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Unterschiede zwischen Ost und West
"Die alte DDR als Landkarte ist wieder erkennbar"

Die ostdeutschen Bundesländer haben sich fast 30 Jahre nach der Wiedervereinigung sehr gut entwickelt, sagte Bodo Ramelow, Ministerpräsident von Thüringen im Dlf. Schaue man aber auf die Indikatoren Kinderarmut, niedrige Löhne und Vermögensverteilung falle der Osten ab, sagte der Politiker von der Linkspartei.

Bodo Ramelow im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Bodo Ramelow posiert im Innenhof der Staatskanzlei in Erfurt für die Kamera
    Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow im Hof der Staatskanzlei in Erfurt. (imago / epd)
    Stefan Heinlein: Sachsen, Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern – das sind die fünf ostdeutschen Bundesländer. Nur selten werden sie noch als neue Bundesländer bezeichnet. Offiziell aus der Taufe gehoben mit der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. Seither ist viel passiert. Fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer haben sich die Lebensverhältnisse in vielen Bereichen angeglichen. Und doch gibt es weiter durchaus Unterschiede. Regelmäßig versammeln sich deshalb die fünf ostdeutschen Ministerpräsidenten, um gemeinsam ihre Interessen zu formulieren. Gestern traf man sich in Magdeburg und mit dabei der Regierungschef in Thüringen, Bodo Ramelow von der Linkspartei. Guten Morgen, Herr Ramelow.
    Bodo Ramelow: Guten Morgen!
    Heinlein: Herr Ramelow, fast 30 Jahre nach dem Fall der Mauer - wie zeitgemäß ist denn überhaupt noch so eine gemeinsame Konferenz der ostdeutschen Ministerpräsidenten?
    Ramelow: Es ist notwendig, dass wir als Ministerpräsidenten dieser Länder darauf achten, dass die Themen, die im Einigungsvertrag vereinbart worden sind, auch weiterhin auf der Tagesordnung stehen, um sie umzusetzen. Ich will ein Beispiel sagen. Wenn in Deutschland neue Behörden geschaffen werden oder europäische Behörden nach Deutschland verlegt werden, steht im Einigungsvertrag, dass so lange die neuen Länder bevorzugt werden sollen, bis wir einen Durchschnitt der deutschen Verteilung haben. Etwas, was vor 25 Jahren zugesagt worden ist, aber an was häufig nicht gedacht wird, wenn gerade wieder für das digitale Thema eine neue Behörde geschaffen werden soll. Dann sagen die Verhandler der Großen Koalition, na ja, dann soll das nach Bonn gehen. Und da sagen wir: Hallo! Nein! Es muss wenigstens mit uns darüber geredet werden, ob Berlin oder Leipzig, Dresden oder Thüringen in der Lage wäre, dafür auch die Voraussetzungen zu schaffen.
    Heinlein: Das passt, Herr Ramelow, zur Kernaussage gestern. Die neuen Länder müssen weiter gezielt gefördert werden, so Ihr Kollege Haseloff und die Kollegin Schwesig. Glauben Sie, dass diese Forderung im Ruhrgebiet oder in Bremerhaven mit Wohlwollen registriert wird?
    "Es geht nicht darum, die Solidarität Deutschlands zu überspannen"
    Ramelow: Da wir umgekehrt sagen, dass die Förderung, die bislang über die Solidaritätsmittel erfolgt ist, in Zukunft für alle Länder in Deutschland zur Verfügung stehen muss. Die Instrumentarien, dass man sagt, der, der von der Mitte einen solchen Abstand hat, von dem Durchschnitt einen solchen Abschnitt hat, muss gefördert werden. Das gilt für Bremerhaven wie für Artern. Das gilt für das Ruhrgebiet wie möglicherweise auch Teile von Mecklenburg-Vorpommern. Darum geht es uns nicht. Es geht nicht darum, die Solidarität Deutschlands zu überspannen und zu sagen, es gäbe andere Regionen, die nicht zu fördern sind. Wir wissen ganz genau, dass es im Ruhrgebiet und in Bremerhaven oder im Pfälzer Wald notwendig ist, Förderinstrumente auch besser aufzusetzen. Aber wenn es darum geht, dass der Verteilmechanismus, der Gesamtverteilmechanismus der Gesellschaft – nehmen wir mal das Beispiel Löhne -, wenn die Löhne bei uns signifikant niedriger sind wie in den West-Bundesländern, dann muss uns das immer daran erinnern, dass bei Ansiedlungspolitik oder bei Entscheidungen von Behörden oder Institutionen die neuen Bundesländer nicht einfach in die Ecke gestellt werden.
    Heinlein: Wenn man, Herr Ramelow, den ersten Teil Ihrer Aussage gerade noch einmal überlegt, dann klingt das doch ein bisschen, als ob dieses Ost-West-Schema ein wenig antiquiert ist und man eher unterscheidet in entwickelt und nicht entwickelt, zwischen armen und reichen Bundesländern.
