"Wir begrüßen Sie ganz herzlich zu unserem zweiten FAZ-Mobilitätsgipfel, den wir hier veranstalten. Ich sehe, der Saal ist rappelvoll, das ist ganz wunderbar."
Es ist ein Routinetermin für Andreas Scheuer, aber es ist keinesfalls langweilig, denn an diesem Nachmittag Mitte Februar in Berlin zeigt sich wie im Brennglas, wie der Bundesverkehrsminister Politik betreibt.
Drei Dinge fallen auf. Erstens: die politische Rauflust. Der Moderator lässt sich zu einer saloppen Bemerkung über das Thema Anreise mit der Bahn hinreißen. "Allerdings muss ich sagen, ich bin schon gestern Abend gefahren, weil ich nicht so das Urvertrauen hatte, dass ich hier sonst pünktlich auf der Bühne stehen kann."
Motto: Angriff ist die beste Verteidigung
Es dauert keine Viertelstunde, bis er Schelte vom Minister höchstpersönlich bekommt….
"Haben Sie eigentlich dazu gesagt, ob ihr Zug, pünktlich war? Das ist genau die Bitte, wir sind Meister darin, über das Negative zu berichten. Meine Damen und Herren, wenn wir so Mobilität kommunikativ versehen, nur über das Negative zu kommen – Sie sind jetzt leider das Opfer, tut mir leid – dann werden wir die Menschen nicht begeistern."
Angriff ist die beste Verteidigung, das Motto gilt für den 45-jährigen Scheuer schon seit langem.
Den CSU-Generalsekretär kriegt man nicht aus ihm raus. 2013 bis 2018 war er Zuspitzer und Lautsprecher für den damaligen CSU-Parteichef Horst Seehofer. Scheuer kann austeilen und tut es auch.
Die zweite Beobachtung: Andreas Scheuer hat in seinen Reden einen ausgeprägten Hang zu Satzbausteinen.
Wer ihm öfter zuhört, im Bundestag, auf Konferenzen, kann es eigentlich schon mitsprechen:
"Ohne zuerst über Verbote und Verzicht zu reden, sondern über Innovation und Fortschritt, das wäre mein Anliegen."
Schöne Fotos für die sozialen Netzwerke
Nebenher schießt sein Pressesprecher schöne Fotos für die sozialen Netzwerke Twitter und Instagram.
Die dritte Beobachtung – und hier wird es wieder ernsthafter - ist Scheuers präzise Vorbereitung und seine Liebe zu verkehrspolitischen Details. Neu gebaute Brücken, geförderte Radwege, Straßenausbau, Bahnstrecken im Einflussbereich der Gesprächspartner – Scheuer kennt sie scheinbar alle. Und lenkt mit diesen Details von grundsätzlicher Kritik an seiner Verkehrspolitik ab.
So auf der FAZ-Mobilitätskonferenz in der Diskussion mit Christian Pegel, dem SPD-Infrastrukturminister von Mecklenburg-Vorpommern.
"Man muss ja noch dazu sagen, er hat es ja gerade vergessen, ich habe vor eineinhalb Wochen die Freigabe gegeben für die Darß-Bahn. Da geht es um eine ganz teure Brücke, da hat der Bund gesagt, ja machen wir. Stimmt‘s?"
Vor seiner Zeit als Minister war Scheuer von 2009 bis 2013 parlamentarischer Staatssekretär im Verkehrsministerium unter Peter Ramsauer, ebenfalls CSU. Schon 2005 saß Scheuer im Verkehrsausschuss des Bundestags.
Selbst Kritiker bescheinigen ihm - im Gegensatz zu seinem Vorgänger Alexander Dobrindt - ernsthaftes Interesse, wenn nicht sogar Leidenschaft für die Verkehrspolitik.
Für den Minister aktuell eher ein schwacher Trost - denn politisch ist es für Scheuer sehr ungemütlich geworden.
