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Unterwegs in den Brandgebieten Portugals (4/5)
Eine Dorfgemeinschaft plant ihre eigene Waldreform

Portugal hat eine größere Waldfläche als Deutschland. Auf den überwiegend privaten Flächen gibt es neben Monokulturen aber auch viel Wildwuchs. Dagegen will die Regierung mit einer Waldreform angehen und notfalls Grundbesitzer enteignen. Ein kleines Dorf zeigt, dass es auch anders geht.

Von Tilo Wagner |
    Eine agebrannte Fläche einer Eukalyptus-Monokuoltur in Portugal.
    Die Eukalyptusbäume brannten lichterloh. Nun erfolgt ein Umdenken, denn die Monokulturen begünstigten die Ausbreitung der Waldbrände. (Deutschlandradio / Tilo Wagner)
    Am Rande der Nationalstraße 236-1 steht Xavier Viegas unter einer großen Korkeiche und bricht ein Stück schwarze Rinde heraus: Auf den ersten Blick sieht der Baum nicht so aus, als ob er noch am Leben sei. Doch Waldbrandexperte Viegas blinzelt in die Nachmittagssonne und zeigt auf ein paar winzige grüne Blätter, die aus den Ästen sprießen. Korkeichen gelten als sehr feuerresistent und können Waldbrände manchmal sogar aufhalten, erklärt Viegas. Doch dieser Baum war bei dem großen Brand auch nur Futter für die Flammen.
    "Unter den außergewöhnlichen Umständen, die wir bei diesem Waldbrand beobachten konnten, war es eigentlich ganz egal, was für eine Baumart im Wald stand. Das wahre Problem ist die fehlende Ordnung im Waldgebiet. Der Wildwuchs von Sträuchern, Pflanzen und Bäumen auf den privaten Grundstücken wird nicht kontrolliert. Und dadurch verschwinden auch die Sicherheitszone um die Straßen, Dörfer und Häuser."
    Mit einem Gartenschlauch gegen die Flammen
    Fünfzehn Kilometer von der Nationalstraße entfernt sitzt Pedro Pedrosa auf seiner Terrasse und blättert durch einen Stapel Papiere. Pedro ist mit seiner Frau und seinen beiden kleinen Kindern vor ein paar Jahren aus Lissabon in das Dorf Ferraria de São João gezogen, um ein Gästehaus für Naturfreunde und Mountainbikefahrer aufzubauen. Auf einer Grafik hat der 46-Jährige das Problem des gesamten portugiesischen Waldes im Kleinformat dargestellt: Rund um das kleine Dorf liegen auf einer Fläche von fünf Hektar Land 202 Grundstücksparzellen mit 76 verschiedenen Eigentümern. In der Nacht des 17. Juni umschloss eine Feuerwand die kleine Ortschaft im Mittelgebirge Serra de Lousã. Pedro kämpfte mit einem Gartenschlauch gegen die haushohen Flammen und konnte so verhindern, dass sein aufwendig renoviertes Haus aus Schiefersteinen und seine drei Touristenapartments beschädigt wurden. Zwei Tage nach dem Brand lud er die 35 Einwohner des Dorfes zu einer außerordentlichen Sitzung ein:
    "Es war ein emotional sehr aufgeladenes Treffen. Selbst die Ältesten konnten sich an einen so bedrohlichen Waldbrand nicht erinnern. Ohne Hilfe von außen haben wir alle mit den Flammen gekämpft. Und wir hatten Glück – denn niemand kam ums Leben. Das war der Punkt, wo die Leute sagten: Jetzt müssen wir unser Schicksal selbst in die Hand nehmen! Sonst brennt in drei, vier Jahren wieder alles."
    Eichenbäume statt Eukalyptusbäume
    Pedro läuft von seinem Haus über eine staubige Straße um das Dorf herum und erzählt begeistert von seinem Projekt. Rechts liegen die Scheunen und Wohnhäuser in einer kleinen Senke, links stehen abgebrannte Eukalyptusbäume. Nach ein paar Hundert Metern führt ein steiniger Weg plötzlich durch einen grünen Korkeichenwald. Das Feuer sei über den Berg gekommen, sagt Pedro, und auf das Dorf zugerast. Doch dann blieb es im Korkeichenwald hängen und kam nicht weiter, bis es seitlich auswich und die Eukalyptuswälder rundherum in ein Flammenmeer verwandelte.
