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Kommentar zu den Unruhen in Frankreich
Präsident Macron sollte auf die Jugendlichen in den Banlieues zugehen

Frankreich braucht ein neues Miteinander und eine Abkehr von gewaltsamen Protesten, kommentiert Burkhard Birke. Statt sich nur mit den Bürgermeistern betroffener Gemeinden zu treffen, sollte Präsident Macron jetzt auch auf die Jugendlichen zugehen.

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit Alexis Kohler, Chef des Élysée-Palasts und weiteren Mitarbeitern. Seit dem Tod eines 17-Jährigen durch Polizeigewalt in Nanterre kommt es zu Gewalt und Plünderungen. 30. Juni 2023
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron: Sein Regierungsstil spalte mehr als dass er eint, meint Burkhard Birke. (picture alliance / abaca / Eric Tschaen / Pool )
Die Proteste sind vor allem eins: ein Hilferuf der Jugend aus der Banlieue. Banlieue heißt Bannmeile. Nomen est omen: Vor allem die Jugend in den trostlosen Trabanten- und Satellitenstädten Frankreichs fühlt sich von der Gesellschaft verbannt und ausgeschlossen.

Milliardenbeträge für die Banlieues

Der Tod des siebzehnjährigen Nahel, erschossen durch einen Polizisten bei einer Fahrzeugkontrolle, hat ein Ventil geöffnet. Teilhabe suchen die frustrierten Jugendlichen auf ihre Weise: durch Plünderungen.
Das ist nur der Versuch einer Erklärung, denn nichts kann und darf diese Gewalt rechtfertigen. Im Grunde war es jedoch nur eine Frage der Zeit, bis es nach 2005 erneut zu einer Explosion der Unzufriedenheit kommen würde.
Sarkozy als Innenminister wollte einst die Vorstädte noch mit dem Kärcher vom Gesindel befreien. Präsident Macron warb indes mit dem Slogan: la France – une chance pour tous. Frankreich – eine Chance für alle.

Spezielle Lernangebote für Jugendliche

Seine Regierung blieb – wie viele Vorgängerinnen – auch nicht tatenlos. Es gab und gibt spezielle Lernangebote für Jugendliche, Sport- und Gesundheitszentren wurden eingerichtet, Firmen boten Jobs. Zweistellige Milliardenbeträge sind in die Banlieues investiert worden.
Nicht unbedingt nur ein Tropfen auf den heißen Stein – das Problem freilich sitzt tiefer und lässt sich kaum mit Geld allein lösen. Frankreichs Integrationspolitik, wenn es sie überhaupt gab, ist gescheitert, die Gesellschaft tief gespalten. Der Rassismus - gerade auch bei den Sicherheitskräften - und die Islamophobie sind enorm.
Drogenhandel, Kriminalität bleibt für viele Jugendliche die einzige Beschäftigung, denn kaum eine Firma stellt gerne Menschen mit arabischen Namen oder Aussehen ein. Wollte Präsident Macron nicht allen eine Chance geben? Sein Regierungsstil spaltet mehr als er eint. Jetzt sollte er auf die jungen Menschen zugehen, sich mit ihnen und nicht nur mit den Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden treffen.

Die französische Gesellschaft ist tief gespalten

Was Frankreich braucht ist mehr Toleranz. Eine Nachbarschaftspolizei und Lehrkräfte, die die Jugendlichen verstehen, Akzeptanz der Menschen aus den einstigen Kolonien als nicht nur vor dem Gesetz gleichwertige Franzosen. Frankreich braucht ein neues Miteinander und eine Abkehr von gewaltsamen Protesten als Mittel, Interessen etwa auch bei der Rentenreform durchzusetzen. Davon ist man jedoch weiter entfernt denn je.
Wie kann es sein, dass für die Familie des offenbar sehr schiesswütigen Polizisten - auf Initiative eines Rechtsradikalen - fast eine Million Euro gesammelt wurde, weit mehr als Spenden für die Familie des Opfers eingingen? „'Tötet Araber und ihr werdet Millionär': Ist das die Botschaft?", fragt der linke Abgeordnete Guiraud - und verdeutlicht damit, wie explosiv die Lage bleibt.