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Untergegangene Heimat

Waschtag

Von Martin Sander | 14.08.2004
    Als der Tod schon nahe war, dachte der Dichter bei sich.
    Es gab wohl keine Obsession und keine törichte Idee meiner Zeit,
    in die ich mich nicht Hals über Kopf gestürzt hätte.
    Man sollte mich in die Wanne setzen und
    mich so lange bürsten,
    bist der ganze Schmutz von mir abgewaschen ist.
    Und doch, gerade durch diesen Schmutz
    konnte ich ein Dichter des 20. Jahrhunderts sein.
    Und vielleicht wollte es der Herrgott so,
    damit ich ihm von Nutzen sei.

    Czeslaw Milosz, hier zu hören auf einer Lesung im Jahre 2000, blickt zurück auf sein Leben und seine Zeit. Skeptisch und selbstironisch, mit Distanz und doch voller Neugier, so präsentierte sich Mi³osz, einer der bedeutendsten Dichter Polens im 20. Jahrhundert und Nobelpreisträger von 1980, nur zu oft. Zur Welt kam er 1911 in Szetejnie, das damals zum russischen Reich gehörte und heute in Litauen liegt.

    Es war eine Welt, in der es kein Fernsehen gab und kein Radio, und in dem Landkreis, in dem ich wohnte, gab es nur ein einziges Auto, das dem Grafen gehörte. Man reiste sehr lange. Der Ort, wo ich geboren wurde, lag 120 Kilometer von Wilna entfernt. Eine Fahrt dorthin mit dem Pferdefuhrwerk dauerte zwei bis drei Tage. Das war eine sehr malerische Art, die Welt zu entdecken.

    Im ersten Weltkrieg war diese Welt untergegangen. Am Ende des Kriegs erstand Polen als Staat wieder - nach einhundertfünfzig Jahren Fremdherrschaft. Auch Mi³oszs litauische Heimat wurde polnisch.

    Im polnischen Wilna der dreißiger Jahre studierte studierte Milosz Jura und begründete den literarischen Zirkel der "Zagary", der sich gegen die nationalen Mythen der Romantik wandte und eine gesellschaftlich engagierte Kunst zum Programm erhob. Unter der deutschen Besatzung arbeitete der Dichter als Hilfsbibliothekar in Warschau und publizierte Gedichte für den Untergrund. Er schrieb über die Tragödie des Warschauers Ghettos, in dessen unmittelbarer Nähe er lebte. Er schrieb über die Qualen der Opfer und über die Pein des unglücklichen Zeugen, der sich zugleich als glücklich Davongekommenen wahrnehmen muß. Kurz nach der Befreiung von der deutschen Besatzung trat Czes³aw Mi³osz in den diplomatischen Dienst des neuen, kommunistischen Polen.

    Wenige Jahre später, 1951, setzte er sich in den Westen ab - enttäuscht über die Sowjetisierung seines Landes. "Er wählte die Freiheit", so hieß das damals, doch Milosz hielt nicht viel von dieser und anderen Formeln des Kalten Kriegs. Er suchte nach einem eigenen Weg zwischen Ost und West und landete erst einmal zwischen den Stühlen. "Das verführte Denken" hieß seine Analyse der Verführbarkeit von polnischen Schriftstellern durch das kommunistische Regime. Der Dichter besprach darin auch seinen eigenen Fall und begründete mit dem Buch seinen Ruf als glänzender Essayist. Die dominierenden konservativ-nationalen Kreise des polnischen Exils nahmen das Verführte Denken durchaus kühl zur Kenntnis. Sie hielten das Ganze für eine Art kryptokommunistischer Rechtfertigungsschrift, während die polnischen Kommunisten Mi³osz als Büttel der Reaktion geißelten. Der Dichter saß solange zwischen den Stühlen, bis er als Autor der Pariser "Kultura" Erfolg hatte, dem Sprachrohr des weltoffenen, liberalen polnischen Exils.

    Als Lyriker, Essayist und - durch Das Tal der Issa, seinem 1955 erschienenen Roman über seine litauische Kindheit - auch als Erzähler fand Milosz zunehmend internationale Beachtung. 1960 wurde er auf eine Professur für slawische Literaturen im kalifornischen Berkeley berufen. Als Hochschullehrer lehrte er Literatur. Als Lyriker inspirierte er eine wachsende Schar junger amerikanischer Dichter. Seit den neunziger Jahren war Milosz nicht mehr nur in Kalifornien, sondern zumindest zeitweise auch im polnischen Krakau zu Hause. Auch seinen litauischen Geburtsort Szetejnie konnte er nach vielen Jahrzehnten erstmals wieder besuchen. In seinem lyrischen Spätwerk schlug Milosz einen zumeist schlichten philosophischen Grundton an, flocht biblische Motive selbstverständlich in seine Werke, schrieb aber auch gern und beinahe lapidar über seine Leidenschaft für Erdbeermarmelade, die dunkle Süße des weiblichen Körpers und eisgekühlten Wodka. Czeslaw Milosz war ein Poeta Doctus, ein gelehrter Kenner aller Epochen der polnischen und europäischen Literatur. Ein Weiser, der mitunter die Maske des Narren bemühte - im Blick auf das Leben und den Tod.

    Bald ist Schluss mit dem Paradieren,
    Was solls, wozu sich noch groß zieren.

    Ob man mich an-, ob auszieht, ob man sich zuletzt
    an biographischen Details ergötzt.

    Was kümmert es den ausgestopften Bär,
    Ob jemand Fotos von ihm macht, und wer?