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Unternehmen in der Coronakrise
Insolvenzexperte: Firmen unbürokratisch helfen

Die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus beunruhigt nicht nur die Bevölkerung, sondern auch die Wirtschaft. Der Insolvenzrechtler Lucas Flöther forderte deshalb im Dlf, dass jetzt nicht jedes Unternehmen in Zahlungsnöten sofort Insolvenz anmelden muss.

Lucas Flöther im Gespräch mit Birgid Becker |
Eine mäßig besuchte Halle im Flughafen Hamburg.
Nicht jedes Unternehmen ist jetzt selbstverschuldet in der Zahlungsunfähigkeit, meint Flöther (dpa/picture alliance/Bodo Marks/dpa)
Die Sorgen um die ökonomischen Folgen der Coronavirus-Epidemie werden immer größer. Die Tourismusbranche, Messen, die allgemeine Konsumlaune der Verbraucher und die Aktienmärkte sind betroffen. Das Vertrauen bei Konsumenten und in den Finanzmärkten sei angeschlagen, so die Chefvolkswirtin der OECD, Laurence Boone. Bremsend wirke bislang vor allem die Tatsache, dass in China Fabriken teilweise stillstehen und damit die Produktion insgesamt zurückgeht, berichtet Wirtschaftsjournalist Mischa Erhard.
Produktionslieferketten werden unterbrochen, Unternehmen müssen ihre Produktion einschränken oder einstellen. Wegen der Probleme bei Lieferketten und Logistik könnte vor allem die Autobranche die Folgen des Coronavirus zu spüren bekommen, so Nikolaus Lang, Autoexperte bei Boston Consulting.

In Deutschland sind vor allem auch Großveranstaltungen und Messen von den Folgen des Coronavirus betroffen. Nach der Touristikmesse ITB in Berlin und der Handwerksmesse in München hat auch die Stadt Leipzig die Buchmesse wegen des Coronavirus abgesagt.

Um Unternehmen vor den Auswirkungen der Coronakrise zu schützen, hat die Regierungskoalition aus CDU und SPD mehere Maßnahmen beschlossen. So soll etwa die Auszahlung von Kurzarbeitergeld erleichtert und länger ermöglicht werden. Besonders betroffenen Unternehmen will die Regierung finanziell mit Liqiditätshilfen unter die Arme greifen. Der Insolvenzrechtler Lucas Flöther forderte deshalb im Dlf, dass jetzt nicht jedes Unternehmen in Zahlungsnöten sofort Insolvenz anmelden muss.