Der Wendepunkt seiner Amtszeit war der 18. Juni 2019:
An diesem Tag entschied der Europäische Gerichtshof, dass die geplante Pkw-Maut europarechtswidrig war. Nur ausländische, nicht deutsche Autofahrer, sollte die Maut im Ergebnis belasten. Bei der Pressekonferenz kurz danach in München ist Scheuer die Fassungslosigkeit noch deutlich anzuhören:
"Nachdem die EU-Kommission grünes Licht gegeben hat, und der Generalanwalt Anfang des Jahres in seiner Stellungnahme uns in allen Punkten Recht gegeben hat, ist dies heute ein überraschendes Urteil, ja, es ist bedauerlich."
Hohe Schadenersatzforderungen
Es war DER CSU-Wahlkampfschlager 2013, die sogenannte Ausländermaut. Die CSU hat sie gegen Widerstände in den Groko-Koalitionsvertrag hineinverhandelt, später wurde sie in "Infrastrukturabgabe" umgetauft. Die Kernidee: alle zahlen, aber nur Deutsche werden bei der Kfz-Steuer eins zu eins entlastet. Bis zum Ende war hoch umstritten, ob sich das Projekt finanziell überhaupt lohnt.
Bundestag und Bundesrat hatten 2017 dem Gesetz zugestimmt, die Pkw-Maut sollte ab Herbst 2020 Geld in den Bundeshaushalt spülen. Und dann kam das Urteil des EuGH.
Scheuer kündigte die Mautverträge mit den Betreibern. Inzwischen stehen Schadenersatzforderungen von einer halbe Milliarde Euro im Raum.
Mittlerweile tagt deshalb ein Untersuchungsausschuss im Bundestag, unterstützt von FDP, Grünen und Linken, später auch der AfD. Oliver Luksic, Verkehrspolitiker der FDP-Fraktion, ist einer der treibenden Kräfte im Untersuchungsausschuss:
"Was sind die Kernvorwürfe? Minister Scheuer hat ohne Not vorschnell einen schlechten Vertrag unterschrieben. Er hätte das Urteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten sollen. Wie es auch sein Vorgänger Dobrindt immer anmahnte. Außerdem hat er Haushalts- und Vergaberecht gebrochen, dies bestätigt auch der Bundesrechnungshof."
Der Saarländer Abgeordnete meldet sich aus der Bahn in Richtung Berliner Sitzungswoche. Einer der Vorwürfe auf dem 28 Seiten langen Gutachten des Rechnungshofs: Der Verkehrsminister habe das finale Angebot eines Bieters im Rennen um die Maut preislich drücken wollen. Eigentlich hätte er dann aber auch den übrigen Bietern Gelegenheit zu einem neuen Angebot geben müssen.
Grüner: "Im Kern hat er gelogen und betrogen"
Donnerstags ab 13 Uhr in den Sitzungswochen des Bundestags kommt der Untersuchungsausschuss zur Pkw-Maut zusammen, neun Abgeordnete aus allen Fraktionen. Es ist das schärfste Schwert der Opposition, wenn es darum geht, mögliches Fehlverhalten der Regierung zu untersuchen und zu belegen. Einsicht in Akten kann verlangt, Zeugen zur Wahrheit verpflichtet werden.
Das Fazit des Liberalen Luksic bislang: "Der parlamentarische Untersuchungsausschuss ist kein Tribunal, sondern macht sachliche Aufklärung. Minister Scheuer redet von der Hexenjagd, steht eher auf der Bremse. Von maximaler Transparenz ist weiterhin nichts zu merken. Vor allem räumt er auch keine eigenen Fehler ein."
