod. Seiner Exzellenz Aga Khan, dem IV., gelang es mithilfe europäischer Staaten und der USA ein Hilfsprogramm in Höhe von einhundert Millionen US Dollar zu organisieren. Bis 1997 konnten wir Lebensmittel und Brennstoff in den Pamir bringen."

    erinnert sich Yodgor Fayzov, Geschäftsführer die Aga-Khan-Foundation in Tadschikistan. Auch nach dem Bürgerkrieg hat sich die Stiftung in den Bereichen von Bildung bis Landwirtschaft auch im übrigen Tadschikistan international anerkannt stark engagiert.

    Auch diesmal wirkte offenbar das Wort des Aga Khan: Die Patrone von Chorog gaben ihre Waffen ab. Das ist riskant. Einer der Autoritäten wurde in dieser Woche umgebracht. Clan-Chef Ajembekow stimmte sogar einem Hausarrest und einer Mord-Untersuchung gegen ihn zu, nicht ohne gleichzeitig seine Unschuld zu beteuern. Immerhin: Die tadschikischen Behörden beschuldigen ihn und die anderen "Autoritäten" zudem den Drogenschmuggel aus Afghanistan zu kontrollieren. Ajembekow gibt sich empört:

    "Alle wissen, dass ich nicht im Drogengeschäft bin. Natürlich werden hier auch Drogen geschmuggelt. Aber das meiste davon geht doch durch andere Landesteile. Ich habe seit zehn Jahren keine Drogen mehr angefasst."

    Doch es ist ein offenes Geheimnis: Die Geschäfte mit dem nahen Afghanistan - auch die illegalen - blühen. Wie zum demonstrativen Beweis haben tadschikische Behörden unmittelbar nach dem Ein-Tage-Krieg von Chorog dort kiloweise Opium und Heroin beschlagnahmt. Aber - jetzt hat auch das übrige Tadschikistan ein handfestes Drogenproblem ganz eigener Art:

    "Das Drogengeschäft spielt in allen Aspekten und Bereichen von Tadschikistan eine wesentliche Rolle. Der grenzüberschreitende Drogenhandel stellt deswegen auch eine konkrete Gefahr dar für dessen Staatlichkeit."

    warnt Deidre Tynan, in Zentralasien tätige Expertin bei der Nichtregierungs-Organisation "International Crisis Group". Zum jüngsten Gefecht im Pamir kam es indes sicherlich nicht als Begleiterscheinung einer Drogenrazzia. Es geht vielmehr um die Macht im tadschikischen Hochgebirge - und der Sieger steht längst noch nicht fest. Denn: Die Bandenchefs haben noch Macht. Und die tadschikische Armee sorgt inzwischen für Angst und Schrecken - wenn auch noch sporadisch: So haben erst vor wenigen Tagen Regierungssoldaten zwei Pamiri erschossen - an einem ihrer Checkpoints.