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Unseld. Eine Biographie

Peter Suhrkamp verglich ihn mit einer "jungen Dogge". Günter Grass beschrieb ihn als "pompösen Mann, der alles zweimal sagt." Jürgen Habermas lobte seine "mentalitätsbildende Kraft", und für Amos Oz war er ein "sanfter Herrscher". Im Mai 1989 besuchte Siegfried Unseld seinen Autor Amos Oz in Israel. Als sie zu einem Abendspaziergang in der Wüste von Arad am Toten Meer aufbrachen, erzählte Unseld unvermittelt von der Zeit, die er als Funker bei der Wehrmacht in Russland verbracht hatte. Oz sagte daraufhin, dass einige seiner Familienangehörigen von den Deutschen ermordet worden seien. Die Zurückhaltung und das Misstrauen des jüdischen Schriftstellers gegenüber seinem deutschen Verleger waren greifbar. Im Anschluss an die Begegnung aber hielt Amos Oz in wenigen Sätzen den Eindruck fest, den Unseld bei ihm hinterlassen hatte:

Jörg Magenau |
    Ein großer, energischer Mann, der noch größeren Raum im Zimmer einzunehmen scheint, als er tatsächlich einnimmt, ein Mensch, der weiß, was er will und es versteht, allen um ihn herum seinen Willen kundzutun, aber aus diesem starken Mann lugt, wie durch eine schmale Luke, ein neugieriges, ja sogar schüchternes Kind hervor, dessen Empfindsamkeit ihn dazu gebracht hat, sich mit Büchern zu befassen.

    Wer immer mit Siegfried Unseld während seiner nun schon über fünfzigjährigen Verlegerlaufbahn zu tun hatte, war beeindruckt von der körperliche Präsenz dieses Mannes, von seiner schwitzenden, zupackenden Gegenwart, die keinen Widerspruch duldet und seiner dröhnenden Siegesgewissheit, die alle Skepsis mit demonstrativer Selbstsicherheit überrollt. Siegfried Unseld war und ist ohne Zweifel die imposanteste Verlegerfigur der Bundesrepublik. Der Suhrkamp-Verlag, dem er seit 1951 angehört und den er seit 1959 leitet, prägte wie kein anderer die westdeutsche Geistesgeschichte. Ganze Generationen lasen Hermann Hesse, den Säulenheiligen des Verlages und des Verlegers. Die 20-bändige Brechtausgabe gehörte in jede linke studentische Büchersammlung. Adorno, Bloch, Benjamin, Habermas und ein paar Jahre später dann Niklas Luhmann sind ohne den Suhrkamp-Zusammenhang nicht zu denken. Walser, Johnson, Frisch, Enzensberger, Bachmann, Thomas Bernhard, Peter Handke oder Peter Weiss landeten im Suhrkamp-Verlag - wo sonst.

    Es ist eine Herausforderung, die Geschichte dieses Verlages nachzuzeichnen und das Leben des Mannes zu erzählen, der sie ermöglicht hat. Der Journalist Peter Michalzik hat sich daran versucht und ein Buch vorgelegt, das den schlichten Titel "Unseld. Eine Biographie" trägt. Wer eine Biographie zu Lebzeiten verfasst, steht vor der misslichen Situation, es mit zurückhaltenden, vorsichtigen Zeugen zu tun zu haben, die wissen, dass der, über den sie plaudern, sie dafür noch zur Rede stellen kann. An die wirklich interessanten Quellen wie Tagebücher und persönliche Briefe kam Michalzik nur ausnahmsweise heran. Er stützt sich auf einige Gespräche mit Unseld, die der Verleger dem Biographen nach anfänglichem Zögern gewährte. Bereits veröffentlichte Dokumente wie Unselds Briefwechsel mit Uwe Johnson sind ebenso eingearbeitet wie unveröffentlichte Quellen: Korrespondenzen mit Gottfried Benn, Johannes Bobrowski oder Günter Eich und rund sechzig Interviews mit Freunden oder Feinden. Manche muntere Anekdote hat Michalzik damit geschöpft, kommt aber in anderen Passagen nicht über eine eher trockene Verlagschronik hinaus. Eine zentrale Beziehung wie die zu Martin Walser wird als echte Männerfreundschaft, in der es darum ging, möglichst viele Frauen ins bett zu bekommen, etwas eindimensional dargestellt. Die Freundschaft mit Marcel Reich-Ranickikommt dagegen seltsamerweise fast gar nicht vor.