Der grüne Abgeordnete Sven-Christian Kindler kennt sich gut mit Verkehrs- und Haushaltsfragen aus. Er ist zwar nicht Mitglied im Untersuchungsausschuss, als Haushaltspolitiker hat er aber immer einen genauen Blick aufs Geld. Kindler wirft Andreas Scheuer unter anderem vor, dass er Kosten verschleiern wollte, um die Maut auf jeden Fall umsetzen zu können. Der Bundestag hatte Scheuer nur zwei Milliarden Euro zur Umsetzung der Maut zugesprochen, das letzte Angebot vom Konsortium Autoticket der Firmen Eventim und Kapsch lag aber bei drei Milliarden Euro. Kosten wurden, so Kindler, einfach versteckt in der Firma Toll Collect, die eigentlich die LKW-Maut abrechnet und nun Zusatzaufgaben bei der Pkw-Maut aufgebürdet bekommen sollte. Pikant daran: Toll Collect ist erst seit 2018 ein öffentliches Unternehmen. – Infrastruktur-Nutzung zu Billigpreisen:
"Zum Beispiel die Maut-Terminals und andere Tätigkeiten. Und dafür aber keine marktgerechten Preise zu nehmen. Sondern de facto hätte dann eine staatliche Firma die privaten Mautbetreiber subventioniert. Und dafür hätte dann Toll Collect auf Umwegen über den Bundeshaushalt, ohne dass es transparent gemacht wäre, mehrere Hundert Millionen Euro über die Vertragslaufzeit bekommen."
Für Kindler ist klar: "Die Kosten wären trotzdem angefallen, es wäre trotzdem extrem teuer für den Steuerzahler geworden. Aber Andreas Scheuer konnte nach außen hin vorgeben, dass er den Kostenrahmen gehalten hätte. Im Kern hat er aber gelogen und betrogen. Und wer so offensiv das Parlament und die Öffentlichkeit hinters Licht führen will, der kann aus meiner Sicht nicht mehr Minister sein und deswegen müssen Angela Merkel und Markus Söder endlich handeln." Den Rücktritt von Scheuer fordern die Grünen schon lange.
Wenig schmeichelhaftes Fazit
Die Verkehrsexpertin der SPD, Kirsten Lühmann, geht nüchterner an die Sache heran. Sie ist in einer Doppelrolle: Auf der einen Seite will sie mögliches Fehlverhalten von CSU-Minister Scheuer aufklären, auf der anderen Seite regieren Sozialdemokraten und Union gemeinsam in der Großen Koalition. Ihre Haltung: Alles muss auf den Tisch, aber fair und sachlich. Zentral für sie:
"Die Opposition behauptet ja, dass Herr Scheuer das Parlament belogen hat. Die Opposition will uns Beweise vorlegen, dass die Betreiberfirma Herrn Scheuer angeboten hat, den ausgehandelten Vertrag erst nach Urteilsverkündung zu unterzeichnen. Herr Scheuer sagt eindeutig, dieses Angebot hat es nie gegeben. Ich bin gespannt, ob die Opposition diese Beweise vorlegen kann."
Falls diese Beweise kommen, müsse Scheuer allerdings gehen, so Lühmann. Und auch ihr Fazit nach den ersten drei Expertenanhörungen– wenig schmeichelhaft: "Die Argumente, die der Minister und das Verkehrsministerium gebracht hatten, wurden von keinem der Sachverständigen, auch nicht von den Zeugen eindeutig bestätigt. Alle Zeugen und Sachverständigen haben Zweifel daran gesät, dass das alles so in Ordnung gewesen ist."
Union: keine vorschnellen Rücktrittsforderungen
Viele der Abgeordneten von CDU und CSU nehmen Scheuer in Schutz und warnen: keine Vorverurteilungen. Keine vorschnellen Rücktrittsforderungen. Einer, der zu ihm steht, ist Alois Reiner, verkehrspolitischer Sprecher der CSU im Bundestag, er gibt die Verteidigungslinie der CSU wider:
"Andreas Scheuer hat das geerbt, er hat die Beschlüsse des Bundestages durchgesetzt oder durchgeführt. Jetzt kann man natürlich streiten, über die Unterschrift ja oder nein, hin oder her. Aber man darf eines nicht vergessen, wenn er nicht unterschrieben hätte, und der EuGH anders entschieden hätte, dann wären uns im Jahr 500 Millionen Mauteinnahmen zumindest für ein Jahr auch verlorengegangen."
