Das israelische Parlament hat mit großer Mehrheit beschlossen, die Tätigkeit des Flüchtlingshilfswerks für die Palästinenser – UNRWA – ab dem kommenden Jahr auf israelischem Staatsgebiet zu verbieten. Das hat zur Folge, dass die Organisation ihre Einsätze in den Palästinensergebieten kaum fortsetzen kann, weil Israel die Grenzübergänge kontrolliert. In einem zweiten Gesetz beschloss die Knesset, dass UNRWA-Mitarbeitende ihre diplomatische Immunität verlieren. Israelischen Behörden soll künftig jeglicher Kontakt mit UNRWA-Mitarbeitern verboten werden.
Das Hilfswerk UNRWA wurde 1946 gegründet, um die Palästinenser zu unterstützen, die im Zuge der Staatsgründung Israels und des Krieges mit den arabischen Staaten aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Es versorgt nicht nur Millionen Menschen im Gazastreifen mit Hilfsgütern und stellt Notunterkünfte bereit, sondern ist auch einer der wichtigsten Arbeitgeber für Palästinenser. Dementsprechend empört hat die palästinensische Seite auf das Arbeitsverbot reagiert. Auch international ist die Kritik groß, sogar Deutschland hat das Gesetz kritisiert. Was bedeuten die Pläne konkret?
Welche Folgen hat das UNRWA-Verbot für die Palästinenser?
Die Aufgaben des Palästinenser-Hilfswerks sind vielfältig: In Kriegsgebieten, wie dem Gazastreifen, verteilt es Lebensmittelpakete und Hilfsgüter an Familien, die obdachlos geworden sind. Es betreibt eine medizinische Notfallversorgung und Notunterkünfte. Das Hilfswerk arbeitet zudem eng mit anderen NGOs und Agenturen zusammen, die derzeit im Gazastreifen aktiv sind. Rund zwei Millionen Menschen sollen dort auf die Hilfen angewiesen sein.
Tritt das Verbot wie geplant in Kraft, bedeutet das aus Sicht von UNRWA den faktischen Kollaps aller humanitären Arbeit der Organisation vor Ort. Das Verbot werde "das Leiden der Palästinenser verstärken", sagte der Leiter des Hilfswerks, Philippe Lazzarini.
Mit insgesamt 13.000 Angestellten ist UNRWA der größte Arbeitgeber für die Palästinenser. Viele könnten ihre Jobs verlieren. Ein Arbeitsverbot könnte auch Lehrkräfte an einer Schule in Ostjerusalem treffen. Dort befindet sich das Hauptquartier der Hilfsorganisation. Ostjerusalem ist zwar laut Völkerrecht kein israelisches Staatsgebiet, wurde aber von Israel annektiert. Auch UNRWA-Mitarbeiter, die im Flüchtlingslager in Shuafat tätig sind, ebenfalls von Israel annektiert, wären betroffen.
Welche Kritik gibt es an dem UNRWA-Verbot?
Das Votum des israelischen Parlaments für ein Verbot des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA hat international Kritik und Besorgnis ausgelöst. UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte vor den schwerwiegenden Konsequenzen des Verbots. Sollte es tatsächlich in Kraft treten, würde es die Fortsetzung der wichtigen Arbeit des Hilfswerks in Gaza, der Westbank und Ostjerusalem verhindern. Guterres betonte, es gebe keine Alternative zu dem Hilfswerk, die humanitäre Arbeit sei unverzichtbar. Zudem hätte die Umsetzung des Arbeitsverbotes in Israel verheerende Folgen für die palästinensischen Flüchtlinge in den besetzten Gebieten. Der UN-Generalsekretär rief Israel dazu auf, gemäß der Charta der Vereinten Nationen zu handeln und das Völkerrecht und die Menschenrechte zu respektieren. Diese Verpflichtungen könnten durch nationale Gesetze nicht verändert werden.
