"Ein Alter, der das Alt-Sein, die weißen Haare und die Todesnähe hasst und fürchtet, ist kein würdiger Vertreter seiner Stufe. So wenig wie ein junger und kräftiger Mensch, der seinen Beruf und seine tägliche Arbeit hasst und sich ihnen lieber entziehen möchte."
Sätze aus einem der wenigen Radio-Interviews, die Hermann Hesse gegeben hat. Sie klingen gelassen, abgeklärt – eben so, wie man als arrivierter Autor, gar Nobelpreisträger, sprechen kann. Doch wie ging es ihm selbst, als er ein "junger und kräftiger Mensch" war? Er musste immerhin 27 werden, bis er sich seinem Beruf nicht mehr "entziehen" mochte. Das war 1904, als sein Roman "Peter Camenzind" ein Verkaufserfolg war und er endlich freier Schriftsteller werden konnte. Wie es dazu kam, ist in Hesse-Biografien nachzulesen – aber auch, authentischer, in seinen Briefen. Zum Auftakt einer zehnbändigen Briefausgabe ist jetzt bei Suhrkamp ein Band erschienen, der den Zeitraum von 1881-1904 umfasst – also genau die Jahre bis zu Hesses Beginn als freier Schriftsteller. Der erste Brief, oder besser ein Briefchen, geht an den Vetter Hermann Gundert, im Mai 1881 – da ist Hesse vier Jahre alt. Darin heißt es:
"Ich huste ganz erschrecklich, aber darf doch ausgehen. Der Doktor wollte meine Zunge sehen, aber ich habe sie ihm durchaus nicht gezeigt, und den bitteren Tee habe ich auch nicht getrunken."
Natürlich hat der Vierjährige den Brief nicht selbst geschrieben, sondern seiner Mutter diktiert. Aber der Herausgeber Volker Michels nahm ihn zu Recht in den Band auf, weil er zeigt, dass Hesses berühmter "Eigensinn" schon als kleines Kind in ihm angelegt war. Es ist genau dieser Charakterzug, der ihn gegen alle Widerstände Schriftsteller werden lässt und auch später sein Leben prägt. Hesse wird 1877 in dem schwäbischen Schwarzwaldstädtchen Calw geboren – als Sohn eines pietistischen Missionars-Paares, was man durchaus eine Hypothek nennen kann. Denn im Pietismus soll der Wille des Kinds gebrochen werden, um es zu einem bescheidenen, frommen Christen zu machen. Ora et labora, bete und arbeite! In seinem "Kurzgefassten Lebenslauf" schreibt er viele Jahre später:
"Ich brauchte nur das "Du sollst" zu hören, so wendete sich alles in mir um und ich wurde verstockt."
Der Junge beginnt gegen das Elternhaus zu rebellieren, seine Religion ist die Literatur. Schon mit 13 will er Dichter werden, "oder gar nichts". Mit 14 besucht er das evangelisch-theologische Seminar Maulbronn. Seine Briefe von dort klingen zunächst munter, doch nach einem halben Jahr flieht er aus der Schule. Offenbar ist ihm klar geworden, was es bedeutet, das Seminar zu absolvieren – ein braves, geordnetes Leben, er hätte Pfarrer oder Lehrer werden müssen. Von da an entwickelt er sich zu einem Jungen, den man heute wohl "schwer erziehbar" nennen würde. Er opponiert gegen die Eltern, wo er kann, verlässt mehrere Schulen, droht sich gleich zwei Mal zu erschießen, und wird von den Eltern, die nicht mehr weiter wissen, in eine Irrenanstalt gesteckt. Von dort schreibt er ebenso verzweifelte wie berührende Briefe nach Hause, die nun das Herzstück der Briefausgabe sind. Sie plädieren für Menschlichkeit und Individualität, wenden sich gegen Konfessionen und Konventionen. Wo, wenn nicht hier liegt der Ausgangspunkt für den späteren Autor? Zunächst gehen Briefe an die "Lieben Eltern" oder den "Werten Papa", dann werden die Anreden frostiger. Der 15-Jährige schreibt an die "L.E." und schließlich, im Herbst 1892, an den Vater:
