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Unterwegs mit einem Dickhäuter

Für eine gute Idee braucht es manchmal nicht viel. José Saramago reichte ein Restaurant mit Namen "Elefant" und ein paar kleine Holzschnitzereien. In "Die Reise der Elefanten" erzählt der portugisische Liternaturnobelpreisträger die abenteuerliche Reise eines Dickhäuters von Lissabon nach Wien.

Von Michaela Schmitz |
    Große Kunst ist es, wenn schwere Dinge so leichtfüßig daherkommen wie der Dickhäuter in José Saramagos "Reise des Elefanten". Salomon ist der Name des vier Tonnen schweren und drei Meter großen Helden dieser heiter satirischen Don Quijoterie. Vor gut zwei Jahren ist der Elefant mit seinem Mahut Subhro aus Indien nach Lissabon gekommen. Als verspätetes Hochzeitsgeschenk des portugiesischen Königs Johann des Dritten an Vetter Erzherzog Maximilian und seine Gattin Maria soll er im Jahr 1551 nach Wien reisen. So die Idee der königlichen Gemahlin Katharina von Kastilien. Die Übergabe Salomons wird im spanischen Herrschaftssitz Valladolid erfolgen. Wie der Elefant von da über die Alpen kommen mag, soll Sorge des Vetters sein. Für den Transport nach Valladolid wird im Auftrag des portugiesischen Königs eine stattliche Eskorte zusammengestellt.

    "(...) vorneweg, in luftiger Höhe auf den Schultern seines Tieres der Mahut, dahinter die beiden Männer, die ihm bei allen Erfordernissen zur Hand gehen sollten, sowie jene, die für die Versorgung zuständig waren, ferner der Ochsenkarren mit einer Riesenladung verschiedenartiger Futterballen und dem Wasserbottich, der wegen der Unebenheiten des Weges ständig hin und her rollte, anschließend der Reitertrupp, verantwortlich für die Sicherheit der Reise, und zuletzt ein (...) von zwei Maultieren gezogener Wagen der Militärintendantur."

    Von Beginn dieser abenteuerlichen Reise an begleitet der Erzähler das Geschehen mit seinen ironischen Kommentaren – mal liebevoll lächelnd, mal satirisch bissig. So unwegsam wie das Gelände der zu bereisenden portugiesischen Provinz, so verschlungen die eingestreuten Anmerkungen und daran anschließenden Gedankengänge des Erzählers. Die bewusst chaotische Erzähltechnik unterscheidet nicht zwischen direkter und indirekter Rede, reiht verschiedene Sprecher unterschiedslos aneinander und arbeitet mit einer extrem irritierenden Zeichensetzung. Der Stil orientiert sich an der Mündlichkeit und macht die Gleichzeitigkeit verschiedener Blickwinkel möglich. Denn der allgegenwärtige und allwissende Erzähler kennt nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Zukunft und zeigt Beziehungen zwischen ihnen auf. Außerdem macht er den Leser als distanzierten Beobachter zu seinem Komplizen und unterwirft damit die historische Expedition auch seinem Urteil. Zur Diskussion steht vor allem die Rolle des nach dem weisen König Salomon benannten Dickhäuters. Denn Salomon scheint in der Erzählung mehr darzustellen als das zum Paradeelefanten erwählte Arbeitstier. Die Hinweise verdichten sich beim zweiten Halt in einem kleinen Dorf, wo Mahut Subhro am Feuer die Geschichte des hinduistischen Elefantengotts Ganesha erzählt. Die Dorfbewohner hören heimlich mit und eilen zum Pfarrer:

    "Herr Pfarrer, Gott ist ein Elefant. (...) Gott ist in all seinen Geschöpfen gegenwärtig, sagte er. (...) Doch keines davon ist Gott, das wäre ja noch schöner, (...) Herr Pfarrer, wir haben mit unseren eigenen Ohren, die einst die Erde verschlingen wird, gehört, dass der Elefant, der sich hier aufhält, Gott ist, wer hat diesen Unsinn proklamiert, fragte der Pfarrer (...), der Mann, der obendrauf sitzt. Obendrauf, auf was, auf dem Gott, dem Tier. Der Pfarrer atmete tief durch (...)"

    und plant anderntags, unter dem Vorwand, den Elefanten zu segnen, eine Dämonenaustreibung, die Salomon mit einem gezielt abgestoppten Tritt zu verhindern versteht. Mehr und mehr entsteht der Eindruck: Salomon sei nicht nur tierischer, sondern genauso göttlicher und menschlicher Natur – ein irdischer Bruder Ganeshas, dem Gott mit menschlicher Statur und dem Kopf eines Elefanten. Im Verlauf der Reise wird Salomon jedenfalls zum Objekt unterschiedlichster Projektionen, Spekulationen und Kalküle. Als Hochzeitsgeschenk des portugiesischen Königs an den spanischen Herrscher wird er zum politischen Instrument. In Castelo Rodrigo an der Grenze zu Spanien dient er als Vorwand militärischer Machtspiele zwischen portugiesischer Eskorte und einer Delegation des österreichischen Heeres. In Padua wird er zum Vehikel der katholischen Kirche. Er soll vor der Basilika des Heiligen Antonius niederknien. Das inszenierte Wunder wird zum Argument der Gegenreformation. Erzherzog Maximilian benutzt Salomon dazu, seinen eigenen Ruhm und Ansehen zu stärken. Beim feierlichen Einmarsch in Wien lässt er den Publikumsmagneten Vorwegreiten, um selbst noch mehr zu glänzen. Der Schaulauf wird durch ein dramatisches Ereignis verstärkt, als ein fünfjähriges Mädchen auf den Elefanten zuläuft; zum großen Schrecken der Eltern und Schaulustigen

