Archiv


Unterschlupf für "Kapitän Dragan"

Die Flüchtlingspolitik Australiens steht in der Kritik, denn auch Kriegsverbrecher werden hier aufgenommen. So konnte der Serbe Dragan Vasiljkovic, Anführer einer grausam mordenden paramilitärischen Einheit während des Kriegs in Kroatien Anfang der 90er-Jahre, seine Auslieferung bisher immer wieder verhindern.

Von Andreas Stummer |
    Benefizveranstaltung für einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher. An der Wand rot-blau-weiße, serbische Nationalfahnen, eine Folklore-Gruppe tanzt, es werden gefüllte Krautrouladen und Reisfleisch serviert. Der australisch-serbische Kulturclub in Hoxton Park, im Westen von Sydney, sammelt Geld für Dragan Vasiljkovic. 50- und 100-Dollar-Scheine in Sektkübeln für den Rechtsbeistand eines Mannes, den die Serben respektvoll nur "Kapitän Dragan" nennen.

    Dragan Vasiljkovic, heute 58 Jahre alt, sitzt in Sydney in Auslieferungshaft. Als Teenager nach Australien gekommen, war der gebürtige Serbe Anfang der 90er-Jahre eine Schlüsselfigur während des Krieges in Kroatien. Bei der australischen Armee ausgebildet, ging er zurück in seine Heimat, als das frühere Jugoslawien von ethnischen Konflikten zerrissen wurde. Aus Dragan Vasiljkovic wurde Kapitän Dragan. Rekrutiert vom serbischen Geheimdienst, kommandierte er in der Krajina-Region Kroatiens die Roten Barrette, eine paramilitärische Spezialeinheit, der grausame Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Auch der Tod des deutschen SZ-Reporters Egon Scotland.

    "Es wird Zeit, dass Dragan Vasiljkovic die Verantwortung für seine mutmaßlichen Kriegsverbrechen übernimmt. Seine Einheit tötete nicht nur Soldaten im Gefecht. Sie folterte, brannte Dörfer nieder, richtete Zivilisten hin, vergewaltigte und erschoss die Patienten eines Krankenhauses."

    Katrina Bosic ist Kroatin, Anwältin und Australierin. "In dieser Reihenfolge", sagt sie. Sie soll der kroatischen Regierung dabei helfen, Kapitän Dragan zurück nach Kroatien und dort vor Gericht zu bringen. Die Anklage: Misshandeln und Foltern von Kriegsgefangenen und Töten der ethnischen Zivilbevölkerung. Vorwürfe, die Kapitän Dragan bestreitet. Und die seine Anhänger für Lügen halten.

    "Kapitän Dragan zog in den Krieg, um Serben zu beschützen",

    verteidigen ihn zwei australische Serben,

    "für uns ist er ein Held, ein guter Soldat, ein tadelloser Befehlshaber und ein Menschenfreund."
    – "Dragan ist jemand, der rechtschaffen ist. Diese Vorwürfe gegen ihn sind nicht wahr."

    Kapitän Dragan lebte nach dem Balkankrieg unter dem Namen Daniel Snedden als Golflehrer in Westaustralien. Bis ihn eine Reporterin Ende 2005 enttarnte. Seitdem versucht die kroatische Regierung, Kapitän Dragan vor ein einheimisches Kriegsverbrechertribunal zu bringen. Doch der Serbe spielt Katz und Maus mit den australischen Behörden. Erst saß er in Haft, dann - nach vier Jahren - kam er auf Kaution frei und tauchte unter, wurde aber erneut gefasst. "Es ist peinlich, wie sich die australische Justiz seit Jahren an der Nase herumführen lässt", glaubt Tim McCormack, ein Professor für Internationales Recht an der Uni Melbourne. Denn Vasiljkovic ist es immer wieder gelungen, seine Auslieferung mit juristischen Einwänden zu verhindern.

    "Sollte Dragan Vasiljkovic nach Kroatien überführt werden, dann wäre es das erste Mal, dass Australien einen mutmaßlichen Kriegsverbrecher für einen Prozess ins Ausland ausliefert. Hier in Australien ist er nicht angeklagt. Das heißt: Verteidigen kann er sich erst, wenn er in Kroatien vor Gericht steht."

    Soweit wollen es Kapitän Dragans Anhänger in Australien nicht kommen lassen. Die serbisch-orthodoxe Kirche setzt sich für ihn ein, reiche Geschäftsleute finanzieren seine Anwälte. Zoja Cleary kennt Kapitän Dragan als Gründer einer Stiftung, die Hunderten Opfern des Balkankrieges geholfen hat. Zoja lebt seit 50 Jahren in Australien. Sie kann nicht glauben, dass die Regierung ihrer neuen Heimat einen serbischen Nationalhelden nach Kroatien ausliefern könnte.

    "Ich bin darüber so empört, dass ich von hier am liebsten auf den Mond ziehen würde. Für die Kroaten ist Kapitän Dragan eine Trophäe. Serben und Kroaten bekriegen sich seit Generationen. Wie soll er einen fairen Prozess bekommen?"

    Kriegsverbrechen verjähren nicht, ob sie zwei oder 50 Jahre zurückliegen. Aber: "Kroatien will keinen Schauprozess", versichert Anwältin Katrina Bosic. Niemand möchte bei einem Verfahren gegen Kapitän Dragan die Fehler der Vergangenheit wiederholen.


    "Kroatien und Serbien haben sich gewandelt. Das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat in beiden Ländern bereits ähnliche Fälle verhandeln lassen. Das zeigt, dass das Rechtssystem dort auch tatsächlich rechtsmäßig ist."

    Alt-Nazis, Tamilische Tiger, Taliban oder Balkankriegsveteranen wie Kapitän Dragan: Immer mehr Australier fragen sich, wie viele mutmaßliche Kriegsverbrecher als Flüchtlinge oder Einwanderer in Australien untergetaucht sind. Und warum die Behörden nichts unternehmen, um sie zu finden. Es gibt immer wieder Hinweise aus der Bevölkerung, aber keine australische Spezialeinheit, um sie zu untersuchen. "Das muss anders werden", fordert Rechtsprofessor Tim McCormack. Denn Kapitän Dragan sei kein Einzelfall.

    "In Australien leben Kriegsverbrecher aus aller Welt. Sie sollten bei uns keinen Unterschlupf finden, sondern zur Rechenschaft gezogen werden. Aber solange wir nicht unsere Gesetze verschärfen, solange werden diese Leute unbehelligt in Australien alt werden. Egal, was sie in der Vergangenheit getan haben."