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"Unsane"
Soderbergh schwärmt von der Bildqualität seines Handyfilms

US-Regisseur Steven Soderbergh hat seinen neuen Kinofilm "Unsane" komplett mit dem Smartphone gedreht. Die meisten Regisseure hätten noch nicht darüber nachgedacht, was mit dieser neuen Technologie möglich sei, sagte Soderbergh im Dlf. Die Bildqualität habe ihn beeindruckt.

Steven Soderbergh im Gespräch mit Sigrid Fischer |
    Der US-amerikanische Filmregisseur, Filmproduzent und Drehbuchautor Steven Soderbergh am 21.08.2017 in London zur Premiere des Films Logan Lucky.
    Drehen mit dem Smartphone: Für Regisseure bedeute das einen "philosophischen Quantensprung", sagte der US-amerikanische Filmregisseur Steven Soderbergh im Dlf (imago / Landmark Media)
    Sigrid Fischer: Regisseur Steven Soderbergh, einstiger Shooting Star mit "Sex, Lügen und Video", hat sich vor fünf Jahren frustriert vom Kino verabschiedet. Er war ausgelaugt und enttäuscht von den Studios, die keine Risiken mehr eingehen wollen. Er hat es nicht lange ausgehalten: Letztes Jahr kam er mit "Logan Lucky" zurück, der Underdog-Version von "Ocean’s Eleven". Dafür hat er ein eigenes Finanzierungsmodell entwickelt, das ihn unabhängig von den großen Studios macht. Nach der interaktiven Serie "Mosaic" hat er seinen neuen Film komplett mit dem Smartphone gedreht. Eigentlich wollte er ihn beim Streamingdienst herausbringen, war dann aber so sehr von der Bildqualität überzeugt, dass er ihn auf die Leinwand bringen wollte.
    In "Unsane" spielt "The Crown"-Star Claire Foy eine junge Frau, die wegen eines Stalkers Stadt und Job wechselt, gegenüber einer Psychiaterin von ehemaligen Selbstmordgedanken spricht und unbemerkt ihre stationäre Einlieferung in die Klinik unterschreibt - ein Trick der Klinik, um die Betten zu belegen. Als sie behauptet, einer der Pfleger sei jener Stalker, glaubt man ihr nicht und setzt sie unter Medikamente, die sie an ihrer eigenen Wahrnehmung zweifeln lassen.
    Kleiner Käfig um das Smartphone
    Sigrid Fischer: Steven Soderbergh, über die Vorteile beim Dreh mit dem Smartphone haben Sie oft gesprochen: "Man ist freier und flexibler". Aber wo liegen die Nachteile, wo fühlten Sie sich eingeschränkt, vor allem künstlerisch?
    Steven Soderbergh: Die einzigen Einschränkungen – und einige davon sind lösbar, ich war nur zu ungeduldig und wollte keine Zeit darauf verschwenden – Einschränkungen sind, dass die Kamera sehr, sehr empfindlich auf Erschütterungen reagiert. Für jemanden wie mich bedeutet das: Schwenks in verschiedene Richtungen, wie vom Kamerawagen aus, werden zum Problem. Das lässt sich lösen, indem man einen kleinen Käfig um das Smartphone baut und es dann auf ein Stativ montiert. Und den Käfig könnte man sicher auch ganz einfach schwerer machen, so dass es nicht so ruckelt. Ich habe diese Einstellungen mit Smartphone-Halterung und im Rollstuhl sitzend gedreht. Aber ich habe gar nicht viel darüber nachgedacht, was nicht gehen würde - warum sollte ich mich lange damit aufhalten, wenn doch so vieles andere möglich war? Es war schon insgesamt sehr befreiend.
    Philosophischer Quantensprung für Regisseure
    Fischer: Aber können Sie Filme jeden Genres und jeden Budgets mit dem Smartphone drehen? Zum Beispiel Ihren Film "Traffic"?
    Soderbergh: Die kurze Antwort ist: ja. Die längere lautet: Der Regisseur muss dabei eine Art philosophischen Quantensprung vollziehen, was für viele nicht so leicht ist. Die meisten Regisseure haben noch nicht wirklich darüber nachgedacht, was mit dieser neuen Technologie vor sich geht. Das Problem ist: Ich drehe zum Beispiel einen 35 Millionen teuren Kostümfilm auf einem Handy, das 700 Euro kostet. Das empfinden einige Leute als falsch und sperren sich. Ich sehe das anders.
    Als ich das Ergebnis auf der Leinwand gesehen habe, konnte ich nicht glauben, wie gut das aussieht. Ich war so beeindruckt von der Bildqualität, dass zumindest ein Teil von mir gedacht hat: Das müssen die Leute im Kino sehen, damit sie verstehen, was inzwischen alles möglich ist.
