Ein grüner Pick-up hält hinter einem halb verbrannten Ortsschild auf einer schmalen, asphaltierten Straße. Professor Xavier Viegas sitzt auf der Rückbank und gibt Koordinaten in sein Navigationssystem ein. Auf seinem blauen Polohemd steht das Kürzel eines Waldbrandforschungszentrums der Universität Coimbra. Viegas ist mit seinen beiden Kollegen im Brandgebiet um Pedrógão Grande unterwegs. Er sammelt Spuren, Indizien, Zeugenberichte. Der kräftige Mann mit dem dunklen Teint ist von der Regierung in Lissabon beauftragt worden, die Ursachen und den Verlauf des schwersten Waldbrandes der portugiesischen Geschichte zu rekonstruieren.
Ein vierjähriges Mädchen stirbt in den Flammen
Der Pick-up fährt weiter über eine Landstraße. Links und rechts stehen Eukalyptusbäume wie schwarz verkohlte Streichhölzer in Reih und Glied, an den glatten Stämmen sprießen bereits wieder die ersten grünen Blätter hervor. In einer Kurve bleibt der Truck stehen. Die Wissenschaftler suchen unterhalb der Böschung eine Stelle, wo eine Frau und ihre Familie mit dem Auto verunglückten. Schwer verletzt konnte sie ihren Sohn noch aus dem Wagen ziehen, ihre vierjährige Tochter und ihre Mutter kamen in den Flammen ums Leben. Im Pick-up ist es einen Moment lang still. Dann geht die Spurensuche weiter.
"Der Brand ist durch einen Blitzeinschlag ausgelöst worden, rund sechs Kilometer von hier entfernt. Es hat sich rasend schnell verbreitet, die kleinen Ortschaften und vereinzelten Häuser erreicht und viele Menschen eingekesselt. Es war ein Samstagnachmittag, und die Leute waren am Fluss baden oder Picknick machen. Wir wissen immer noch nicht ganz genau, warum gerade hier in dieser Gegend so viele Menschen ums Leben kamen."
Langsam beginnt der Wiederaufbau der zerstörten Häuser
In den kleinen Ortschaften beginnt langsam der Wiederaufbau der zerstörten Häuser, kleine Waldstücke am Wegesrand sind bereits gerodet worden, auf einem Lagerplatz vor einem Sägewerk türmen sich die verkohlten Kiefern- und Eukalyptusbaumstämme in die Höhe. Vor einer Straßenkreuzung hält der Pick-up am Wegesrand. Xavier Viegas tritt aus dem Wagen, rückt seine eckige Brille zurecht und beginnt mit gedämpfter Stimme zu erzählen.
"Das ist die Nationalstraße 236-1. Hier sind 47 Menschen ums Leben gekommen. Die Nationalstraße wird jetzt Todesstraße genannt, aber für mich ist sie auch eine Straße der Hoffnung, denn es gab viele Menschen, die sich aus diesem Horrorszenario retten konnten. Das sind ganz wichtige Zeugen für uns, nicht nur, weil sie uns schildern können, was auf der Straße passiert ist, sondern weil sie zudem wichtige Erkenntnisse über den Brandverlauf geliefert haben."
Feuer breitete sich rasend schnell aus
Xavier Viegas schaut sich kurz um und zeigt dann auf ein paar Baustämme im dichten Wald, die in der Mitte durchgebrochen sind. Er erzählt, er habe durchgebrochene Stämme gesehen, die kreisförmig in verschiedene Richtungen umgefallen seien. Das sei ein klares Zeichen für einen sogenannten Downburst – eine schwere Fallböe, die bei Gewittern mit hoher Geschwindigkeit vertikal auf den Boden trifft und sich dann nach allen Seiten verteilt. Für den Waldbrand-Spezialisten ist das eine Erklärung, warum der Brand sich so schnell ausbreiten konnte:
"Wir haben von Zeugen immer wieder gehört, dass sie überall auf Feuer getroffen sind. Egal, in welche Richtung sie geflohen sind. Das Feuer hat sich rasend schnell auf ein riesiges Gebiet ausgebreitet. Es gab Opfer hier und gleichzeitig rund vier Kilometer entfernt, und alles passierte fast gleichzeitig. Die Leute sind geflüchtet und in ihr Auto gestiegen und haben geschaut, wo es noch nicht brennt. Doch als sie dann ankamen, stand dort auch alles schon in Flammen."
In den Ortschaften fehlen Schutzzonen
Entlang der Nationalstraße 236-1 sind die verbrannten Eukalyptusbäume links und rechts der Straße bereits gefällt worden. Der Sicherheitsabstand zwischen Wald und Straße existiere jedoch erst seit ein paar Wochen, sagt Viegas. Vor dem Brand hätten die Bäume ganz dicht an der Straße gestanden, die Baumkronen darüber berührten sich fast.
"Ich habe nichts gegen den Anbau von Eukalyptusbäumen. Sie haben einen hohen wirtschaftlichen Nutzen, gerade für die Grundbesitzer hier im Landesinneren. Es ist ein Baum, der sehr schnell wächst, und deshalb schnell Ertrag bringt. Ich bin aber gegen die sogenannte Eukalpytisierung, das heißt dass man auf jeder freien Fläche Eukalyptus anbauen kann. Früher gab es um die Ortschaften herum Felder, die bei Waldbränden auch als Schutzzone dienten. Heutzutage werden auf den Feldern bis an die Häuser heran Eukalyptusbäume angebaut, und das geschieht wild und ohne eine vernünftige Anordnung. Dadurch werden die Ortschaften immer anfälliger, wenn es mal brennt. Das Problem ist also nicht die Baumsorte an sich, sondern die Art und Weise, wie der Eukalyptus in Portugal angebaut wird."
Verbrannte Baumestände und Autos am Wegesrand
Xavier Viegas steigt in den zerbeulten Pick-up. Der Wagen fährt über eine gut ausgebaute Schnellstraße. Am Wegesrand immer das gleiche Bild: Verbrannte Baumbestände, soweit das Auge reicht. Letzter Halt für heute ist Pontão, ein kleiner Ort außerhalb des Waldgebietes, wo die auf der Nationalstraße verbrannten Autos hingebracht wurden. Der Bereich sei abgesperrt, sagt einer von Viegas Mitarbeitern, der Zugang nur nach vorheriger Erlaubnis gestattet. Xavier Viegas bleibt gelassen. Mit bürokratischen Hindernissen hat er tagtäglich zu kämpfen.
Ein anstrengender Arbeitstag geht zu Ende. Er wisse nie, wie lange er unterwegs sei, sagt der Mitte-Sechzigjährige. Denn ein Indiz führe zum nächsten, und ein Zeuge folge auf den anderen.