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Unterschiedliche Bezahlung von Lehrern
"Bildungsinhalte haben sich verlagert"

Englisch in der Grundschule, Inklusion und Integration von Flüchtlingskindern: Das Aufgabenspektrum für Lehrer aller Schulformen hat sich aus Sicht des Rechtswissenschaftlers Ralf Brinktrine in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Daher sei die Argumentation der unterschiedlichen Bezahlung je nach Schultyp veraltet bis rechtswidrig, sagte er im DLF.

Ralf Brinktrine im Gespräch mit Sandra Pfister |
    Kinder einer Willkommensklasse nehmen in Berlin in der Leo-Lionni Grundschule am Deutschunterricht teil.
    Inklusion, Integration, Erziehung: Die Aufgaben von Lehrerinnen und Lehrern ist heute so vielfältig wie nie zuvor. (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Sandra Pfister: Lehrer ist nicht gleich Lehrer. Es gibt die verbeamteten und die angestellten, es gibt aber auch die Grundschullehrer, die Lehrer für Sekundarstufe I, die Lehrer an Gymnasien und Lehrer am Berufskolleg beispielsweise. Und die haben fast alle gleich lang studiert, allerdings verdienen sie unterschiedlich viel.
    Grundschullehrer und Sekundarstufe-I-Lehrer haben deutlich weniger auf dem Konto als Kollegen, die am Gymnasium arbeiten beispielsweise, da können einige Hundert Euro dazwischenliegen. Ist das gerecht? Das ist die eine Frage. Ist das rechtmäßig? Das ist die andere. Die Bildungsgewerkschaft Erziehung und Wissenschaft zieht beides in Frage, und Rückendeckung erhält sie jetzt von dem Würzburger Rechtsprofessor Ralf Brinktrine. Herr Brinktrine, Sie sagen, dass Grundschullehrer in der Regel weniger verdienen als ihre Kollegen am Gymnasium, das sei, zumindest in Nordrhein-Westfalen, verfassungswidrig. Warum?
    Ralf Brinktrine: Das beruht auf dem Grundsatz der amtsangemessenen Alimentation. Alle Lehrer, die verbeamtet sind, unterfallen den Anforderungen der Verfassung, das heißt, ihre Alimentation muss den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums entsprechen. Und das Alimentationsprinzip ist einer dieser hergebrachten Grundsätze.
    Lehrer, die an einer entsprechenden Ausbildungsstätte ausgebildet worden sind, die entsprechende gleiche Studien vorgenommen haben beziehungsweise dort ausgebildet worden sind und die gleiche Aufgaben haben, müssen nach dem Alimentationsprinzip im Grundsatz auch gleich eingestuft werden und gleich besoldet werden.
    Pfister: Man könnte jetzt aber auch sagen, die Besoldung richtet sich nicht nach der Ausbildung, sondern nach der Art der Tätigkeit, nach dem, was sie tun, und da könnte man sagen, an Gymnasien zu unterrichten ist anspruchsvoller als an Grundschulen zu unterrichten beispielsweise.
    "Diese Argumentation ist 30 bis 40 Jahre alt"
    Das verteidigt ja so zum Beispiel jetzt gerade die schleswig-holsteinische Bildungsministerin, Britta Ernst, die sagt, wir zahlen jetzt Lehrern an Gemeinschaftsschulen genauso viel wie den Lehrern an Gymnasien, aber die Grundschullehrer, die besolden wir immer noch schlechter.
    Brinktrine: Ja, das ist in der Vergangenheit durchaus auch das Argument gewesen, dass man sagte, Lehrer an Gymnasien haben eine gleichsam höherwertige Tätigkeit als Lehrer an Grundschulen.
    Nun muss man aber Folgendes in Rechnung stellen. Diese Argumentation ist 30 bis 40 Jahre alt, und in diesen 30 bis 40 Jahren hat sich auch eine ganze Menge verändert und getan. Man muss Folgendes sehen – ich beziehe mich jetzt nur auf Nordrhein-Westfalen: Der nordrhein-westfälische Gesetzgeber hat eben gesagt, alle Lehrer sollen an Universitäten ausgebildet werden.
