Archiv


Unterricht zum Anfassen

Am besten lernt man durch eigenes Erleben und Ausprobieren. Das soll künftig auch auf den Schulunterricht übertragen werden, so der Eindruck, den zahlreiche Aussteller auf der didacta vermitteln. Denn hier wird "begreifen" wörtlich genommen.

Von Katrin Sanders | 19.03.2010
    Jörg Biesler: Noch bis morgen läuft in Köln die bedeutendste Bildungsmesse Europas, die didacta. Und wir öffnen jeden Tag ein Fenster dorthin. Heute hat sich Katrin Sanders mit dem Thema Vermittlung beschäftigt. Welche technischen Hilfsmittel gibt es, welche anschaulichen Methoden?

    Katrin Sanders: Ja, schönen guten Tag von der didacta, vom Stand zwischen Halle 6 und Halle 7. Das Thema ist heute "Bildung zwischen Vision und Wirklichkeit", und hinter diesem Titel verbergen sich so die Aussteller, die ein bisschen die Taschenspieler sind. Wenn man sich umschauen will, bei denen, die das Wissen greifbar machen wollen, dann gehört dazu unbedingt auch die Wanderausstellung von Professor Beutelspacher. Er ist Mathematikprofessor in Gießen, hat mit Studenten vor acht Jahren das Mathematikum entwickelt, eine Ausstellung, ein Museum auch, in dem Mathematik so richtig griffig wird, zum Beispiel die Kugelbahn. Stefan Falkenstein stellt sie vor.

    Stefan Falkenstein: Hier haben wir drei Metallbahnen, zweimal die gleiche, gebogene, und eine gerade. Ich habe hier zwei Kugeln, setze jetzt eine Kugel auf die gerade Bahn ganz oben und eine Kugel auf die gebogene Bahn ganz oben. Wenn ich sie jetzt gleichzeitig loslasse, was wird passieren? Was glauben Sie?

    Sanders: Also ich hatte das Falsche vermutet, ich hatte auf die gerade Bahn getippt, aber Kinder einer Grundschule wissen das besser. Die Kugeln auf der runden Bahn kommen zuerst an.

    O-Ton: Weil die mehr runtergeht, und deshalb kann die mehr Schwung aufbauen, deshalb kommt die als Erstes unten an.

    Sanders: Mathematik macht glücklich, wenn man es raus hat, das ist das Credo von Professor Beutelspacher, und darauf setzt diese Wanderausstellung. Ersetzen will man den Matheunterricht damit natürlich nicht – das sind so ein bisschen Tricks, die vor allen Dingen eine Herangehensweise ans Lernen wiedergeben sollen. Davon kann man abgucken, ausprobieren und dahinterkommen ist das Motto, das macht klug, und das sagen auch die Versuchsleiter bei phæno. Das ist ein sagen wir Mitmachmuseum aus Wolfsburg. Dort kann man nicht nur Physik erleben, sagt Ingo Wischnewski von phæno – eine Million Besucher in fünf Jahren hatte dieses Museum, 300 Exponate und Experimente stehen ihnen zur Verfügung.

    Ingo Wischnewski: Wo Sie eben den ganzen Tag wirklich dran arbeiten können und eben dran spielen können eben auch, das ist Sinn und Zweck, so sage ich mal, dass wir eben versuchen, dieses Naturwissenschaftliche, was meistens in der Schule als sehr dröge empfunden wird, eben spielerisch und interessant darzustellen einfach.

    Sanders: Da gibt es einen Brückenbogen aus 21 Elementen zum Beispiel, schon mächtig angegriffen aussehend. Der Bogen hält sich selbst, die Elemente stützen sich gegenseitig, fallen aber auch immer wieder mal um. Und das ist auch der Sinn der Sache: Lernen braucht Zeit und auch Fehlversuche – was manchmal bei pädagogischen Konzepten vielleicht ein bisschen in den Hintergrund gerät. Einen spielerisch-kritischen Blick auf die eigene Zunft wirft genau aus diesem Grund der Verlag Das Netz. Er hat ein Fantasieland namens Pädagogien hier aufgebaut. Räume und Objekte sind da zu sehen, die vor allen Dingen nachdenklich machen sollen und zum Beispiel auch kritisch gegenüber pädagogischen Schablonen. Michael Fink hat diesen Gedanken in Szene gesetzt.

    Michael Fink: Was auch verständlich ist, es ist eine Verkaufsmesse. Es gibt natürlich immer viele Komplettlösungen. Nehmen Sie einfach dieses Fachbuch und diesen Film dazu und diese Arbeitsmaterialien, die müssen Sie nur noch aufklappen. Und wir haben dann daraus eine Kammer gemacht, wo 20 Koffer stehen, der eine für, wie man den Morgenkreis durchführt, und der eine, wie man vielleicht den Sauber-Werde-Prozess begleitet, so eine Art der Denke haben wir angewendet.

    Sanders: Also so ein kleiner spöttischer oder auch ironischer Blick auf die Bildungslaufbahn von Kindern, die ist hier zum Beispiel aus Pappe und Folie ein Förderband aufgebaut worden. Die Kinder sind kleine, bunte Entchen, und so setzt man die Bildungsbiografie in Gang.

    Fink: Man setzt die Kinder auf die Bildungslaufbahn in ihr kleines Körbchen und hat als Pädagoge nur die Aufgabe, am Rad zu drehen. Manche von den Entchen, wenn man ganz vorsichtig wird, dann kommen die tatsächlich – ja, fast geklappt …

    Sanders: Ja, und manche fallen natürlich hinten runter, und so macht Erkenntnisgewinn richtig Spaß, also da kann man richtig was erleben und auch sich selbst mal kritisch infrage stellen als Pädagoge. Das geht genauso den Besucherinnen und Besuchern der didacta, sie haben viel Spaß auch auf diesen Ausstellungsflächen, und wir haben ihnen wie immer, wie jeden Tag eine Frage des Tages gestellt: Welche Aha-Erlebnisse sie von der didacta mitnehmen. Und das haben Besucherinnen und Besucher geantwortet:

    O-Töne: Zum Beispiel gerade das Experiment mit den Streichhölzern, dass man mal vor Augen geführt kriegt, dass man aus – wie viel waren es – sechs Streichhölzern vier gleich große Dreiecke bauen kann, wenn man einfach mal um die Ecke denkt und nicht einfach nur platt denkt.

    Ich fand diese optische Täuschung sehr klasse, weil wir dadurch zu Augen geführt bekommen, wie langsam wir denken oder wie langsam unser Auge ist. Das fand ich super.

    Hier wird halt auch durch zum Beispiel einen Comic ziemlich interessant dargestellt, dass man auch selber denken muss, dass man nicht sagen kann, nach Reggio oder nach Maria Montessori hätte ich das und das tun müssen, dass man halt sich nicht immer auf solche Sachen verlässt.

    Und ich kann Mathematik vermitteln, ohne dass ich es verkopft, verschult machen muss, sondern Mengenwahrnehmung kann im Alltag über Sinneswahrnehmung mit Wasser passieren, mit Sand passieren. Ich kann Maße und Gewichte, Einheiten, Mengen erfassen, indem ich sie auch mit den Händen begreife. Das bleibt, und das prägt Ihr weiteres Lernen.

    Jörg Biesler: Besucherinnen und Besucher der didacta in Köln über ihre Erfahrung mit sinnlichem Lernen. Katrin Sanders berichtete für uns von dort.