"Sehr geehrter Herr! Da Sie sich so auffällig opferwillig zeigen, darf ich Sie vielleicht um 7 Mark oder gleich um den Revolver bitten. Nachdem Sie mich zur Verzweiflung gebracht, sind Sie doch wohl bereit, mich dieser und sich meiner rasch zu entledigen. Eigentlich hätte ich ja schon im Juni krepieren sollen. (…) Ihre Verhältnisse zu mir scheinen sich immer gespannter zu gestalten. Ich glaube, wenn ich Pietist und nicht Mensch wäre, wenn ich jede Eigenschaft und Neigung an mir ins Gegenteil verkehrte, könnte ich mit Ihnen harmonieren. Aber so kann und will ich nimmer leben und wenn ich ein Verbrechen begehe, sind nächst mir Sie schuld, Herr Hesse, der Sie mir die Freude am Leben nahmen. Aus dem "lieben Hermann" ist ein andrer geworden, ein Welthasser, ein Waise, dessen Eltern leben."
Der Junge unterzeichnet sarkastisch mit:
" H. Hesse, Gefangener im Zuchthaus zu Stetten."
Verzweiflung und Hohn zeigen schließlich Wirkung, er kann die Anstalt verlassen. Doch das Verhältnis zwischen Eltern und Sohn bleibt gestört. Hesse besucht das Gymnasium in Cannstatt, das er nach der Mittleren Reife wegen "unaufhörlicher Kopfschmerzen" verlässt. Die anschließende Buchhändlerlehre in Esslingen gibt er schon nach drei Tagen auf. Die Folge: Er muss wieder ins Irrenhaus, diesmal nach Winnenden. Mit knapp 17 beginnt er ein Praktikum in der Calwer Turmuhren-Fabrik Perrot, diesmal hält er über ein Jahr durch. Die Begegnung mit den Arbeitern tut ihm gut, der sonst ganz in Literatur, Kunst und Philosophie lebt. An seinen früheren Lehrer Ernst Kapff schreibt er:
"Die Zeit, die ich in der Werkstätte war, ist gewiss nicht verloren, im Gegenteil wäre manchen solches Schmieden, Feilen und Hammerschwingen zu empfehlen; es hat mir Blick und Hand gefestigt und mich zu einem "praktischen Menschen" gemacht. Jedenfalls habe ich gelernt, vor Arbeit, auch Handarbeit und Schweiß, mich nicht zu scheuen."
Mit 18 verlässt Hesse die Eltern und Calw endgültig. Er macht eine Buchhändlerlehre in Tübingen und taucht in seiner freien Zeit weiter in die Literatur- und Kunstgeschichte ein. Bald erscheinen seine ersten Gedichte und Prosatexte, die von der Kritik wenig wahrgenommen werden. 1899 zieht er nach Basel, arbeitet in Buchhandlungen, schreibt für die "Allgemeine Schweizer Zeitung" und unternimmt, ganz klassisch, Bildungsreisen nach Italien. Das Jahr 1903 bringt eine Wende in sein Leben. Der bedeutende Fischer Verlag nimmt seinen Roman "Peter Camenzind" an und druckt ihn in der "Neuen Rundschau" vorab. Der stark autobiografische Text, der vom Selbst- und Freiwerden eines jungen Menschen handelt, erscheint im Jahr darauf als Buch und wird das, was man heute einen "Bestseller" nennt. Es ist Hesses Durchbruch als Schriftsteller. Er kündigt seine Stelle als Buchhändler und ist endlich freier Autor. Er heiratet seine erste Frau Maria Bernoulli und zieht mit ihr an den Bodensee, in ein altes Bauernhaus, wo sie einfach und mit der Natur leben wollen. Nun könnte er durchatmen, doch er ist schon wieder unzufrieden – ein Zustand, der ihn bis zu seinem Tod selten verlässt. Er hat Angst vor Stillstand, es drängt ihn weiterzugehen, eine neue "Stufe" des Lebens zu erreichen. Ende Dezember 1904 schreibt er an den Kritiker Hans Bethge:
"Mir ist (…) allerlei passiert, ich bin verheiratet usw., und leider ist mit dem früheren Geldmangel auch ein großer Teil meiner schönen Freiheit verschwunden. Die übertriebenen Erfolge des "Peter Camenzind" haben mich – vom Geld natürlich abgesehen – nicht eben gefreut, ich werde ja förmlich Mode, und das wollte ich nie."