Reiner ist nicht Mitglied im Untersuchungsausschuss, aber als verkehrspolitischer Sprecher enger Beobachter.
Eines aber ist jetzt schon klar: der Untersuchungsausschuss kann nur politische Fehler feststellen, nicht die Kosten für den Steuerzahler ermitteln. Ende 2019 hatten die Mautbetreiber 560 Millionen Euro vom Bund gefordert. Wie hoch die Rechnung am Ende wird, muss ein privates Schiedsgericht klären, fernab der Öffentlichkeit. Das Verfahren kann zwei oder drei Jahre dauern. Die Schadenssumme steht also wahrscheinlich erst weit nach Ende der Legislaturperiode und damit nach Ende von Scheuers Amtszeit fest.
Die Forderungen der Mautbetreiber nennt Scheuer unbegründet, Rücktrittsforderungen sind für ihn nur eine "bösartige Kampagne der Opposition."
Geflügeltes Wort in TV-Talkshow
Wieder agiert er nach dem altbekannten Muster Attacke. In der ZDF-Sendung Markus Lanz ist Ende Januar von Selbstkritik nichts zu hören: "Haben Sie viele Fehler gemacht?"
Scheuer: "Nach meiner Bewertung und der Bewertung derer, die mich auch juristisch beraten, ist diese Entwicklung dieser Pkw-Maut, also Infrastrukturabgabe, nach Recht und Gesetz gelaufen. Und wir haben auch in allen Punkten Recht. Das wird jetzt ausgestritten, mehr ist es nicht. Aber natürlich wird darüber ein politischer Streit gemacht. Es ist eine grün-gelbe Hetzkampagne."
Und dann fällt ein Zitat, das schnell ein geflügeltes Wort geworden ist, im Internet hundertfach verballhornt wurde. "Herr Scheuer bitte, wir sollten uns hier nicht gegenseitig Märchen erzählen." Scheuer: "Ich habe eine andere Rechtsauffassung als der EuGH."
Wie wahrscheinlich ist es, dass Scheuer das Ende der Legislaturperiode als Verkehrsminister erlebt? Bundeskanzlerin Angela Merkel, die laut Verfassung Minister ernennt und entlässt, hält weiter tapfer zu ihm. Ende 2019 im Bundestag: "Ich finde, dass Andi Scheuer eine sehr gute Arbeit macht."
Für Antworten muss man also eher einen Blick in seine politische Heimat nach Bayern werfen.
Der wichtigste Entscheider ist Markus Söder, bayrischer Ministerpräsident und noch wichtiger in dem Fall: CSU-Chef. Denn die Parteien bestimmen, wen sie in welches Ministerium schicken. Scheuer hängt also an Söders Gunst. Wenn Söder wackelt, kippt Scheuer – so die politische Gleichung. Und das junge Jahr zeigt: es wackelt und kippelt immer mehr.
Mitte Januar - Klausur der CSU-Landtagsfraktion im oberbayrischen Kloster Seeon. "Natürlich ist das Thema Maut schon ein Mühlstein, den wir im Moment haben. Insofern ist der Untersuchungsausschuss eine Herausforderung, aber auch eine Chance zu zeigen, dass man die Vorwürfe, die im Raum stehen gut und lückenlos aufklären kann. Ich hoffe sehr, dass das gut gelingen kann."
Buhrufe und flache Rede
Nur ein paar Wochen später kommt es noch bitterer für Andreas Scheuer. Politischer Aschermittwoch der CSU in Passau. Eine Traditionsveranstaltung im "Wohnzimmer der CSU" wie Passau hier genannt wird. Scheuer ist hier geboren, wohnt immer noch hier, ist sogar Bezirksvorsitzender Niederbayern.
Und doch gibt es zwei Momente, die ihm das Blut in den Adern gefrieren lassen könnten – schon während der Begrüßung von Generalsekretär Markus Blume Buhrufe und Pfiffe von der Basis.
