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Elfriede Jelinek: „Angabe der Person“
Unter Verdacht

Vor einiger Zeit bekam Elfriede Jelinek, Nobelpreisträgerin aus Wien mit Zweitwohnsitz in München, Besuch von der deutschen Finanzpolizei. Das traumatische Erlebnis hat sie in der genreoffenen Anklageschrift "Angabe der Person" aufgearbeitet.

Von Günter Kaindlstorfer |
Elfriede Jelinek: "Angabe der Person"
Wenn die Steuerfahndung zweimal klingelt, versteckt sich nur ein Alfons Schuhbeck im Topfkarussell. Elfriede Jelinek hingegen keilt zurück, mit einem schön jelinekisierenden J'accuse in eigener Sache. (Rowohlt Verlag)
Steuerfahndung bei Elfriede Jelinek: Da muss es ganz schön heftig zur Sache gegangen sein, wenn man der literarischen Anklageschrift glauben darf, die die Autorin da im typischen Jelinek-Sound auf 192 Seiten zu Papier gebracht hat. Adressat der Jelinekschen Attacke: das literatur- und theaterinteressierte Publikum – und ein bisschen wohl auch die deutsche Bundesfinanzbehörde, die der Nobelpreisträgerin mit Hausdurchsuchung, Festplattenbeschlagnahmung und allem, was man seinem ärgsten Feind nicht wünscht, auf den Leib gerückt zu sein scheint:
„Sie haben ganz recht, Ausländer nicht zu mögen, es ist sogar Ihr gutes Recht ...“
... spricht Jelinek die bayerischen Finanzfahnder direkt an. Um anschließend die Demütigungen zu beschreiben, denen sie – wenn ihre Schilderungen denn dokumentarisch zu verstehen sein sollten – in ihrem Münchner Zweitwohnsitz ausgesetzt war.
„Hausdurchsuchungen in meiner Wohnung ... Vor jeder Zimmertür ein stiller Beamter, er darf ja nichts sagen, auch vor der Klotür einer, nehmen Sie nichts raus, und geben Sie nichts rein! Wo werd ich denn! Ich bin ja gar nicht da!, oder sehen Sie mich hier irgendwo? ... Sie laden sich meine Festplatte, die eh schon geladen genug ist, auf Ihre kleine tragbare, die beim Anblick meiner Daten gleich zu ächzen und zu stöhnen beginnt, herunter. Bitte nicht das auch noch! Und das auch noch mir! Das ist meine kleine Welt, die ist mein und ohne Sorgen.“

Eine atemlose Tirade

Was Elfriede Jelinek vorgeworfen wird, erschließt sich nur in Andeutungen. Es muss irgendetwas mit Nebenwohnsitzanerkennung, Doppelbesteuerungsabkommen und „Stammeinlagepflicht“ gewesen sein – was immer das sein mag – aber so genau scheint es Elfriede Jelinek selbst nicht zu wissen. Was sie sehr wohl weiß: dass sie sich zu Unrecht verfolgt und erniedrigt fühlt.
„Jeden Abend liest ein Steuerfahnder nun meine Werke der Gattin und den Kindern vor, und die wälzen sich dann vor Lachen am Fußboden. Sie haben sie beschlagnahmt, meine E-Mails, meine Schriften, also einen Teil davon, ich habe keine Ahnung, welchen, ich nehme an, der private Teil wird sie mehr interessiert haben, obwohl der an Langweiligkeit nicht zu überbieten ist.“
Es geht weiß Gott nicht nur um steuerstrafrechtliche Belange in Jelineks abschweifungsfreudiger Klagsschrift. In einer atemlosen Tirade, einem kunstvoll-hämischen Stream of Consciousness, räsoniert die Nobelpreisträgerin auch über den Wirecard- und Cum-Ex-Skandal, über die Panama-Papers und Ischgler Corona-Bars, über den Brexit und das Fortbestehen nationalsozialistischer Mentalitäten, über Österreichs juvenilen Ex-Kanzler und sein korruptes Boys-Netzwerk und vieles andere mehr. Auch der zynische Umgang der Europäischen Union mit flüchtenden Menschen aus anderen Teilen der Welt ist Thema:
„Schauen Sie, die lassen ihr Boot da einfach herumliegen, gut für die Umwelt ist das nicht, und die Menschen selbst sind es auch nicht, nicht gut für die Umwelt, nicht gut für die Welt, nicht gut für irgend jemand, wenn die ins Wasser fallen. Die zerstechen doch ihre Boote in Sichtweite der Küste, damit man sie rettet. Oder es kommen Hilfsbereite, die sie ihnen zerstechen. Wir durchschauen das aber und retten sie jetzt extra nicht.“