Die Vetomächte der Vereinten Nationen übten in seltener Einigkeit Kritik an dem Arbeitsverbot für UNRWA in Israel. Die USA seien "über diese Gesetzgebung zutiefst beunruhigt", sagte der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, in Washington. Chinas UN-Botschafter Fu Cong verurteilte sie im UN-Sicherheitsrat "aufs Schärfste". Die Schließung des Hilfswerks wäre eine "Kollektivbestrafung von Millionen palästinensischer Flüchtlinge", sagte er. Russlands Botschafter Wassili Nebensja warnte vor einem endgültigen Aus des Hilfswerks.
Auch Deutschland kritisiert das UNRWA-Verbot. Die Bundesregierung verurteilte die Entscheidung und sprach von einem „fatalen Schritt“. Deutsche Hilfs- und Entwicklungsorganisationen wenden sich ebenfalls dagegen. In dem Verbot einer UN-Organisation durch einen demokratischen Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen sieht Anica Heinlein vom entwicklungspolitischen Dachverband Venro "einen gefährlichen Präzedenzfall". Sie appellierte an die Bundesregierung, sich für eine Aufhebung des Verbots einzusetzen.
Wer soll künftig die Aufgaben des Hilfswerks übernehmen?
Als Besatzungsmacht ist Israel gemäß der Genfer Konvention dazu verpflichtet, Recht und Ordnung in den besetzten Gebieten aufrechtzuerhalten. Derzeit sollen allein im Gazastreifen zwei Millionen Menschen auf die Hilfe von UNRWA angewiesen sein. Bislang gibt es aber keine Pläne, wer die humanitäre Arbeit von UNRWA kompensieren könnte, noch dazu innerhalb von 90 Tagen. Zwar hat Israels Premier Benjamin Netanjahu vor wenigen Wochen gesagt, andere Organisationen müssten die Aufgabe des Palästinenser-Hilfswerks übernehmen. Auch das israelische Militär war kurz im Gespräch. Tatsächlich kann aber keine andere Hilfsorganisation leisten, was UNRWA seit 1949 in den Palästinenser-Gebieten aufgebaut hat, was die Expertise, aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Hilfsorganisationen betrifft.
Wie denkt die israelische Bevölkerung über das Verbot?
Nach dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 waren Vorwürfe laut geworden, dass auch UNRWA-Mitarbeitende an militärischen oder politischen Aktivitäten beteiligt waren. Das Hilfswerk löste daraufhin Verträge mit zehn Mitarbeitenden auf. Israel warf dem Palästinenser-Hilfswerk außerdem vor, von der Hamas unterwandert zu sein. Ein unabhängiger Expertenbericht zu Terrorvorwürfen entlastete das Hilfswerk im April 2024.
Israels Premier Netanjahu ist das Hilfswerk auch deshalb ein Dorn im Auge, weil es anders als alle anderen UN-Agenturen ausschließlich für palästinensische Flüchtlinge da ist und seit 70 Jahren einen Sonderstatus aufrechterhält. UNRWA gewährt nicht nur den Flüchtlingsstatus, sondern führt auch Listen über mögliche Rückkehrrechte in die Heimat, in denen dokumentiert ist, wer aus welchen Orten vertrieben wurde.
Die Forderung Israels, die palästinensischen Flüchtlinge in die allgemeine UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR aufzunehmen, gab es immer wieder. Das ist aber nicht geschehen und deshalb herrscht in Israel schon lange eine sehr kritische Haltung gegenüber UNRWA.
Innerhalb der israelischen Bevölkerung hat die Entscheidung für ein Verbot von UNRWA keine große Welle geschlagen. Im Gegenteil, viele stehen hinter der Entscheidung. Die israelischen Behörden kritisieren schon seit Jahren, dass an den Schulen, die von UNRWA betrieben werden, Judenhass geschürt werde und die Lehrbücher antisemitische Inhalte hätten. Darum wird UNRWA von vielen auch als Feind wahrgenommen.
tha