"Er ist unser Bundesverkehrsminister und der örtliche Bundestagsabgeordnete. Lieber Andi Scheuer, ein herzliches Dankeschön, dass wir in Deiner Heimat hier zu Gast sein dürfen. Hallo und herzlich Willkommen." Scheuer soll den Einheizer geben, aber seine Rede bleibt flach. Kein Wort zur Maut. Am Ende - nur magerer Applaus.
Von der CSU-Spitze gibt es auch in Passau kein Wort der Solidarität. Im Gegenteil, später lässt sich Söder zu einer süffisanten Bemerkung hinreißen: "Diese mutlose FDP, die damals Jamaika versagt hat. Wäre Jamaika gekommen, bei allen Schwierigkeiten, dann wären die Grünen auf Normalmaß, Herr Hofreiter wahrscheinlich Verkehrsminister, der Andi glücklicher in einem anderen Ministerium, liebe Freunde, schätze ich mal, da lacht er." (Gelächter im Saal)
"Von dem halte ich gar net viel"
Das Eis wird dünner, auch zu Hause. Das zeigen auch die Stimmen von der Parteibasis beim Aschermittwoch: "Egal, von welcher Partei, dass man ist, muss man sich eigentlich immer überlegen, was machen so macht."
"Wenn einer die Verträge schon schließt, das ist halt ein Unding, gerade wenn man weiß, dass es schwierig ist."
Sollte der Verkehrsminister bleiben? "Von dem halte ich gar net viel. Mit seiner Pkw-Maut hat er sich ins eigene Knie geschossen." Reporterfrage: "Müsste dann der Söder nicht irgendwann sagen…?" - Antwort: "Ja, das wäre fällig."
Auch CSU-Verkehrspolitiker Alois Reiner aus dem Bundestag war in Passau. Die Buhrufe und Pfiffe aus dem Publikum – ein Novum. "Ich war wirklich sehr überrascht, ich fahre seit Anfang der 1990er-Jahre zum politischen Aschermittwoch. Ich kann mich daran nicht erinnern."
CSU rückt ab von eigener Regierungsbilanz
Michael Weigl ist Politikwissenschaftler an der Universität Passau, spezialisiert auf Parteienforschung und die bayerische Landespolitik. Weigl sagt grundsätzlich über das Verhältnis der CSU zu Scheuer: "Wenn im CSU-Vorstand im Grunde genommen die Solidarität nicht mehr ausgesprochen wird gegenüber Scheuer, das sind alles so Kennzeichen, die zeigen, Du bist ganz ganz kurz vor der roten Karte."
Langfristig stehen die Karten nicht gut für Scheuer, erklärt Weigl. Das habe auch mit der innerparteilichen Machtbalance zu tun. Scheuer wird dem Seehofer-Lager zugerechnet, Seehofer hat ihn erst zum Generalsekretär gemacht, dann als Verkehrsminister ausgewählt.
"Im Moment ist es noch so, dass im Grunde genommen alle wichtigen Posten im Bund in Anführungszeichen Seehofer Leute sind. Alles Leute, die ihre Karriere Seehofer zu verdanken haben. Das ist natürlich für einen Parteivorsitzenden und Ministerpräsidenten Söder eine ungute Situation. Der strategische Zugriff auf dieses Machzentrum ist nicht so stark, wie er sein sollte, aus seiner Sicht."
Am 15. März sind Kommunalwahlen in Bayern, wichtig für die CSU, die dort ihre tiefe Verwurzelung mit guten Ergebnissen zeigen will. Ob Scheuers Unbeliebtheit die Ergebnisse runterzieht? Innerhalb der CSU sieht Michael Weigl ein Abrücken nicht nur von Scheuer, sondern taktisch vom ganzen Verkehrsministerium, dass seit mehr als zehn Jahren fest in CSU-Hand ist und früher für einen zuverlässigen Fluss an Fördermitteln - nicht ausschließlich, aber spürbar - Richtung Bayern gesorgt hat.