    Ramelow: Ja. Wenn man die ganzen Indikatoren bitte nehmen würde, Kinderarmut, niedrige Löhne, Vermögensverteilung, wissenschaftliche Ansiedlungen, Konzernzentralen, wenn man das alles zusammen nimmt, dann stellt man schnell fest, die alte DDR als Landkarte ist wieder erkennbar, und wir wollen uns daran dauerhaft nicht gewöhnen. Die neuen Länder entwickeln sich wirklich sehr, sehr gut. Thüringen ist auf einem exzellenten Weg. Man muss jetzt auch aufpassen, wir sind nicht die Abteilung derjenigen, die laut jammern, sondern wir sind diejenigen, die mahnen, dass die deutsche Einheit von innen wachsen muss. Dieser Wachstumsprozess hat einen Erfolgskurs hinter sich. Die Solidaritätsgelder sind exzellent angelegt worden. Wir brauchen aber einen Wachstumsprozess, denn nach wie vor ist die Dynamik, die wirtschaftliche Dynamik in den Zentren und an den Zentren hängt immer auch zum Beispiel Forschungsgeld, weil die großen Konzerne ihre Sitze alle in Westdeutschland haben. Deswegen müssen wir mahnen und sagen, lasst uns auch Wissenschaft und Forschung bei uns in den neuen Ländern so platzieren, dass in den nächsten 50 Jahren daraus auch eigenständige Wachstumskerne entstehen.
    Heinlein: Herr Ramelow, warum haben Sie gestern gemeinsam mit Ihren Kollegen nicht die Beibehaltung des Solidarpaktes und des Solidaritätszuschlages gefordert?
    "Ab 2019 kriegen wir nichts mehr vom Solidaritätszuschlag"
    Ramelow: Das ist die Frage, die habe ich als Ministerpräsident von Thüringen mit dem Parteibuch der Linken schon seit Jahren immer thematisiert. Es war die CDU, die das streichen wollte, und es war die Bundeskanzlerin, die damit auch glänzen wollte, und Herr Schäuble bei den Bürgern auch glänzen wollte und sagen wollte, das braucht man nicht mehr. Tatsächlich ist es so, dass der Solidaritätszuschlag nicht abgeschafft worden ist. Wir in den neuen Ländern kriegen nur nichts mehr davon. 2019 gibt es kein Geld mehr und das Geld nimmt weiterhin der Bund ein. Es bleibt alles in der Bundeskasse. Deswegen wäre die Frage, von Ihnen gerichtet, an die Bundeskanzlerin, wann das Geld wirklich auch reduziert wird.
    Heinlein: In diesem Punkt, Herr Ramelow, verstehe ich Sie richtig, ist Ihnen Ihr Parteibuch dann doch wichtiger als das gemeinsame Interesse mit Ihren ostdeutschen Ministerpräsidentenkollegen?
    Ramelow: Sie haben mich gefragt, warum ich das immer noch fordere. Sie wollten doch wissen, was mit dem Soli ist, und der Soli wird immer noch von allen Bürgern gezahlt, und zwar in Ost und West, in Nord und Süd. Alle zahlen das noch. Aber die neuen Länder bekommen daraus 2019 nichts mehr. Deswegen sage ich als Linker, es wäre besser, wir würden über eine bessere Steuergerechtigkeit in unserem Land reden und wir würden auch Millionäre und Vermögen besteuern. Das sage ich auch mit dem Parteibuch des Linken. Der Soli, nach dem Sie mich gefragt haben, dieser Soli ist zwar immer noch in der Einnahmenseite des Bundes, aber die neuen Länder bekommen nichts davon. Mir wäre es lieber, Bremerhaven, das Ruhrgebiet und alle anderen, die weg vom Durchschnitt sind, würden ihren Anteil bekommen, damit sie auch einen Aufholprozess einleiten können.
    Heinlein: Herr Ramelow, ein interessanter gemeinsamer Punkt, den Sie gestern gefunden haben mit Ihren Kollegen, egal von CDU oder SPD, war die Forderung nach dem schleichenden Ende der Russland-Sanktionen. Wird jetzt in Magdeburg von den Ministerpräsidenten ein bisschen Weltpolitik gemacht?
    Ramelow: Ich weiß nicht, wie Sie auf Magdeburg gekommen sind. Sie haben auch bei Ihrer Aufzählung Berlin vergessen. Wir waren in Berlin und Berlin war eine geteilte Stadt. Deswegen gehört Berlin auch zu dem Kreis der neuen Bundesländer. Wir haben bei diesem Treffen gesagt, wir müssen mit der Bundesregierung darüber reden, dass die Bedingungen für die Sanktionen, nämlich der Minsker Friedensprozess, von beiden Seiten, von der Ukraine und von Moskau, einfach ignoriert werden. Zu diesem Preis dann einfach zu sagen, die Sanktionen erhöhen den Druck auf Russland, damit Russland in der Ukraine Frieden schließt. Wir haben gesagt, wir wollen, dass Frieden geschlossen wird. Wir wollen weiterhin kritisieren, dass im Donbass ein völkerrechtswidriger Krieg stattfindet. Wir möchten aber darauf hinweisen, dass die neuen Bundesländer über alle Maßen geschädigt sind durch diese Sanktionen, dass die Rückwirkung der Sanktionspolitik dazu führt, dass Hunderte von Betrieben bei uns in existenzielle Problemfälle gekommen sind, und gleichzeitig schauen diese Betriebe zu, Maschinenbau-Unternehmen, die dann sehen, dass diese Aufträge von anderen Partnern auf der Welt dann doch wahrgenommen werden, von Kanada oder auch in einzelnen Fällen von Amerika oder von China. Da sagen die Betriebe in den neuen Bundesländern, wir verstehen eure Politik nicht. Die Sanktionen wirken nicht, der Minsker Friedensprozess, der die Grundlage ist, wird von beiden Seiten ignoriert, aber der Landwirtschaftsbetrieb oder der Maschinenbaubetrieb in Mecklenburg-Vorpommern oder in Brandenburg oder in Thüringen darf nicht liefern, was ist das für eine Politik.
    Heinlein: Im Deutschlandfunk heute Morgen der Ministerpräsident von Thüringen, Bodo Ramelow. Herr Ramelow, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
    Ramelow: Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.