    Brennendes Buschwerk und Bäumen sind am 19.06.2017 zwischen den kleinen Ortschaften Casalinho und Enchecamas, etwa 150 Kilometer nordöstlich von Lissabon, (Portugal) im Außenspiegel eines Autos zu sehen. Der verheerende Waldbrand mit vielen Toten in Portugal ist der Polizei zufolge wohl durch Blitzschlag ausgelöst worden.
    Schwerster Waldbrand in Portugal seit Jahrzehnten (Peter Kneffel/dpa)
    "Die Leute aus dem Dorf haben es mit ihren eigenen Augen gesehen: Das Feuer ist im Eichenwald einfach ausgegangen, ohne dass auch nur ein Tropfen Wasser draufgespritzt worden wäre. Wir haben sofort verstanden: Das muss unser Lösungsansatz sein, und wenn wir alle zusammen an einem Strang ziehen, dann klappt es auch. Also haben wir eine sogenannte Dorfschutzzone skizziert. Und jeder Grundbesitzer war einverstanden, dass auf seinen Parzellen, die in dieser Zone liegen, der Eukalyptus rausgerissen wird. Die Fläche bleibt entweder frei oder wird mit Bäumen bepflanzt, die uns helfen, den nächsten Waldbrand in Schach zu halten."
    Umdenken und die Dinge in die Hand nehmen
    Die ersten Arbeiten im Wald haben bereits begonnen: Die verbrannten Eukalyptusbäume werden gefällt, die Wurzeln mit großen Bulldozern herausgerissen. Unten im Dorf trifft Pedro auf ein älteres Pärchen, das mit einem kleinen Trecker das gefällte Holz aus dem Wald auf den Hof fährt. Die Dorfgemeinschaft hat einen Zeitraum festgelegt, in dem die Anwohner Brennholz holen können, bevor der Rest von Lkws abtransportiert wird. Auf dem Weg zurück zu seinem Haus versucht Pedro die richtigen Worte zu finden, um seine Mitbewohner im Dorf zu beschreiben, ohne sie zu dabei zu beleidigen: Es sei hier nicht ganz einfach, die Leute aus ihrer inneren Trägheit herauszureißen. In den vergangenen Jahrzehnten seien viele Menschen aus den portugiesischen Waldgebieten ausgewandert. Und die vielen älteren Menschen, die zurückgeblieben sind, würden sich nicht unbedingt durch einen hohen Grad von Eigeninitiative und zivilbürgerlichem Engagement auszeichnen.
    "Diese Gegend braucht gute Vermittler, die sich nicht nur um die Dorfgemeinschaft bemühen, sondern auch um diejenigen, die ganz auf sich alleine gestellt sind. Die Schutzzonen um die Dörfer können eigentlich nur auf zwei verschiedene Arten und Weisen geschaffen werden. In einem basisdemokratischen Prozess von unten nach oben, so wie wir das hier machen. Oder, wenn ein externes Team mit der nötigen Autorität in die Dörfer kommt und im Zweifelsfall ungepflegte Grundstücke zwangsverstaatlicht: Aber das ist natürlich ein sehr sensibles Feld."
    Zukunftschance für die Dörfer und die Wälder
    Pedro glaubt, dass es eine Chance für die Dörfer in dem Waldbrandgebiet gibt. Er erinnert sich an seine eigene, persönliche Entscheidung, den Großstadtlärm und das stressige Leben in Lissabon hinter sich zu lassen, um in die verlassenen Wälder Portugals zu ziehen.
    "Der Tourismus und die freien Berufe, die man von überall ausführen kann, sind der Schlüssel zum Erfolg. Wenn diese Leute aus Lissabon oder Porto hierher ziehen, dann kommt ein frischer Wind in die Dörfer und das bewirkt einen Mentalitätswandel. Doch leider hat die Regierung einen strategischen Fehler gemacht: Sie hat hier in den Waldgebieten nicht in den Ausbau einer schnelle Internetverbindung investiert. Man könnte denken: Was hat das Internet denn mit den Waldbränden zu tun? Ich glaube, eine ganze Menge: Denn ein Architekt könnte seine Projekte genauso gut hier entwerfen, wenn er die Möglichkeit hätte, seine Dateien schnell an die Auftraggeber zu verschicken. Und damit hätten wir einen potenziellen Projektleiter im Dorf."