Die Nationalstraße 236-1 endet in Castanheira de Pera. Die Kleinstadt mit ihren 3.100 Einwohnern liegt in einem engen Flusstal. Im Westen steigt ein Mittelgebirgszug steil an, auf dem Kamm der halbverbrannten Hänge drehen sich zwei Dutzend weiße Windräder. Xavier Viegas ist auf dem Weg zur Feuerwache. Das weiß gestrichene, schmucklose Gebäude aus den 1960er Jahren liegt im Zentrum nur einen Steinwurf von der Ortsverwaltung entfernt. In der Wache will sich der Brandexperte mit Feuerwehrleuten treffen, die am Abend des 17. Juni im Einsatz gewesen waren.
"In unserem Untersuchungsbericht wollen wir Antworten auf eine Reihe von Fragen finden: Wie hat sich der Brand am ersten Tag entwickelt? Wie hat die Feuerwehr reagiert? Wieso konnte das Feuer sich bis in die Dörfer und auf die Nationalstraße ausbreiten, wo schließlich so viele Menschen ums Leben kamen. Wir versuchen die ersten Stunden des Brandes zu rekonstruieren und damit herauszufinden, was die Menschen bewegt hat, ihre Häuser zu verlassen, sich in ihre Autos zu setzen und zu fliehen."
"Unsere Helden" - Solidaritätsgrüße aus Holland
Feuerwehrhauptmann José Correia führt durch das Gebäude. Im Aufenthaltsraum im ersten Stock zeigt der stämmige Mann mit der kurz geschnittenen Halbglatze auf ein großes Transparent mit dickem Schriftzug: "Unsere Helden" steht darauf, ein Solidaritätsgruß aus Holland, erklärt Correia. Er sei sehr stolz auf seine Truppe, sagt der 60-jährige Fahrlehrer, der seit über vier Jahrzehnten in der freiwilligen Feuerwehr tätig ist. Die Männer und Frauen hätten ihr Bestes gegeben und noch Tage nach der großer Katastrophe immer wieder aufflammende Brandnester gelöscht.
In der Garage stehen hinter vier roten Toren die sieben Einsatzwagen, es fehlt immer noch ein Löschfahrzeug: In der Brandnacht war es auf der Nationalstraße in einen schweren Autounfall verwickelt worden. Die fünf Feuerwehrleute versuchten zu Fuß Hilfe zu holen und wurden von der Gluthitze überrascht. Einer von ihnen, der 40-jährige Restaurantbesitzer Gonçalo Conceição, starb wenige Tage später an den schweren Verbrennungen:
"Von Samstagabend bis Dienstagmittag war ich pausenlos im Einsatz, und als ich dann endlich eine Runde schlafen konnte, kam die Nachricht, dass es Gonçalo nicht geschafft hatte. Einen Moment lang hätte ich fast aufgegeben, aber ich musste vor meinen Leuten das Gesicht wahren, schließlich war der Waldbrand noch nicht unter Kontrolle. Gonçalo war mein Nachbar gewesen und ein sehr guter Freund. Und dass er jetzt nicht mehr da ist, das habe ich immer noch nicht ganz begriffen."
Was ist schief gelaufen?
José Correia wirkt nicht wie ein Mann, der seinen Emotionen freien Lauf lässt, aber wenn er über den großen Waldbrand berichtet, dann legt sich ein feuchter Film auf seine dunkelbraunen Augen. In 43 Jahren Feuerwehrdienst habe er noch nie einen so verheerenden Brand erlebt, sagt er. Und dann kommt er mit einer These daher, die auch den Brandexperten Viegas erstaunen mag: Wenn am am 17. Juni viel mehr Feuerwehrleute aus dem Umkreis im Wald gewesen wären, dann hätte das nur zu viel mehr Todesopfern geführt.
Was in der Nacht mit seinen Feuerwehrleuten schief gelaufen ist, weiß Correia immer noch nicht ganz genau. Er hat die drei Männer und eine Frau, die den Brand schwer verletzt überlebt haben, noch nicht befragt. Alles zu seiner Zeit, sagt er, und streicht sich über seinen kurzen Oberlippenbart. Correia macht sich Sorgen um die Zukunft. Er ist sich nicht sicher, wie es mit seiner freiwilligen Feuerwehr weiter gehen soll. Zurzeit zählt Correia noch 58 Mitarbeiter, doch nur sechs davon seien professionelle Einsatzkräfte.
"Wir brauchen unbedingt neue Feuerwehrleute. Hier im Umkreis bilden wir mit zwei Nachbargemeinden gerade 30 neue freiwillige Einsatzkräfte aus, neun davon sollen dann zu uns kommen. Aber das hängt davon ab, ob sie hier in der Region einen Arbeitsplatz finden. Die meisten verlassen wegen dem Job oder dem Studium unsere Stadt. Und manche Dienste kann ich nur belegen, weil einige von ihnen am Wochenende hierher kommen und freiwillig nachts oder tagsüber in der Wache arbeiten, obwohl ich ihnen nur vier oder fünf Euro Aufwandsentschädigung pro Dienst zahlen kann."
Trauer um den Freund und Kollegen
Die Feuerwache, in der José Correia an diesem ruhigen Oktobervormittag steht, ist den meisten Portugiesen aus dem Fernsehen bekannt. Fünf Tage nach dem verheerenden Brand versammelte sich die politische Elite in Castanheira de Pera, um den toten Feuerwehrmann zu Grabe zu tragen.
"Am Tag des Begräbnisses habe ich von führenden Politikern Unterstützung zugesagt bekommen. Hohe Beamte, der Premierminister, die Innenministerin, alle haben sie uns versprochen, dass sie uns helfen werden. Mal schauen, ob da noch was kommt. Aber ich habe meine Hoffnung verloren, dass die Politiker irgendetwas verändern können. Und wenn sie es dann doch tun, dann wäre ich froh, dass sie mir das Gegenteil bewiesen haben. Ich glaube nur nicht, dass jetzt plötzlich alles anders wird. Die Politik hat immer in Projekte anderswo investiert, und nicht hier bei uns. Mittelfristig wird wohl alles beim Alten bleiben."
Für José Correia geht der Dienst in der Feuerwache weiter. Heute muss er keine Waldbrände mehr löschen, sondern nur den Transport von einem älteren Mitbürger zum Arztbesuch im nächst gelegenen Krankenhaus organisieren. Professor Xavier Viegas vom Waldbrandforschungszentrum der Universität Coimbra führt noch ein paar kurze Gespräche mit Feuerwehrleuten, bevor er sich auf den Weg macht. Am Auto hält er noch einmal kurz inne und schaut auf seinen vollgeschriebenen Notizblock:
"Es gibt so viele Geschichten über diesen Waldbrand, und jeder Zeuge hat einen anderen Blick auf die Vorgänge. Dadurch stoßen wir auf widersprüchliche Aussagen oder auf neue Elemente. Jetzt kommt es darauf an, das Puzzle richtig zusammenzulegen – und das wird nicht ganz einfach."