Montag, halb acht, irgendwo an einer Schule in NRW. Das Zittern beginnt.
"Es ist halt immer sehr schwierig, wenn jemand kurzfristig erkrankt, morgens um sieben klingelt das Telefon, tut mir leid, ich kann nicht kommen, dann müssen die Kollegen angesprochen werden, wer kann fachlich unterstützen, was muss überhaupt geleistet werden, wer kann Mehrarbeit leisten."
Anne Deimel ist Schulleiterin einer Grundschule in Arnsberg. Das Thema Unterrichtsausfall begleitet sie fast permanent. Denn häufig ist mal jemand krank, auf Klassenfahrt oder bei einer Fortbildung. Und weil es keine Reserven gibt, die das auffangen können, müssen Klassen dann zusammengelegt, aufgeteilt oder notdürftig betreut werden.
Besonders schlimm ist es, wenn jemand länger ausfällt, weil er oder sie in Erziehungsurlaub geht oder länger krank ist. Denn auch Vertretungslehrer sind kaum noch zu bekommen.
Besonders schlimm ist es, wenn jemand länger ausfällt, weil er oder sie in Erziehungsurlaub geht oder länger krank ist. Denn auch Vertretungslehrer sind kaum noch zu bekommen.
"Der Markt ist total leer. Es läuft dann so vor Ort, dass die Schulaufsicht gemeinsam mit den Schulen guckt, welche Schule kann abordnen. Was die Folge hat, es ist eigentlich keine Schule mehr 100 Prozent besetzt. Das erschwert die Arbeit vor Ort."
Zu wenige Stellen für die vorgegebenen Stunden
Der Vorsitzende des Verbands Bildung und Erziehung, Udo Beckmann, erklärt, warum die Schulen in NRW so stark unter Druck sind:
"Weil ja, wie der Landesrechnungshof mitgeteilt hat, in der Sekundarstufe 1 nicht genug Stellen da sind, um die Stundentafel voll zu bedienen. Allein damit hat man schon einen strukturellen Unterrichtsausfall. Hinzu kommen Krankheiten, die alle Menschen treffen. Darauf sind die Schulen nicht vorbereitet, stellenplanmäßig schon gar nicht."
Der Landesrechnungshof hatte zuletzt im Sommer 2015 kritisiert, dass in NRWs Gymnasien und Realschulen die vorgeschriebenen Unterrichtsstunden pro Woche zum Teil weit unterschritten werden. Das Problem: Es fehlen schlichtweg die Lehrer. Jahrelang wurden zu wenige neu eingestellt. Das berichten auch viele Pädagogen, die sich letzte Woche auf der Bildungsmesse Didacta getroffen haben. Hinter vorgehaltener Hand erzählen sie von übergroßen Klassen, fehlendem Musik- oder Chemieunterricht, überlasteten Kollegen. Vor dem Mikro wollen die wenigsten offen sprechen. Dieser Gymnasiallehrer aus dem Kreis Dortmund tut es dann doch:
"Wir haben auf jeden Fall Mangel, speziell in den Naturwissenschaften sieht es bei uns zurzeit schlecht aus. Weil keine Stellen bereit gestellt werden von der Bezirksregierung, weil aber auch ganz einfach keine Leute da sind, die das machen."
Manch Fächer werden gar nicht mehr eingeplant
Die Folge: Manche Fächer werden im Stundenplan zu wenig oder gar nicht eingeplant:
"Es wird gekürzt, also Physik findet nicht zweistündig statt, sondern einstündig. Oder zum Teil hatten wir es auch, dass es in einem Halbjahr gar nicht stattfand."
Laut einer Stichprobe der Landeselternschaft der Gymnasien in NRW fallen in der Sekundarstufe 1 pro Woche im Schnitt 6,4 Prozent der Unterrichtsstunden aus – das sind bei einem Plan mit 30 Stunden knapp zwei Unterrichtsstunden pro Woche. Und das sind nur die Stunden, die auch eingeplant waren. Fächer, die aufgrund von Lehrermangel nicht im Stundenplan stehen, können statistisch auch nicht ausfallen.
Gewerkschaft: Lehrerberuf wird nicht genug beworben
Ulrich Czygan ist Vorsitzender der Landeselternschaft der Gymnasien. Für ihn erwächst aus der Mangelwirtschaft an Schulen ein Problem für die Zukunft:
"Ich denke, das ist auch eine der Gründe, warum sich relativ wenig Menschen für ein Studium in Mint-Fächern* entscheiden, denn wenn ihre Schulkarriere weitgehend geprägt ist mit wenig Physik, oder mit wenig Chemie, wie soll der dann dafür begeistert worden sein."
Auch in Sport, Musik und anderen Fächern herrscht zum Teil ein großer Lehrermangel, sagt Gewerkschaftler Beckmann. Er kritisiert, dass die Politik nicht gegensteuert und den Lehrerberuf stärker bewirbt. Außerdem wandern Absolventen mittlerweile auch häufig in die Wirtschaft ab. Und die vielen neuen Schüler, die unter anderem durch Zuwanderung zu uns kommen, verstärken das Problem:
"Zurzeit haben wir gerade durch das Thema Beschulung von Flüchtlingskindern einen bundesweiten Lehrermangel. Und alle Länder stöhnen. Früher hatten wir ja noch in den neuen Ländern Lehrerüberhänge. Auch das geht zurück oder ist deutlich zurückgegangen. Diese Länder stöhnen selbst. Es ist schon eine sehr angespannte Situation auf dem gesamten Lehrermarkt."
* MINT ist die Abkürzung für Schulfächer aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.