"Inzwischen dreht sich das Blatt aber durchaus. Man sieht auch die politischen Widrigkeiten, die mit diesem Amt verbunden sind in einer Zeit, wo der Klimawandel eine ganz andere Rolle spielt. In der überhaupt Umweltfragen eine ganz andere Rolle spielen. In der Mobilität neu definiert wird. Diese politischen Widrigkeiten in der Wahrnehmung sind größer als der Vorteil und der Nutzen, den man daraus ziehen kann. Und insofern ist die CSU schon am Überlegen, ob man das Ministerium noch auf lange Sicht beanspruchen sollte."
So Politikwissenschaftler Weigl. Das Verkehrsministerium ist ein großes Ressort, mit 31 Milliarden Euro im Jahr 2020 das drittgrößte im Bundeshaushalt. Gut 1400 Mitarbeiter in Berlin und Bonn arbeiten an Verkehr und digitaler Infrastruktur. Mehr als 22.000 Mitarbeiter kommen in nachgelagerten Behörden wie dem Kraftfahrtbundesamt dazu. Zuständig für über 50.000 Kilometer Fernstraßen und über 30.000 Kilometer Schiene. Bonus oder Bürde? Noch ist das nicht klar.
Vorwurf: Scheuer fange aktionistisch viele Baustellen an
In den letzten Monaten gab es viele neue Gesetze von Scheuer – mit sperrigen Namen: das Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetz soll wie das Planungsbeschleunigungsgesetz helfen, Straßen und Brücken schneller zu bauen. Mit dem Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz und dem Regionalisierungsgesetz fließt mehr Geld in den Nahverkehr. Die Deutsche Bahn bekommt durch die neue Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung kurz LuFV stolze 86 Milliarden Euro. Die Novelle der Straßenverkehrsordnung soll Radfahrer stärken. So einige Beispiele.
Und trotz dieser vielen Initiativen fällt die fachpolitische Bilanz abseits des Mautdebakels durchwachsen aus. Die neuen Gesetze seien nur ein Anfang, reichten aber – zum Beispiel bei der Bahn - nicht aus für eine Trendwende. Ähnlich sei es beim Klimaschutz. Scheuer fange zwar viel aktionistisch viele Baustellen an, bringe aber wenig zu Ende.
"Aber am Ende kommt es drauf an, um auf der Straße gut fahren zu können, dass die Baustellen auch geschlossen werden. Und da habe ich gerade in der verbleibenden Legislaturperiode doch viele Zweifel, ob all die offenen Baustellen noch rechtzeitig zugemacht werden, oder, ob wir über Dauerbaustellen reden", sagt Christian Hochfeld. Er ist Vorsitzender der Agora Verkehrswende, einem Berliner Think Tank, in dem sich Politik, Umweltverbände und Autokonzerne austauschen.
Zukunft noch nicht entschieden
Verkehrsexperte Hochfeld berät unter anderem in der Nationalen Plattform Mobilität das Verkehrsministerium in Sachen Klimaschutz. Er ist einer der Experten, die sich vom Minister sagen lassen mussten, dass ein Tempolimit gegen jeden Menschenverstand sei. Beim zentralen Thema Klimaschutz ist beim CO2-Ausstoß keine Trendwende nicht in Sicht: auf deutschen Straßen sind so viele Autos wie nie zugelassen, neue Rekordzahlen auch bei SUVs.
"Was wir beschlossen haben, Ende des letzten Jahres auf Vorschlag von Verkehrsminister Scheuer ist ein Klimaschutzprogramm für das Jahr 2030, was definitiv noch nicht die Ziele erreichen wird. Weil das Ambitionsniveau zu niedrig ist", sagt Hochfeld.
Wird Scheuer das Ende der Legislaturperiode erleben? Experte Hochfeld will keine Wetten annehmen, denn da "fragen Sie mich ja als Wissenschaftler und nicht als Wahrsager, von daher kann ich Ihnen darauf keine Antwort geben. Denn wissenschaftlich belegt ist das nicht." Noch ist Scheuers Zukunft nicht entschieden. Er bleibt fürs Erste der aktionistische Wackelkandidat mit Hang zur politischen Rauferei.