Glücklicherweise, muss man da sagen, wusste er nicht, dass er später in den USA "Mode" wurde, seine Bücher regelrechte "Bibeln" der Hippies waren, sich gar eine Rockband nach seinem Roman "Steppenwolf" nannte – und er heute der weltweit meist gelesene deutsche Autor ist … - Die vorliegende Ausgabe enthält rund 300 Briefe von Hesse, keine Gegenbriefe. Die meisten richten sich an die Eltern, andere an Schulfreunde oder seinen ehemaligen Lehrer Ernst Kapff, der ihn in seinen literarischen Interessen bestärkt. Gegen Ende des Bandes kommen Briefe an seinen Verleger, an befreundete Künstler und Autoren hinzu. Vor allem der junge Hesse schreibt und schreibt, die Briefe sind oft sechs bis acht Druckseiten lang. Stilistisch sind sie ungewöhnlich reif – und zugleich verwundert, wie wenig Hesse von der Außenwelt wahrnimmt. Entweder kreist er um seine schwierige Innenwelt oder doziert seitenlang über Lektüren, die freilich wirklich verblüffend sind. Es scheint kaum ein Buch gegeben zu haben, das er nicht gelesen hätte, von der Antike bis in seine Gegenwart, von den Russen bis zum Don Quichote – was in manchen Briefen zu einem grotesken Namedropping führt:
"Im Norden bin ich augenblicklich wenig orientiert, ich kenne allenfalls Lie, Ibsen, Kielland, Paulsen, Rydberg, Winterhjelm, Etlar, Hertz, Hostrup, Björnson, Bergsoe etc."
Viele Jugendbriefe Hesses lagen schon in anderen Ausgaben verstreut vor, doch inzwischen wurden weitere, bisher ungedruckte gefunden. Herausgeber Volker Michels, Doyen der Hesse-Forschung, entschloss sich daher, neue Funde ganz zu drucken, bereits bekannte Briefe aber behutsam zu kürzen und so Wiederholungen zu vermeiden. Michels´ Einleitung führt nicht nur kompetent in Hesses Jugend ein, sondern stellt auch die ganze geplante Briefedition vor. Die Anmerkungen zu den einzelnen Briefen sind knapp, aber ausreichend und stören den Lesefluss nicht. Dafür gibt es im Anhang Ausführliches zur Entstehung zahlreicher Briefe und zu den Briefpartnern. Alles gut also, und wir schließen mit dem Meister selbst:
"Ich will Sie in Ruhe lassen. Gebären Sie etwas Schönes, Warmes, und denken Sie nicht an andre. Mit vielen Grüßen, Ihr Hermann Hesse."
Buchinfos:
Hermann Hesse: "Ich gehorche nicht und werde nicht gehorchen!" Die Briefe 1881-1904. Hrsg. von Volker Michels. Suhrkamp Verlag, 662 Seiten, 39,95 Euro.
