Der kleine Demonstrationszug, der vom Kongressgebäude in Buenos Aires langsam zum Regierungspalast Casa Rosada läuft, wirkt etwas verloren. Die Polizei sperrt für die Gruppe von Frauen, Männern und ein paar Kindern den Verkehr, aber nur wenige Passanten schenken den Demonstranten Beachtung. Es sind Angehörige der Besatzung des U-Boots ARA San Juan, die am fünfzehnten jeden Monats an die Katastrophe und ihre Opfer erinnern – seit dem 15. November 2017 ist das U-Boot verschollen.
Dies sind unsere 44 Helden – ruft eine junge Frau mit langen, dunklen Haaren durch ein Megafon. Dann liest sie feierlich die Liste der Besatzungsmitglieder vor, und nach jedem Namen rufen die Demonstranten das Wort presente: anwesend.
"Wir werden nicht aufhören zu fordern, dass sie gefunden werden. Wir müssen wissen, was mit ihnen passiert ist", sagt Isabel Polo, deren Bruder Daniel Alejandro Polo auf dem U-Boot ARA San Juan im Einsatz war. Zwei Töchter hat der Unteroffizier zurückgelassen – eine davon, die zehnjährige Mia, ist beim Gedenkmarsch dabei. Insgesamt hat die Katastrophe rund sechzig Kinder zu Waisen gemacht.
Wenig Anteilnahme
"Unser Land ist blind und unglaublich gefühllos angesichts des Schmerzes der Mütter, Schwestern und der Kinder, die ihre Väter verloren haben", klagt eine Demonstrantin. Sie drückt aus, was viele Angehörige empfinden: Sie fühlen sich alleingelassen. Tatsächlich ist das U-Boot ARA San Juan von den Titelseiten der Zeitungen verschwunden und für viele Argentinier kein Gesprächsthema mehr.
"Von anderen Tragödien in unserem Land, wie dem Zugunglück im Once-Bahnhof oder dem Anschlag auf das jüdische Gemeinschaftszentrum, gab es erschütternde Fotos! Aber das U-Boot ist einfach unter der Wasseroberfläche geblieben - die Tragödie ist unsichtbar, abstrakt",
interpretiert der Marine-Experte und Fregattenkapitän Fernando Morales den Mangel an öffentlicher Anteilnahme. Vorübergehend erfuhren die Familien der Opfer Aufmerksamkeit, als sich einige von ihnen Ende Juni, mitten im argentinischen Winter, vor dem Regierungsgebäude in Buenos Aires anketteten. Fast zwei Monate lang protestierten sie dort – dann hatten sie ihr Ziel erreicht: Die im Januar eingestellte Suche nach dem U-Boot wurde Anfang September wieder aufgenommen. Der Druck der Angehörigen habe die Beauftragung einer Privatfirma durch die Regierung auf jeden Fall beschleunigt, meint Marine-Experte Morales. Ocean Infinity ist darauf spezialisiert, bis zu einer Tiefe von sechstausend Metern den Meeresboden abzusuchen. Überreste des abgestürzten Flugzeugs der Malaysia Airlines konnte die US-Firma allerdings nicht lokalisieren, und die Suche nach dem Bootswrack im Südatlantik blieb bislang erfolglos.
"Die Mission ist wirklich schwierig und bessere Spezialisten als diese gibt es nicht. Wenn dabei nichts herauskommt, müssen wir uns wohl an die Idee gewöhnen, dass das U-Boot vielleicht nicht zu finden ist."
Nur wenn die Firma das ARA San Juan aufspürt, wird sie bezahlt - vereinbart sind umgerechnet sechseinhalb Millionen Euro. Der Anreiz ist also groß, und dennoch wird Ocean Infinity die Suche in wenigen Tagen erst einmal unterbrechen, um voraussichtlich ab Februar mit einem neuen Plan weiterzuarbeiten. Experte Fernando Morales hält einen Erfolg für notwendig, um zweifelsfrei zu klären, was geschehen ist.
"Das wäre das Beste für die Marine und für ganz Argentinien. Denn solange das U-Boot verschwunden bleibt, blühen immer neue Verschwörungstheorien. Manche reden bereits von einem Angriff Großbritanniens auf das Boot, oder von einem chilenischen oder chinesischen Angriff, oder von einer Entführung – für jeden Geschmack ist etwas dabei."
Wilde Verschwörungstheorien
In den vergangenen Tagen ist durchgesickert, dass eine vom Verteidigungsministerium beauftragte Expertengruppe, die demnächst ihren Bericht veröffentlichen wird, menschliches Versagen als Grund für die Havarie in Betracht zieht. Ein Ventil, das geschlossen bleiben musste, sei geöffnet worden, Wasser sei in das U-Boot gelangt, habe zum Kurzschluss der Batterien und dann zu einer Explosion oder Implosion geführt. Das Ventil könne aber auch defekt gewesen sein, gibt Fregattenkapitän Fernando Morales zu bedenken.
"Ich gehöre zu jenen, die meinen, dass das U-Boot vielleicht nicht hätte in See stechen dürfen, weil es nicht in bestem Zustand war. Keiner kann sagen, ob das Unglück deshalb passiert ist. Aber vielleicht hätte es verhindert werden können, wenn die Wartung besser gewesen wäre."
Das U-Boot, das alle achtzehn Monate in einer Werft hätte repariert werden sollen, sei fast 45 Monate lang nicht zur Wartung aus dem Wasser geholt worden, betont Fernando Morales. Erwiesen ist auch, dass die Marine bei der Generalüberholung des in die Jahre gekommenen Boots die Batterien nicht vollständig erneuern ließ, sondern lediglich die Batteriezellen. Die argentinische Justiz ermittelt wegen möglicher Versäumnisse oder Fehler von Marine-Angehörigen vor der verhängnisvollen letzten Fahrt des ARA San Juan.
"Die Familien fordern unterdessen, was schon viele Angehörige von Opfern argentinischer Tragödien vor ihnen gefordert haben: Gerechtigkeit und Wahrheit."