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Unternehmensgründungen
"Wir schätzen Risiko nicht so sehr wie andere Nationen"

Junge Menschen in Deutschland haben laut einer Studie kein großes Interesse daran, sich selbstständig zu machen. Ein Grund sei, dass die deutsche Kultur auf Sicherheit ausgerichtet sei und selbstständige Tätigkeiten negativer als sichere Jobs angesehen würden, sagte Isabell Welpe, die wissenschaftliche Leiterin der Studie, im DLF.

Isabell Welpe im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Benedikt Schulz: In Berlin findet in diesen Tagen die Gründerwoche statt. Junge Menschen sollen für das Thema Existenzgründung begeistert werden, und anscheinend ist das sehr notwendig. Nicht nur, dass die Zahl der Unternehmensgründungen in Deutschland an sich seit Jahren rückläufig ist – gerade die jungen Menschen hierzulande haben kein besonderes Interesse mehr daran, sich selbstständig zu machen, sagt eine aktuelle Studie. Demnach können sich zwar immerhin 32 Prozent der befragten 14- bis 34-Jährigen vorstellen, ein Unternehmen zu gründen, aber lediglich zwei Prozent sind diesen Schritt auch wirklich gegangen. Und außerdem: Im weltweiten Vergleich steht Deutschlands Generation Y ziemlich schwach da. Hat die Jugend keine Lust, zu gründen? Das möchte ich Isabell Welpe fragen, Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der TU München und wissenschaftliche Leiterin der Studie. Ich grüße Sie!
    Isabell Welpe: Guten Tag!
    Schulz: Die Generation Y ist gründungsskeptisch. Warum?
    Welpe: Ja, warum? Wir finden da zunächst einmal den sehr spannenden Befund, dass Deutschland tatsächlich auch im europäischen und internationalen Vergleich, sowohl, was die Lust zu gründen angeht, als auch die positive Einstellung zur Gründung im Allgemeinen, eher hinten liegt. Und wir haben natürlich auch versucht, nach den Gründen zu fragen, und da steht an erster Stelle Risikotoleranz, die niedrig ausgeprägt ist, und auch die Absicht nach Sicherheit, auch was die Beschäftigungsverhältnisse angeht. Angst, zu scheitern, ist auch ein Hindernis, sich selbstständig zu machen, besonders, sagen die von uns Befragten, im Hinblick auf die finanziellen Auswirkungen.
    "Vielleicht braucht es da einen Relaunch der deutschen Gründungskultur"
    Schulz: Gibt es denn in Deutschland überhaupt so etwas wie eine Gründerkultur?
    Welpe: Das muss fragen, ob es aktuell eine Gründerkultur gibt. Ganz sicher gab es das mal in Deutschland. Wenn Sie "deutsche Gründer" googeln, dann kommen ja Gründer zum Vorschein - das sind allerdings eher Schwarz-Weiß-Bilder. Die aktuelle junge Generation ist nicht so gründungsaffin, wie das vor 100 Jahren mal Menschen in Deutschland waren. Vielleicht braucht es da einen Relaunch der deutschen Gründungskultur.
    Schulz: Es gibt gegenwärtig zumindest diverse Fördermaßnahmen, was Existenzgründung angeht. Wenn ich mich nicht verzählt habe, sind es etwas mehr als 20. Da ist dann quasi für jeden was dabei. Verlieren die an Attraktivität?
    Welpe: Ja, es gibt natürlich Fördermaßnahmen. Da muss man Deutschland auch ein Kompliment machen, dass unglaublich viel auch passiert, auch von staatlicher Seite in den letzten 15 Jahren. Und das hat auch Wirkung gezeigt. Die Frage ist, haben wir schon genug Förderung, um dem Kulturwandel, der notwendig ist, zu begegnen. Dass Unternehmertum als eine Karriereoption gesehen wird, dass auch Unternehmensnachfolge als eine Karriereoption gesehen wird. Dass selbstständige Tätigkeit überhaupt positiv bewertet wird. Und die Studie von uns zeigt auch, dass nur zwölf Prozent der von uns Befragten jemals in einer Entrepreneurship-Ausbildung waren, also in Schule, staatlichen Programmen oder Universitäten. Und das ist doch eine geringe Zahl.