Das Interview im Wortlaut:
Birgid Becker: Was könnte Corona-bedrohten Unternehmen neben den Maßnahmen der Bundesregierung außerdem helfen? Vor der Sendung habe ich mit dem Insolvenzrechtler Lucas Flöther gesprochen und ihn gefragt, was im Insolvenzrecht getan werden könnte, wenn Firmen akut über die Infektion und deren Folgen in Bedrängnis kommen.
Lucas Flöther: Also, eine weitere Überlegung wäre, dass man sich um die Antragspflicht, die sogenannten Insolvenzantragspflichten kümmert. Denn die sind in Deutschland sehr, sehr streng. Jedes Unternehmen, was in eine Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldungssituation kommt, muss Insolvenzantrag stellen. Und das Ganze ist strafbewährt, das heißt, da wird man auch strafrechtlich verfolgt, wenn man das nicht pünktlich tut, und man haftet auch persönlich als Geschäftsführer oder Vorstand für eine späte Antragstellung.
Und auch da könnte eine Erleichterung für die Unternehmen erforderlich sein, dass man sagt, für einen zumindest vorübergehenden Zeitraum, der beschränkt sein muss, kann man diese Antragspflichten zumindest etwas herunterschrauben oder sogar aussetzen. Das Ganze kennen wir von Flutkatastrophen beispielsweise. Da hat das die Bundesregierung bereits gemacht.
Händler stehen am 02.03.2020 an der Wall auf dem Parkett der Wall Street in New York und blicken auf die Aktienkurse auf den Bildschirmen.
Folgen des Coronavirus für die Wirtschaft
Die Sorgen um die ökonomischen Folgen der Coronavirus-Epidemie werden immer größer. Welche Maßnahmen werden ergriffen? Ein Überblick.
Es geht vor allem um kurzfristige Finanznöte
Birgid Becker: Wenn Sie sagen, Pflichten heruntersetzen, die Situation erleichtern. Was heißt das dann ganz konkret?
Lucas Flöther: Das heißt beispielsweise das Unternehmen, was überschuldet ist, also momentan nicht in der Lage ist, sicher davon auszugehen, die nächsten zwölf bis 24 Monate durchfinanziert zu sein - dann hat es nämlich keine Fortbestehensprognose laut dem Deutschen Insolvenzrecht - und wenn ich jetzt zum Beispiel sage, die Überschuldung ist für einen gewissen Zeitraum eben kein Antragsgrund, dann hätte man einem Unternehmer, der momentan vor der Frage wie bin ich eigentlich in drei Monaten, in sechs Monaten finanziert - ihm würde man helfen. Dann müsste er nicht in Gang zum Insolvenzgericht antreten.
Birgid Becker: Nun kann die Coronakrise ja in der Tat dazu führen, dass Unternehmen in die Lage kommen, das ihnen Umsätze sehr schnell weg brechen. Corona hat sich ja nicht angekündigt, es gab keine Vorbereitungszeit dafür. Solche Situationen meinen Sie?
Lucas Flöther: Exakt, weil ein Unternehmer in den normalen Zeiten - also nicht in solchen unvorhergesehenen Zeiten, von denen Sie jetzt gerade gesprochen haben - der muss sich nach aktueller Gesetzeslage genau Gedanken machen: bin ich in der Lage, sowohl meine jetzt fälligen Verbindlichkeiten zu bezahlen?
Aber muss sich gleichzeitig auch Gedanken machen: bin ich in der Lage, über einen längeren Zeitraum meine Verbindlichkeit zu bezahlen? Wenn er das nicht tut, dann wäre er eigentlich insolvenzreif. Und genau da müsste man dann in jedem Fall ansetzen. Derjenige, der unverschuldet in die jetzige Notlage geraten ist, und ihm damit also auch seine komplette Finanzierung wegbricht, weil ihm zum Beispiel die Lieferantenkette zusammenbricht oder die Abnahme von einer Nacht auf die andere wegbricht. Ihm würde man damit helfen.
"Nicht mit der Gießkann alle schützen"
Birgid Becker: Das lässt sich auseinander halten, Unternehmen, die Corona-Probleme haben und andere?
Lucas Flöther: Das müsste man sicherlich regeln. Man sollte da jetzt nicht mit der Gießkanne alle schützen. Weil natürlich hat es ja einen Sinn, dass es momentan so geregelt ist, wie es geregelt ist. Um den Markt zu schützen vor Zombie-Unternehmen, die eigentlich insolvenzreif sind, hat man sich ja genau das ausgedacht; dass man dem Unternehmer auferlegt, dass er sich rechtzeitig um seine Finanzlage kümmern muss, auch fortlaufend um seine Finanzlage kümmern muss.
Aber wenn ich natürlich einen Unternehmer habe, der darlegt und das auch belegt, das er unverschuldet in Not geraten ist, dann könnte man eine Ausnahme davon machen.
Firmen, die vorher schwach waren, jetzt besonders gefährdet
Birgid Becker: Sie haben ja unter anderem die Insolvenz der Fluggesellschaft Air Berlin und auch die Rettung des Ferienfliegers Condor begleitet. Gehen Sie denn davon aus, dass das Coronavirus das Insolvenzrisiko für eine nennenswerte Zahl an Unternehmen deutlich erhöht?
Lucas Flöther: Also ich denke ja. Das betrifft in erster Linie natürlich die Branchen, die das zu allererst merken. Airlines, wir sprechen von Touristik-Unternehmen. Wir sprechen von Transport und Speditionen, aber gerade Branchen, die bereits vor dem Coronavirus in Schwierigkeiten waren. Ich denke da zum Beispiel an die Automobilzuliefererindustrie, die sind natürlich jetzt besonders gefährdet, wenn ihnen auf der einen Seite der Abnahmemarkt wegbricht und auf der anderen Seite aber auch die Zulieferer beispielsweise aus dem Markt China ins Stocken gerät. Da ist das wie bei einem Menschen, der von einer Krankheit gezeichnet ist; der wird natürlich auch viel schneller davon geschädigt werden als ein Mensch, der kerngesund ist.
Birgid Becker: Wie schnell wäre denn so eine Änderung am Insolvenzrecht umzusetzen?
Lucas Flöther: Das kann man relativ zügig machen. Die Erfahrung zeigt, dass bei anderen Katastrophen, also beispielsweise Flutkatastrophen, da hat man quasi über Nacht auch die Antragspflichten für Unternehmen gelockert.