    Alle Lehrer haben auch bestimmte gleiche Aufgaben, die im Schulgesetz in Nordrhein-Westfalen festgeschrieben sind, und dort misst der nordrhein-westfälische Gesetzgeber sogenannten Erziehungsaufgaben eine große Bedeutung zu, aber auch zum Beispiel der Aufgabe der Inklusion, und, insbesondere jetzt gerade vor den aktuellen Ereignissen, der Integration von Schülern und eben auch Kindern mit Migrationshintergrund.
    Diese Aufgaben stellt er so in den Vordergrund, dass eben die Frage sich stellt, ob die reine Bildungsvermittlung, also Wissensvermittlung, heute noch den Stellenwert hat, wie es früher einmal der Fall war. Und da kann man eben durchaus sagen, nein, der Gesetzgeber hat da jetzt auch eine neue Wertung vorgenommen.
    Außerdem muss man sagen, viele Dinge, die früher nur am Gymnasium gelehrt wurden, sind jetzt auch in die Grundschule gerückt. Zum Beispiel hat Nordrhein-Westfalen es so geregelt, dass wir Englischunterricht ab der dritten Klasse in Nordrhein-Westfalen haben.
    Also, das war ja vor 25 Jahren gar nicht vorstellbar, sodass sich hier auch eine entsprechende Veränderung oder Verlagerung von Bildungsinhalten weg von den weiterführenden Schulen hin auch in den Grundschulbereich ergeben hat.
    Pfister: Die Veränderungen, die Sie beschreiben, die gelten weitestgehend nicht nur für Nordrhein-Westfalen. Es gibt ja nur noch wenige Bundesländer, in denen Lehrer an Pädagogischen Hochschulen ausgebildet werden. Es sind meistens Universitäten, die Ausbildungszeiten haben sich angeglichen, die Aufgabenbereiche haben sich in vielen Bundesländern verschoben, sodass auch ein Grundschullehrerjob beispielsweise anspruchsvoller geworden ist.
    Warum gilt das nur für Nordrhein-Westfalen, was Sie sagen? Oder glauben Sie, dass es auch für andere Bundesländer gelten kann?
    Brinktrine: Ich hatte ja einen Untersuchungsauftrag nur für Nordrhein-Westfalen. Und hier kommt eine Besonderheit hinzu aus rechtlicher Sicht, die die Betrachtung halt sehr erschwert: Seit der Föderalismusreform 2006 nämlich ist für das Besoldungsrecht das jeweilige Land zuständig. Wenn als ein Landesgesetzgeber eine entsprechende Regelung wie in Nordrhein-Westfalen getroffen hat, also entsprechende Aufgabenzuteilungen und Ähnliches mehr, dann könnte man in der Tat das übertragen. Aber ich betone noch mal, dass, um das seriös beantworten zu können, muss man jedes Land für sich einzeln in den Blick nehmen, was die Sache natürlich erschwert.
    "Die Politik müsste sich bewegen"
    Pfister: Kommen wir zu den Konsequenzen Ihres Gutachtens. Glauben Sie, dass sich die Kultusminister beziehungsweise die Kultusministerin von Nordrhein-Westfalen sich jetzt in die Brust werfen wird und sagen wird, ja, wir werden das ändern? Halten Sie das nicht für unrealistisch? Denn bei Lichte betrachtet müssten die Gehälter der Grundschullehrer und anderer Sekundarstufe-I-Lehrer ja angehoben werden, denn Gymnasiallehrer nach unten zu korrigieren, ist wohl noch weniger durchsetzbar.
    Brinktrine: Das wäre in der Tat – ich beziehe mich wieder nur auf Nordrhein-Westfalen – vom Landesgesetzgeber doch sehr sorgfältig zu begründen.
    Mein Gutachten ist übrigens auch nicht das erste, das zu diesem Ergebnis kommt. Es gibt zwei weitere Gutachten, unter anderem vom Kollegen Gysi aus Bielefeld, die zu einem ähnlichen Ergebnis kommen, allerdings für ein anderes Bundesland, sodass die Politik schon sich mit der Frage auseinandersetzen muss und sich an sich auch bewegen müsste. Verkürzt gesagt: Dass man kein Geld hat, gilt nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht.
    Pfister: Danke Ihnen! Ralf Brinktrine war das, Professor für Rechtswissenschaften an der Uni Würzburg. Er hat ein Gutachten für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft verfasst, und demnach müssen alle Lehrer in Nordrhein-Westfalen gleich bezahlt werden. Danke Ihnen, Herr Brinktrine!
    Brinktrine: Vielen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.