    "Die wenigsten suchen aktiv nach Angeboten"
    Schulz: Darauf wollte ich zu sprechen kommen. Eine deutliche Mehrheit der Deutschen ist der Meinung, das sagt zumindest Ihre Studie, dass man Unternehmertum lernen könne, aber es tun zu wenige. Warum? Woran liegt das?
    Welpe: Richtig. Die meisten denken, das kann gelernt werden, man wird nicht als Unternehmer geboren. Die wenigsten suchen aktiv nach Angeboten, das müsste man aber tun. Es begegnen einem Angebote zur unternehmerischen Ausbildung nicht automatisch, während man in der Schule ist, in der Ausbildung, und auch nicht automatisch bislang an der Universität. Und zu viele machen sich auf den Weg, diese Angebote aktiv zu besuchen und zu suchen. Warum das so ist? Ja, die Kultur ist eine, die auf Sicherheit ausgerichtet ist in Deutschland. Wir schätzen Risiko nicht so sehr wie andere Nationen, und wir tolerieren es nicht so gut. Und letztendlich mögen alle Menschen auch gerne die positive Bewertung ihrer Berufswahl, und das ist eben nicht so positiv bewertet, wie wenn sie sagen, wir haben einen sicheren Job mit einem hohen Einkommen in anderen Bereichen. Das zeigen die Studien auch ganz deutlich.
    "Das ist schon eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe"
    Schulz: Was können denn Schulen tun? Wie können Schulen denn auf das Thema eingehen? Es gibt ja immer wieder die Forderung, ein Schulfach Wirtschaft einzuführen. Aber was darüber hinaus? Was können die Schulen machen?
    Welpe: Die Schulen können erst mal eine Option aufzeigen, dass Unternehmensgründung, Selbstständigkeit eine von mehreren legitimen, attraktiven Möglichkeiten ist, sein Berufsleben zu gestalten. Viele Menschen kommen ja mit dieser Option gar nicht in Kontakt. Sie lernen keine Unternehmer kennen, sie reden nicht mit Unternehmen. Das wird nicht als Option vorgestellt, und damit fängt ja auch unsere Vorstellungskraft an, dass wir überhaupt wissen, welche Optionen es gibt. Man kann auch den Hochschulen ein Kompliment machen, wie viel sie in den letzten 15 Jahren auch mit staatlicher Unterstützung hier geleistet haben. Und wir sehen schon auch eine Verbesserung bei den Studierenden, die das sehr wohl als eine Option sehen und das teilweise auch verfolgen. Die Hochschulen sollen das halt nicht allein machen in Deutschland. Das ist eine von vielen Institutionen, die sich um das Thema Unternehmensgründung auch bemühen sollen. Die Hochschulen allein können natürlich die Welt auch nicht ändern oder die Einstellungen, die man in Deutschland generell zum Thema Selbstständigkeit hat. Das ist schon eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
    Schulz: Lassen Sie mich noch einen letzten Aspekt abfragen: Was ist mit der beruflichen Ausbildung in Deutschland? Passiert da genug in Hinblick auf Unternehmensgründung?
    Welpe: Da passiert viel. Auch da kann man sicher noch mehr machen, und wir haben natürlich eine exzellente berufliche Ausbildung, und auch die sollte darüber nachdenken, wie sie die Aspekte Selbstständigkeit noch stärker befördern und in ihre Ausbildungsprogramme integrieren kann.
    Schulz: Sagt Isabell Welpe, sie ist Inhaberin des Lehrstuhls für Strategie und Organisation an der TU München, zum Thema Gründungslust der Generation Y in Deutschland. Ich danke Ihnen!
    Welpe: Ich danke Ihnen auch. Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.