Corona zwang die Menschen in den Lockdown und forderte einen hohen Tribut. Ein positiver Nebeneffekt war jedoch, dass andere Atemwegserreger bei all dem Händewaschen, Abstandhalten und Masketragen kaum eine Chance hatten und auch die Grippesaison praktisch ausfiel.
Welche Erreger wurden seltener übertragen?
Unter anderem das Respiratorische Synzytial Virus, kurz RSV, das ist kaum aufgetreten. Von diesem Erreger haben die meisten wahrscheinlich noch nicht gehört, aber RSV ist besonders für Kleinkinder potenziell lebensbedrohlich. Weltweit gesehen gehören Atemwegserkrankungen zur vierthäufigsten Todesursache bei Kleinkindern und da ist oft RSV die Ursache. Deshalb bekommen die besonders gefährdeten Frühchen bei uns vorsorglich im Winter Antikörper gegen RSV gespritzt. Das war vergangenen Winter nicht nötig. Diese positive Nachricht bedeutet aber auch, dass sich das Immunsystem nicht mit diesen Erregern beschäftigen musste und deshalb könnte die nächste RSV-Saison und auch die nächste Grippewelle problematisch werden, sagt auch das Robert Koch Institut in seinem Papier "Vorbereitung auf den Herbst/Winter 2021/22".
Was genau befürchtet das RKI?
Dass die Erkrankungen im Winter heftiger ausfallen könnten, und das auch Lungenentzündungen häufiger als Komplikation auftreten könnten. Silke Buda, beim RKI zuständig für Atemwegserreger meint, jedes Jahr begegnen wir diesen Viren und bauen dabei einen gewissen Immunschutz auf. Der reicht in den nächsten Jahren zur Abwehr der Erreger und wenn er dann schwächer wird, infiziert man sich erneut, aber dann kommt es eben nur zu einem Schnupfen. Diese Anregung des Immunsystems ist vergangenen Winter ausgefallen. Ob das zum Problem wirkt, das kann keiner sagen, aber es empfiehlt sich eben wachsam zu sein. Auf der anderen Seite: wenn wenig Erreger in Umlauf ist, gibt es auch weniger Möglichkeiten für Mutationen, das könnte bei der Grippe auch bedeuten, dass es einfacher ist, für die Impfung das passende Ziel zu finden.
Einige schnupfen und husten jetzt schon, beginnt die Erkältungssaison früher?
In Deutschland sind gerade Rhinoviren und Parainfluenzaviren verstärkt im Umlauf und lassen die Nasen laufen. Das könnte durchaus mit einer gesunkenen Immunität zusammenhängen. Und was RSV betrifft, da sieht man inzwischen auch in den USA vermehrt Fälle und zwar im Sommer, wo dieses Virus normalerweise nicht aktiv ist. In Europa berichten Frankreich und die Schweiz von einem RSV Anstieg. Und auch in unseren Praxen sitzen vermehrt kleine Patienten mit Infektionen der unteren Atemwege, sagte mir Tobias Tenenbaum, Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie. Die rät den Ärzten gezielt auch eine Diagnostik für RSV zu betreiben. Außerdem sollten die Kinderärzte bei Ihren Patienten verpasste Impfungen nachholen, damit die dann zum Beispiel vor Erregern der Lungenentzündung geschützt sind.
Ist das Immunsystem von Kindern durch die Coronamaßnahmen weniger trainiert?
Diese Zeit der Infekte machen Kindern sowieso zu unterschiedlichen Zeiten durch, meist dann, wenn sie in die Kita oder Schule kommen. Aufgrund des Lockdowns wird sich das für viele Mädchen und Jungen nach hinten verschieben, ausfallen wird sie nicht. Die Politik hat ja versprochen alles zu tun, damit Kitas und Schulen besucht werden können. Dann begegnet man nicht nur Spielpartnern, sondern auch all den Viren. Eltern können sich darauf einstellen, dass sie ihre kleinen Kinder dann öfter mit Erkältungen zu Hause haben werden. Die positive Seite: dann wird auch der Immunschutz aufgebaut, wenn auch verzögert.
Kann man etwas für den eigenen Schutz tun?
Laut Robert Koch Institut sollten sich älteren Personen gegen Grippe und andere Erreger wie Pneumokokken und Meningokokken impfen lassen. Frühgeborene sollten auch schon im Herbst Antikörper gegen RSV bekommen, wenn dieses Virus verstärkt auftritt. So sollten sich die Folgen der durch den Lockdown ausgefallenen Immunanregung auffangen lassen.