Musikalisch strukturierte Textflächen

„Angabe der Person“ ist ein prototypischer Jelinek-Text. Rhythmus, Takt und assoziativ gesetzte Tempowechsel sind ebenso wichtig, nein, wahrscheinlich wichtiger als die Inhalte, die da verhandelt werden. Nicht umsonst wird von der Kritik seit jeher die Musikalität der Jelinekschen Sprache hervorgehoben, wobei sich der Kabarettist Werner Schneyder vor Zeiten die boshafte Bemerkung nicht verkneifen konnte, es sei die „Musikalität von Osterratschen“, die da zur Geltung komme. Eine Gemeinheit, der man – aufs Ganze gesehen – widersprechen muss. Aber auch für diesen Text gilt: Jelinek jelinekelt – was noch nie wirklich vergnügungssteuerpflichtig war, um eine finanzbehördliche Metapher zu bemühen.
In jedem Fall hat die sarkastische Suada, die die Autorin über 192 Seiten hinweg auf ihre Leserinnen und Leser loslässt, etwas Überwältigendes, zuweilen auch Überforderndes. Inhaltlich läuft der Jelineksche Textschwall auf keine eindeutig zu benennende These oder etwas Ähnliches zu; bei Jelinek läuft nie etwas auf irgendetwas zu; es sind spontaneistisch wirkende „Textflächen“, die die Autorin auffährt, freie Assoziationen, die, wenn überhaupt, musikalischen Strukturprinzipien gehorchen - nach dem Motto: Thema und Variation.
Zu den spannenderen Passagen des Buchs zählen bestimmte Reminiszenzen an Jelineks Familiengeschichte. Vieles kennt man schon aus früheren Texten der Autorin, etwa, wenn die Hassliebe zur tyrannischen Mutter oder die unglückliche Beziehung zum Vater thematisiert werden. Worüber sich die Schriftstellerin bisher aber eher sparsam geäußert hat, ist der jüdische Teil ihrer Verwandtschaft. Dass die Autorin weitschichtig mit dem Wiener Revolutionär Herrmann „Herschel“ Jellinek verwandt ist, der 1848 von Metternichs Schergen hingerichtet worden ist, dürfte bisher kaum bekannt gewesen sein.

Aus der Opferrolle in den kreativen Furor

Wohltuend ist Jelineks Humor, der – auch auf ihre eigenen Kosten – im Text ein ums andere Mal aufblitzt. Etwa wenn die Autorin ihre Neigung ironisiert, sich wie unter Zwang immer wieder auf die Seite der Armen und Entrechteten stellen zu müssen:
„Das ist halt leider meine Spezialität: Opfer suchen und, wenn keine vorhanden, dann Opfer sein!, ich will Spezi von Opfern sein, wenn ich nicht das Opfer selbst sein kann! Lasst mich das Opfer auch noch spielen!“
Wie das Steuerverfahren gegen Elfriede Jelinek ausgegangen ist, wird im Text nicht wirklich mitgeteilt. Den deutschen Finanzbehörden kommt jedenfalls das Verdienst zu, die Autorin in heiligen Zorn versetzt zu haben – und damit auch in einen kreativen Furor, der das Schreiben dieses Textes überhaupt erst ermöglicht hat. Jelinek sollte versuchen, allfällige Nachzahlungen an den Fiskus von der Steuer abzusetzen. Da dürfte sie gute Chancen haben.
Elfriede Jelinek: „Angabe der Person“
Rowohlt Verlag, Hamburg
192 Seiten, 24 Euro.