    Noch bevor die Biographie überhaupt erschienen war, verschickte der Suhrkamp-Verlag an sämtliche Redaktionen des Landes eine lange Liste der Irrtümer, Schlampigkeiten und Fehler, die dem Autor unterlaufen sind. Unseld selbst ist seit Monaten schwer krank und konnte nicht reagieren. Nun sprach also sein Verlag für ihn. Dabei hatte Suhrkamp das Verfahren, ein Buch vor Erscheinen zu kritisieren, vor ein paar Monaten noch mit gutem Grund zurückgewiesen, als es um Martin Walsers Roman "Tod eines Kritikers" ging.

    Die Errata-Liste untergräbt den Gebrauchswert des Buches als einer Dokumentation, die gerade auf das Faktische und den Materialreichtum Wert legt. Es handelt sich zwar überwiegend um Kleinigkeiten und viel Detailkrämerei. Ob Uwe Johnson und Günter Eich nun am ersten oder am zweiten Verlagsabend der Buchmesse 1959 lasen, ob es vierzehn oder sechzehn Jahre dauerte, bis Ingeborg Bachmann zum Verlag stieß, ist faktisch wichtig, aber nur für Eingeweihte interessant. Man wird den Eindruck nicht ganz los, dass ein Autor, der sich ins Allerheiligste der Bundesdeutschen Literaturgeschichte vorgewagt hat, nun vom Kirchenpersonal abgestraft und aus den heiligen Hallen wieder hinausgeworfen wird. Dabei ist Michalziks Darstellung keineswegs respektlos. Er hat lediglich versucht, Geistesgeschichte in Augenhöhe und ohne den üblichen Orgelton der Ehrfurcht zu beschreiben. Dass der Verleger dabei weniger als Visionär denn als gewitzer Geschäftsmann erscheint, mag Nachlassverwaltern missfallen, ist aber durchaus zu diskutieren.

    Lesern, die die Suhrkamp-Liste nicht kennen, die aber auf Faktentreue wert legen, muss nun von der Lektüre des Buches abgeraten werden. Oder sie lesen es als das, was im Grunde jede Biographie ist: als Roman, als fiktionales Gebilde mit konstruierten Zusammenhängen, die im Rückblick dann ein Leben ausmachen. So, als Roman betrachtet, hat Michalziks Buch durchaus seine Stärken. Zu verstehen wäre er dann als Psychogramm eines Helden, der stets versuchte, "mehr zu werden, als er ist oder war." Darin sieht Michalzik "die zentrale Bewegung, das Motiv dieses Lebens."

    Den teilweise widersprüchlichen Selbstauskünften Siegfried Unselds wollte der Biograph nicht trauen. Unseld hätte gerne ein Bild von sich festgelegt, das ihn als Helden eines großen Epos zeigt. Der Ton, den er vorgab, war der einer Heiligenlegende. Michalzik wehrt sich gegen diese Erzählweise und verfällt deshalb manchmal in den aggressiven Gestus des Mythenzertrümmerers. Und doch ist auch er nicht immer frei davon, Legenden zu reproduzieren. Eine davon stellt er gar ins poetische Zentrum des Buches. Es ist, wie bei so vielen Vertretern dieser Generation, eine Kriegsgeschichte. Unseld, Jahrgang 1924, betrachtet sie als Urerlebnis, das all sein weiteres Empfinden und Agieren bestimmt:

    Ich war auf der Insel Krim, und dort war die letzte Bastion, die die Deutschen noch hielten, sechs Kilometer südlich von Sewastopol, das Fort Maxim Gorki. Die Russen waren schon eingebrochen, hatten Sewastopol eingenommen. Und wir waren immer noch die kleine Funkstelle, die die Führerbefehle entgegennehmen musste - kämpfen bis zur letzten Minute. Nun war es so, dass die Russen keine Marine gefangen genommen haben, sondern wenn sie auf Marineangehörige trafen, wurden diese sofort erschossen. Das hing damit zusammen, dass der Krim-Kommandant ein Admiral der Marine war. Wir konnten uns also ausrechnen, was geschah. Die Russen kamen, und da hat ein Offizier dann zu mir gesagt: Wollen wir nicht einfach versuchen von den Steilfelsen zu klettern und ins Meer hinaus zu schwimmen und einfach versuchen, Glück zu haben? Und so haben wir es gemacht. Wir waren drei Leute. Einer ist untergegangen, weil ihn eine Granate getroffen hat, ein anderer aus schwäche, und ich bin weitergeschwommen und irgendwann ... Wir sind abends um neun ins Wasser gesprungen, gegen fünf oder so etwa war da ein schwarzer Schemen, das konnte natürlich ein deutsches wie ein russisches Boot sein. Es war aber ein deutsches Schnellboot.

    Schwimmen besitzt für Siegfried Unseld seither eine symbolische Dimension. Es bedeutet Kraft und Überleben, es steht für Erfolg und Dynamik und für die Gewissheit, das Glück erzwingen zu können. Michalzik schiebt nun zwischen die einzelnen, chronologisch geordneten Kapitel kurze poetisierende Stücke als fiktive innere Monologe, die alle mit Wasser und Schwimmen zu tun haben. Es sind kleine Genrebildchen eines Heiligenlebens: Der Knabe, der in der Donau bei Ulm das Schwimmen lernt. Der junge Mann, der seine zukünftige Frau am Blautopf in Blaubeuren zum ersten Rendezvous trifft. Der machtbewusste Verleger, der seine Bahnen im Schwimmbad zieht und dabei über Lektoren und Autoren nachdenkt. Selbst Hermann Hesses Siddharta, der dem tausendstimmigen Lied des Flusses zu lauschen verstand, fügt sich in dieses Kompositionsprinzip.

    Deutlich wird dabei aber vor allem ein Mangel dieser Lebensgeschichte: Michalzik gelingt es nicht, Nähe herzustellen zu diesem Menschen und ihn aus der Beschreibung heraus begreiflich zu machen. Er deutet ihn psychologisierend und also spekulativ aus. Um ihn nicht nur als Handelnden zu zeigen, sondern gewissermaßen von innen heraus zu verstehen, weicht er in die Unschärfe der Poesie aus.

    Wenn es so etwas wie eine zentrale Motivationslinie in diesem Leben gibt, dann ist es die Vater-Sohn-Thematik. Michalzik ordnet sie zur griechischen Tragödie, die vom Vaterverlust über die Vatersuche bis zum Drama des alten Mannes reicht, der seinen Sohn verstößt und vergeblich nach einem Nachfolger sucht. Unselds Vater war Verwaltungsbeamter in Ulm, strenges Familienoberhaupt, NSDAP-Mitglied und in der Reichspogromnacht von 1938 aktiv an der Zerstörung von Synagogen beteiligt. Dafür wurde er in der Nachkriegszeit angeklagt und zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Seine Schuld wurde in der Familie mit Scham und Schweigen behandelt. Siegfried Unseld brachte es im Jungvolk der Hitlerjugend immerhin zum "Stammführer", der das Kommando über 600 Jungen hatte. Nach dem Krieg berief er sich auf die Verführbarkeit der Jugend. Sein Vater aber kam für ihn als Vorbild nicht mehr in Frage. Der Vater starb 1951 wenige Tage nachdem der Sohn mit einer Arbeit über Hermann Hesse die Promotion erfolgreich abgeschlossen hatte. Das ergibt eine schöne Pointe für den Biographen: Der Sohn, groß und stark, tritt ins Leben hinaus, während der einst so mächtige Vater am Boden liegt.