Sätze aus einem der wenigen Radio-Interviews, die Hermann Hesse gegeben hat. Sie klingen gelassen, abgeklärt – eben so, wie man als arrivierter Autor, gar Nobelpreisträger, sprechen kann. Doch wie ging es ihm selbst, als er ein "junger und kräftiger Mensch" war? Er musste immerhin 27 werden, bis er sich seinem Beruf nicht mehr "entziehen" mochte. Das war 1904, als sein Roman "Peter Camenzind" ein Verkaufserfolg war und er endlich freier Schriftsteller werden konnte. Wie es dazu kam, ist in Hesse-Biografien nachzulesen – aber auch, authentischer, in seinen Briefen. Zum Auftakt einer zehnbändigen Briefausgabe ist jetzt bei Suhrkamp ein Band erschienen, der den Zeitraum von 1881-1904 umfasst – also genau die Jahre bis zu Hesses Beginn als freier Schriftsteller. Der erste Brief, oder besser ein Briefchen, geht an den Vetter Hermann Gundert, im Mai 1881 – da ist Hesse vier Jahre alt. Darin heißt es:
"Ich huste ganz erschrecklich, aber darf doch ausgehen. Der Doktor wollte meine Zunge sehen, aber ich habe sie ihm durchaus nicht gezeigt, und den bitteren Tee habe ich auch nicht getrunken."
Natürlich hat der Vierjährige den Brief nicht selbst geschrieben, sondern seiner Mutter diktiert. Aber der Herausgeber Volker Michels nahm ihn zu Recht in den Band auf, weil er zeigt, dass Hesses berühmter "Eigensinn" schon als kleines Kind in ihm angelegt war. Es ist genau dieser Charakterzug, der ihn gegen alle Widerstände Schriftsteller werden lässt und auch später sein Leben prägt. Hesse wird 1877 in dem schwäbischen Schwarzwaldstädtchen Calw geboren – als Sohn eines pietistischen Missionars-Paares, was man durchaus eine Hypothek nennen kann. Denn im Pietismus soll der Wille des Kinds gebrochen werden, um es zu einem bescheidenen, frommen Christen zu machen. Ora et labora, bete und arbeite! In seinem "Kurzgefassten Lebenslauf" schreibt er viele Jahre später:
"Ich brauchte nur das "Du sollst" zu hören, so wendete sich alles in mir um und ich wurde verstockt."
Der Junge beginnt gegen das Elternhaus zu rebellieren, seine Religion ist die Literatur. Schon mit 13 will er Dichter werden, "oder gar nichts". Mit 14 besucht er das evangelisch-theologische Seminar Maulbronn. Seine Briefe von dort klingen zunächst munter, doch nach einem halben Jahr flieht er aus der Schule. Offenbar ist ihm klar geworden, was es bedeutet, das Seminar zu absolvieren – ein braves, geordnetes Leben, er hätte Pfarrer oder Lehrer werden müssen. Von da an entwickelt er sich zu einem Jungen, den man heute wohl "schwer erziehbar" nennen würde. Er opponiert gegen die Eltern, wo er kann, verlässt mehrere Schulen, droht sich gleich zwei Mal zu erschießen, und wird von den Eltern, die nicht mehr weiter wissen, in eine Irrenanstalt gesteckt. Von dort schreibt er ebenso verzweifelte wie berührende Briefe nach Hause, die nun das Herzstück der Briefausgabe sind. Sie plädieren für Menschlichkeit und Individualität, wenden sich gegen Konfessionen und Konventionen. Wo, wenn nicht hier liegt der Ausgangspunkt für den späteren Autor? Zunächst gehen Briefe an die "Lieben Eltern" oder den "Werten Papa", dann werden die Anreden frostiger. Der 15-Jährige schreibt an die "L.E." und schließlich, im Herbst 1892, an den Vater:
"Sehr geehrter Herr! Da Sie sich so auffällig opferwillig zeigen, darf ich Sie vielleicht um 7 Mark oder gleich um den Revolver bitten. Nachdem Sie mich zur Verzweiflung gebracht, sind Sie doch wohl bereit, mich dieser und sich meiner rasch zu entledigen. Eigentlich hätte ich ja schon im Juni krepieren sollen. (…) Ihre Verhältnisse zu mir scheinen sich immer gespannter zu gestalten. Ich glaube, wenn ich Pietist und nicht Mensch wäre, wenn ich jede Eigenschaft und Neigung an mir ins Gegenteil verkehrte, könnte ich mit Ihnen harmonieren. Aber so kann und will ich nimmer leben und wenn ich ein Verbrechen begehe, sind nächst mir Sie schuld, Herr Hesse, der Sie mir die Freude am Leben nahmen. Aus dem "lieben Hermann" ist ein andrer geworden, ein Welthasser, ein Waise, dessen Eltern leben."