    "Doch sie kannten Salomon schlecht. Er umfing den Körper des Mädchens mit seinem Rüssel, als wollte er es umarmen, und hob es in die Lüfte wie eine neuartige Fahne, nämlich die eines im letzten Augenblick geretteten, bereits verloren geglaubten Lebens. (...) es hieß, ein Wunder sei geschehen, (...) und (…) die Geschichte des Elefanten, der ein Mädchen vor dem Tod rettete, wurde bis zum heutigen Tag bestimmt tausendmal erzählt und ebenso oft ausgeschmückt."

    Zwei Winter später stirbt der exotische Gigant im kalten Wien. Sogar seine sterblichen Überreste finden noch Verwendung. Salomons abgeschnittene und präparierte Vorderbeine dienen als Schirmständer am Palasteingang. Ein unwürdiges Ende. Aber irgendetwas hatte sich schon während der abenteuerlichen Reise verändert. Führten zu Beginn Elefant und Mahut die Spitze der Expedition an, wurden sie im Verlauf immer weiter nach hinten gedrängt. Am Anfang hatte sich die Eskorte dem Tempo der Ochsenkarren und den Ruhepausen Salomons angepasst. Später gaben Erzherzog und Kürassiere die Geschwindigkeit vor. Beinahe königlich hatte Salomon noch gewirkt, als er die Ochsenkarrenzieher mit einem brüderlichen Rüsselhandschlag und den Kommandanten mit einem feierlichen Rüsselschlag auf die Schulter verabschiedete. Zum reinen Schauobjekt wird er während der Parade in Wien degradiert. Bereits bei der Ankunft in Genua scheint der Elefant kleiner zu wirken; und in den winterlich verschneiten Alpen ist Salomon kurz davor, komplett die Orientierung zu verlieren. Seine Verwirrung erscheint existenziell:

    "(...) in Salomons Kopf vermischen sich das Nichtwollen und das Nichtwissen zu einer großen Frage über die Welt, in die man ihn hineinversetzt hat, aber diese Frage betrifft ja uns alle, uns und die Elefanten."

    Der Elefant gilt als Bewahrer des Lebens und steht für die Würde der Kreatur. In Saramagos Erzählung ist er die Verkörperung einer erdverbundenen poetischen Sozialutopie. Die Geschichte Salomons liest sich als universelle Passion – eine Leidensgeschichte jenseits christlicher Heilsversprechen, die der Erzähler mehr als einmal mit Hohn und Spott bedenkt. Saramago selbst sagt, die "Reise des Elefanten" sei

    "eine Metapher für das menschliche Leben. (...) Wenn der Mensch anfängt, über das Schicksal des Elefanten nachzudenken (...) nun, im Grunde ist es unser aller Leben. Wir enden, sterben, unter Umständen, die zwar voneinander verschieden sind, aber im Grunde läuft alles auf den Tod hinaus."

    Seine Ruhe und Gelassenheit hätten ihm geholfen, den Tod als etwas ganz Natürliches zu betrachten, gegen den man sich allerdings wehren sollte, bekennt der Autor in einem Interview schmunzelnd. Saramagos persönlicher Widerstand war sein Schreiben. In der Figur des Elefantenführers und weisen Narren Subhro zeichnet er seine eigene Karikatur. Schließlich ist Elefantengott Ganesha die Gottheit der Schreibkunst und der Weisheit. Deshalb ist die "Reise des Elefanten" zugleich ein Bild für Saramagos Poetik. Schriftsteller wie Elefantenführer haben die gleiche Aufgabe: Die Achtung vor dem Leben zu bewahren und die Würde der Kreatur zu schützen. Obwohl Subhro selbstironisch eingesteht, eigentlich sei es der Elefant, der ihn führe und nicht umgekehrt. Saramagos "Reise des Elefanten" ist ein Buch ganz in der Tradition Don Quijotes. An jeder Wegbiegung der abenteuerlichen Reise des Elefanten von Lissabon nach Wien lauern tiefsinnige Lebensweisheiten. Jede allzu tiefgründige Erkenntnis des weisen Narren Subhro wird vom Erzähler mit einem Schmunzeln ironisiert. Ganz beiläufig macht Saramago die Leser dabei zu Pionieren der "salomonischen" Reise und fordert sie auf, sich auch einen gänzlich anderen Verlauf vorzustellen. Schließlich, meinte der Autor einmal augenzwinkernd, darf man nicht resignieren und die Tatsache des Sterbens einfach akzeptieren. Saramagos "Reise des Elefanten" ist ein wunderbar leichtes Buch über die allzu schweren Dinge des Lebens.

    José Saramago. Die Reise des Elefanten. Übersetzt von Marianne Gareis. Hoffman und Campe 2010. 240 Seiten. 19,95 Euro.

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