    "Eine Form von Filmbusiness, in dem ich gerne arbeiten möchte"
    Fischer: Erst wollten Sie "Unsane" ja bei Netflix rausbringen. Und, Steven Soderbergh, als wir das letzte Mal sprachen, haben Sie sich vom Kino verabschiedet, Sie waren frustriert und enttäuscht, nachdem niemand Ihren Film "Liberace" finanzieren wollte. Das war 2013. Jetzt drehen Sie doch wieder fürs Kino. und auch mit einer Majorfirma, Twentieth Century Fox. Haben Sie die Frustration überwunden?
    Soderbergh: Ja, denn es ist mir gelungen, eine Form von Filmbusiness zu schaffen, in dem ich gerne arbeiten möchte; und die Teile zu eliminieren, die mir nicht gefallen. Auch in diesem Fall lautete der Deal, dass die Fox nicht die Kontrolle über die Marketingkampagne bekommt. Wenn ein Film von mir ins Kino kommt, dann nach dem System, das ich für "Logan Lucky" etabliert habe. Mal sehen, wie lange der Fox das gefällt, dass sie nicht die US-Rechte an meinen Filmen hat. Ich bin da ganz opportunistisch rangegangen.
    #MeToo-Debatte: "Hoffe, das mündet in eine allgemeine Diskussion über Arschlöcher"
    Fischer: Die Geschichte von "Unsane" führt ja gewissermaßen mitten in die #MeToo-Debatte, als hätten Sie es vorausgesehen. Eine Frau wird gestalkt, aber ihr glaubt niemand und sie landet in der Psychiatrie.
    Soderbergh: Das Problem, dass man ihr nicht glaubt, hat durch die öffentlichen Diskussionen jetzt natürlich noch eine ganz andere Dimension als vor einem Jahr. Aber ich hoffe, das alles mündet in eine allgemeine Diskussion über Arschlöcher. Aber in einem System gefangen zu sein, das dir die Identität nimmt, das hat was Kafkaeskes. Mit dem Begriff sollte man vorsichtig sein, aber es gibt ihn ja, weil er über etwas geschrieben hat, das er hat kommen sehen. Nämlich: dass Systeme und Institutionen ganz schleichend die Macht über unser Leben bekommen, und dass das normal wird und wir das akzeptieren. Also Geschichten, in denen ein Einzelner versucht ein System zu stürzen, das ihn unterdrückt - die interessieren mich grundsätzlich.
    Steven Soderbergh und Claire Foy
    Regisseur Steven Soderbergh und Schauspielerin Claire Foy stellen auf der Berlinale den Film "Unsane" vor. (picture alliance/dpa/Foto: Hubert Boesl)
    Fischer: Sie haben immer gerne experimentiert, Sie haben neben Ihren Big-Budget-Filmen immer kleine Filme gedreht, "Kafka" zum Beispiel. Die hatten wenig Erfolg, Sie galten ein bisschen als "der Kunstfreak". Jetzt experimentieren Sie wieder, zum Beispiel mit Ihrer interaktiven Fernsehserie "Mosaic", jetzt der Handydreh. Wenn Sie damals und heute vergleichen - ist das der gleiche Experimentiergeist?
    Soderbergh: Ich denke nicht ständig darüber nach, wie man mich in dem, was ich tue, von außen wahrnimmt. Ich denke nicht wie H.G. Wells, der gesagt hat: "Ich bin der Vogel, Ihr seid die Ornithologen". Ich finde das Gesamtwerk immer wichtiger als das einzelne Projekt. Deshalb ist meine Produktivitätsrate wahrscheinlich höher als bei anderen. Ich denke nicht jahrelang über den nächsten Film nach, damit er ein Meisterwerk wird. Das funktioniert für mich nicht. Meine Erfahrung war schon ganz früh: Je schneller ich arbeite, desto besser arbeite ich. Das bin ich. So habe ich irgendwann herausgefunden, dass ich ein Regisseur bin, der den Job wie Sport betreibt. Da liegt meine Stärke.
    Gratiswerbung für den Smartphone-Hersteller
    Fischer: Das Einzige, das mir an "Unsane" nicht gefällt, ist die Tatsache, dass ein Smartphone-Hersteller, dessen Steuerpraktiken einem nicht gefallen können, dass der durch die vielen Medienberichte über Ihren Film jetzt sehr viel Gratiswerbung bekommt. Ich hoffe mal, der hat wenigstens dafür bezahlt und Ihnen die Geräte spendiert?
    Soderbergh: Oh, die Interviewzeit ist um! ... Nein, ich habe kein Geld bekommen. Okay, es ist wichtig, über das Ethos der Großkonzerne zu sprechen und darüber, wie sie wirtschaftlich agieren. Aber sie sind nicht die Einzigen, und sie tun nichts Illegales. Wir können nur auf sie einwirken indem wir sie fragen: Findet Ihr das okay, wie Ihr Eure Geschäfte organisiert? Aber ja, Sie haben recht, die kriegen jetzt gratis Werbung. Aber es hätte auch jede andere Firma sein können.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.