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Unterhaus-Wahlkampf in Wales
Ein Arbeiter für die Brexit-Partei

Nirgendwo in Wales haben so viele Wähler für den Brexit gestimmt wie im Ex-Kohlerevier Blaenau Gwent. Dabei ist die Region eine Labour-Hochburg. Der Kandidat der Brexit-Partei hofft nun auf einen Sieg bei den Neuwahlen in Großbritannien. Und er kann damit werben, dass er selbst Arbeiter ist. 

Von Ann-Kathrin Jeske |
Richard Taylor ist Kandidat der Brexit-Partei im walisischen Ex-Kohlerevier Blaenau Gwent
"Ich will den Valleys ihre Stimme zurückgeben": Richard Taylor ist Kandidat der Brexit-Partei im walisischen Ex-Kohlerevier Blaenau Gwent (Deutschlandradio/ Ann-Kathrin Jeske)
So wie heute sehe er normalerweise nicht aus, sagt Richard Taylor. Seine besten Lederschuhe und den guten Anzug habe er angezogen, die Haare sind ordentlich zurückgekämmt. Auf den grauen Wollmantel hat er sich eine große, türkisfarbene Rosette gesteckt: "Brexit Party" steht darauf. Gerade erst hat er die Unterlagen für seine Kandidatur im Wahlkreis Blaenau Gwent eingereicht und tritt nun ganz offiziell für einen Sitz im britischen Unterhaus an.

"Ich habe mein ganzes Leben lang Labour gewählt. Meine ganze Familie hat immer Labour gewählt. Ganze Generationen. Für mich war es immer Labour."
Kritik an Labour und Konservativen
Weil er wie alle in seiner Familie selbst Arbeiter ist. Eigentlich fährt der Kurierfahrer jeden Morgen Briefe und Pakete aus, um seine Frau und seine fünf Kinder zu versorgen. Um ihn habe sich als Kind schließlich niemand gekümmert, sagt er.
"Meine Eltern waren gewalttätig und drogenabhängig. Mein jüngerer Bruder ist an einer Überdosis Heroin gestorben. Ich selbst war auch drogenabhängig, bin in vielen staatlichen Institutionen gewesen und wieder rausgeflogen. Mit 15 bin ich aus dem Pflegeheim, in dem ich untergebracht war, abgehauen und hab auf der Straße gelebt. Ich habe geklaut, um meine Drogenabhängigkeit zu finanzieren. Ich habe also eine Geschichte. Ich bin kein Standard-Politiker."
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Wales - Selbstbewusst im Vereinigten Königreich.
Genau deshalb sei er in die Politik gegangen: Weil er, anders als die Politiker in den weichen Sesseln der Talkshows, das Leben der normalen Leute verstehe.
Taylor kennt den drogenabhängigen Mann, der mit seinem zerbeulten Auto in der Innenstadt von Ebbw Vale laut hupend mitten am Tag auf dem Gehweg fährt. Und er sagt: Weder die konservative Regierung in Westminster noch die Labour-Regierung in Wales kümmere sich um Menschen wie ihn.
Taylor will das "Investment" in die Valleys holen
Ebbw Vale ist die größte Stadt in der ehemaligen Kohle- und Stahlregion Blaenau Gwent. Es ist ein kalter, regnerischer Tag. Nur die grellen Leuchtreklamen der Billig-Discounter und E-Zigarettenshops heben sich vom Grau ab. Der Brexit, verspricht Taylor, werde Ebbw Vale neues Leben einhauchen. Dann werde endlich mehr Geld für alle da sein.
Er werde dafür sorgen, dass das "Investment" endlich in diese abgelegene, hügelige Region, in die sogenannten "Valleys", komme.
Richard Taylor stößt die schwere Holztür zu einem Geschäft auf, das eine Mischung aus Café und Accessoire-Shop ist. Hier will er heute Wahlkampf machen.
Blaenau Gwent ist eine Labour-Hochburg
Dazu muss er vor allem an der Labour-Partei vorbeiziehen. 58 Prozent der Stimmen holte der Labour-Kandidat in Blaenau Gwent bei der Wahl zum britischen Unterhaus im Jahr 2017. Gleichzeitig aber stimmten nirgendwo in Wales mehr Menschen für den Brexit als in Blaenau Gwent. Und darin sieht Taylor seine große Chance.

Zwischen Strassschmuck und bunten Schals geht er auf zwei Frauen zu, die sich gerade ihre Jacken ausziehen um an einem der kleinen Cafétische einen Tee zu trinken. "Ich will den Valleys ihre Stimme zurückgeben, weil ich denke, dass wir als Region mundtot gemacht worden sind", sagt Tayloer. "Sie wissen ja, dass das ganze Geld aus der Region wegfließt."
"Wir haben die Autorennstrecke nicht bekommen, die man uns versprochen hatte. Wir haben, ich glaube es war Aston Martin, verloren. Wir haben hier in der Gegend so viel verloren."
"Und wissen Sie, wer den Bau der Autorennbahn gestoppt hat? Das war die Labour-Partei. Genauso wie sie den Ausbau der Autobahn gestoppt haben. Das hätte das Geld und die Unternehmen in die Valleys gebracht. Und deshalb darf Labour nicht weiterregieren."
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Taylors großer Vorteil
Es ist der eine große Vorteil, den Richard Taylor als Kandidat für die Brexit-Partei hat: Schuld sind immer die anderen. Denn seine Partei gibt es erst seit Anfang dieses Jahres. Labour dagegen regiert in Wales seit 20 Jahren. Zwar liegt die Arbeitslosigkeit in Blaenau Gwent bei niedrigen 4,6 Prozent. Doch das Gefühl abgehängt zu sein herrscht noch immer vor.
"So viele meiner Freunde und Kinder, die ich unterrichtet habe, haben keine Perspektive. Die werden angestellt und beim ersten kleinen Fehler werden sie gefeuert und ausgetauscht."
Taylor verspricht: Wenn die Brexit-Partei in die Region investiert, hätten die Leute auch wieder gute Jobs. Jetzt aber muss er gehen. Eine Frage noch, bevor er losmuss: Wie will er das Investment denn eigentlich in die Valleys holen?
Da, sagt er, fragen Sie den Falschen. Wirtschaftliches Investment sei nicht seine Spezialität. Aber er ist sich sicher, die Brexit-Partei habe da ein Team mit sehr kompetenten Leuten.