    Doch mit dem Tod ist man den Vater nicht los. Michalzik versteht Unselds rastloses Erfolgsstreben als fortgesetzte Vater-Suche und führt Hermann Hesse als den wohl wichtigsten seiner Ersatz-Väter ein. Hesse war es, der Peter Suhrkamp ermunterte, sich selbständig zu machen und den Fischer-Verlag zu verlassen. Hesse stellte den Kontakt zur Schweizer Industriellenfamilie Reinhart her, deren Stammkapital die Gründung des Suhrkamp-Verlages überhaupt erst ermöglichte. Hesse machte Unseld mit Peter Suhrkamp bekannt. Hesse war es auch, der Peter Suhrkamp die Idee nahebrachte, Unseld als seinen Nachfolger einzusetzen. So ist die Treue, die Unseld gegenüber Hesse bis heute bewahrt, durchaus zu verstehen. Unverbrüchliche Treue zu seinen Autoren gehörte für ihn grundsätzlich zu den Prinzipien seiner Arbeit. Doch keinen anderen Autor hat er derart popularisiert. Mit immer neuen Auswahlbänden und Sprüchesammlungen rüstete er Hesse zum Weltweisen auf, und ließ sich auch dadurch nicht stören, daß er für diese Leidenschaft im Verlag und in der literarischen Öffentlichkeit ein wenig belächelt wurde. Der Suhrkamp Verlag war von Anfang an eine Art Kirche, so wie sie Hesse in seinem Roman "Das Glasperlenspiel" als klösterlich abgeschiedene Glaubensgemeinschaft imaginiert hatte. Michalzik bezeichnet "Das Glasperlenspiel" treffend als inoffizielles Gründungsmanifest des Suhrkamp-Verlages, als "das Buch für alle, die sich in trüben Zeiten in eine bessere Welt zurückziehen wollten."

    Die Geschichte des Suhrkamp-Verlages ist aber keine Geschichte des Rückzugs, sondern eine unglaubliche Erfolgsgeschichte ökonomischer Expansion und geistiger Hegemonie. Als linke Intellektuelle in den 60er Jahren gegen die Kulturindustrie zu Felde zogen, richtete Unseld sich häuslich darin ein - ohne doch die Ansprüche eines Elitebewusstseins zu verraten. Michalzik arbeitet diesen Widerspruch scharf heraus und macht damit die zentrale Stellung des Verlags in der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit für gut zwei Jahrzehnte plausibel:

    Der einzige, den der Widerspruch zwischen individualistisch verstandener deutscher Geistesgeschichte und amerikanisch verstandener Massenkultur nicht verunsichert hat, ist Siegfried Unseld gewesen. Er arbeitete von Anfang an in dem Gefühl, kein Reinhard Mohn, kein Axel Springer, kein Henri Nannen und auch kein Rudolf Augstein zu sein, diese Lenker der Meinung, die sich dem Publikum mit ihren Publikationen immer auch andienen mussten. Er war, das war für Unselds Selbstverständnis fundamental, kein Konzernverleger. Unseld fühlte sich durch die junge aber eindeutige Suhrkamp-Tradition von vorn herein gegen die Vorwürfe der Anbiederung an den Massengeschmack gefeit. Seine Botschaften, selbst wenn er es schaffte, sie ähnlich massenhaft und vielleicht sogar nachhaltiger unter das Volk zu bringen wie jene Herren der öffentlichen Meinung, waren anders. Sie entstammten der echten deutschen Geistesgeschichte und kamen aus den inneren Bezirken der Moderne, und das ist für Unseld ein sakraler Bereich gewesen.

    An dieser Stelle greift Michalzik erneut die Vater-Sohn-Thematik auf. Als Unseld sich 1968 gegen aufbegehrende Lektoren im eigenen Verlag zur Wehr setzte, wechselte er da nicht endgültig von der Seite der Söhne auf die des Vaters, von der des Aufrührers zu der des Kapitalisten? War er als Vertreter der sogenannten Flakhelfer-Generation ein typischer Vertreter der "vaterlosen Gesellschaft", als die sich die 68er verstanden oder gehörte er bereits zu den Repräsentanten des Establishments, die als Vaterstellvertreter bekämpft wurden? Unseld war beides zugleich, doch er war unangreifbar, weil sein Verlag die Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit als zentrales Aufgabenfeld begriff. Einen Autor wie Paul Celan setzte Unseld auch gegen den Widerstand seiner Lektoren durch. Und er unterstützte es, dass die Edition Suhrkamp zum Synonym für linke Theorie wurde, auch wenn er selbst nicht unbedingt ein Linker war. Vom Marxismus über Kritische Theorie und französischen Strukturalismus bis zur Systemtheorie in den achtziger Jahren behielt Suhrkamp die Diskurshoheit. Schon 1973 prägte der Literaturprofessor George Steiner das Wort von der "Suhrkamp-Kultur", das seither in keiner Werbebroschüre des Verlages fehlen darf. In einem Aufsatz über Adorno hatte Steiner geschrieben:

    Wie Bloch und Walter Benjamin, hat Adorno enorm von dem profitiert, was mancher die Suhrkamp-Kultur nennen mag, die heute die deutsche Literaturszene und philosophische Wertschätzungen in weiten Teilen dominiert. Fast im Alleingang, durch die Kraft kulturell-politischer Visionen und fachlichen Scharfsinn, hat das Verlagshaus Suhrkamp einen modernen philosophischen Kanon geschaffen. Insoweit es die wichtigsten und anspruchsvollsten philosophischen Stimmen unserer Zeit erreichbar gemacht hat, insoweit es die deutschen Bücherregale mit der Präsenz des deutsch-jüdischen intellektuellen und aufregenden Genius gefüllt hat, welchen die Nazis auslöschen wollten, war die Suhrkamp-Initiative ein permanenter Gewinn. Aber die Gefahr unkritischer Heiligsprechung existiert.

    Was George Steiner in den Siebzigern noch auf einzelne Editionen bezog, wurde in den neunziger Jahren unübersehbar. "Ohne Sohn" nennt Peter Michalzik das letzte Kapitel. Die Überschrift verweist auf das ungelöste Problem der Nachfolge. Der Verlag besitzt eine große Vergangenheit, aber vielleicht keine Zukunft. Der Verleger ist nun vor allem mit der Musealisierung seiner selbst beschäftigt. Fast gespenstisch wirkt die Szene, in der er seinen Biographen in den Keller der Frankfurter Wohnung führt, wo hinter einer Eisentür in einem feuergeschützten Bunker über 12.000 Bücher lagern - alle Bände, die jemals im Suhrkamp Verlag erschienen sind.

    Zärtlich streichelt Unseld mit Augen und Händen immer wieder über diese Bücher, sie sind ihm Freude, Bestätigung, Trost. Hier unter atmet er tiefer. Dieser Keller ist der Versuch, die großen Jahre zu konservieren: Der Verlag als Denkmal. In jedem Versuch der Konservierung steckt von vorn herein die Angst, dass sich alles in Rauch auflösen könnte. Es ist, wie wenn Unseld nach den Sternen gegriffen habe und dabei so hoch gestiegen sei, dass er es bis heute nicht glauben kann.

    Vielleicht hat es damit zu tun, dass Siegfried Unseld nicht loslassen kann. Dass er nicht weitergeben kann, was für die Ewigkeit gedacht ist. Dass er "ohne Sohn" ist, hat er sich selbst zuzuschreiben. Sein Sohn Joachim, den er von klein auf dafür ausgebildet hatte, eines Tages den Verlag zu übernehmen, arbeitete bereits im Verlag und war mit weitgehenden Vollmachten und Anteilen ausgestattet. 1989 drängte er massiv danach, die Nachfolge offiziell anzutreten. Doch der Vater wollte nicht weichen. Es kam zum Konflikt und zum Zerwürfnis, zu einem Bruch, der nie wieder zu kitten war. Seither ist Unseld damit beschäftigt, Ersatz-Söhne zu finden. Michalzik referiert die Auf- und Abtritt von Arnulf Conradi, Thedel von Wallmoden, Christoph Buchwald und anderen, ohne dabei wirklich Neues vorzutragen. Mit der Gründung der Suhrkamp-Stiftung, der jüngst erst den Verlag erschütternden Debatte um Martin Walsers Roman "Tod eines Kritikers" und dem Aufstieg des Verlagsleiters Günter Berg findet das Nachfolge-Drama ein vorläufiges, ungewisses Ende. Unseld ist verstummt. Nun wird über ihn gesprochen.

    Trotz der vorweggenommenen Widerlegungen aus dem Suhrkamp-Archiv lohnt Michalziks "Unseld" durchaus die Lektüre. Das Buch ist für eine Biographie vielleicht etwas zu kleinteilig geraten. Für einen Roman fehlt ihm der große Atem. Doch man erfährt eine Menge über das Personal und die Auseinandersetzungen im geistigen Zentrum der alten Bundesrepublik und über einen Mann, der so oder auch ganz anders vorzustellen ist.