Der Junge unterzeichnet sarkastisch mit:
" H. Hesse, Gefangener im Zuchthaus zu Stetten."
Verzweiflung und Hohn zeigen schließlich Wirkung, er kann die Anstalt verlassen. Doch das Verhältnis zwischen Eltern und Sohn bleibt gestört. Hesse besucht das Gymnasium in Cannstatt, das er nach der Mittleren Reife wegen "unaufhörlicher Kopfschmerzen" verlässt. Die anschließende Buchhändlerlehre in Esslingen gibt er schon nach drei Tagen auf. Die Folge: Er muss wieder ins Irrenhaus, diesmal nach Winnenden. Mit knapp 17 beginnt er ein Praktikum in der Calwer Turmuhren-Fabrik Perrot, diesmal hält er über ein Jahr durch. Die Begegnung mit den Arbeitern tut ihm gut, der sonst ganz in Literatur, Kunst und Philosophie lebt. An seinen früheren Lehrer Ernst Kapff schreibt er:
"Die Zeit, die ich in der Werkstätte war, ist gewiss nicht verloren, im Gegenteil wäre manchen solches Schmieden, Feilen und Hammerschwingen zu empfehlen; es hat mir Blick und Hand gefestigt und mich zu einem "praktischen Menschen" gemacht. Jedenfalls habe ich gelernt, vor Arbeit, auch Handarbeit und Schweiß, mich nicht zu scheuen."
Mit 18 verlässt Hesse die Eltern und Calw endgültig. Er macht eine Buchhändlerlehre in Tübingen und taucht in seiner freien Zeit weiter in die Literatur- und Kunstgeschichte ein. Bald erscheinen seine ersten Gedichte und Prosatexte, die von der Kritik wenig wahrgenommen werden. 1899 zieht er nach Basel, arbeitet in Buchhandlungen, schreibt für die "Allgemeine Schweizer Zeitung" und unternimmt, ganz klassisch, Bildungsreisen nach Italien. Das Jahr 1903 bringt eine Wende in sein Leben. Der bedeutende Fischer Verlag nimmt seinen Roman "Peter Camenzind" an und druckt ihn in der "Neuen Rundschau" vorab. Der stark autobiografische Text, der vom Selbst- und Freiwerden eines jungen Menschen handelt, erscheint im Jahr darauf als Buch und wird das, was man heute einen "Bestseller" nennt. Es ist Hesses Durchbruch als Schriftsteller. Er kündigt seine Stelle als Buchhändler und ist endlich freier Autor. Er heiratet seine erste Frau Maria Bernoulli und zieht mit ihr an den Bodensee, in ein altes Bauernhaus, wo sie einfach und mit der Natur leben wollen. Nun könnte er durchatmen, doch er ist schon wieder unzufrieden – ein Zustand, der ihn bis zu seinem Tod selten verlässt. Er hat Angst vor Stillstand, es drängt ihn weiterzugehen, eine neue "Stufe" des Lebens zu erreichen. Ende Dezember 1904 schreibt er an den Kritiker Hans Bethge:
"Mir ist (…) allerlei passiert, ich bin verheiratet usw., und leider ist mit dem früheren Geldmangel auch ein großer Teil meiner schönen Freiheit verschwunden. Die übertriebenen Erfolge des "Peter Camenzind" haben mich – vom Geld natürlich abgesehen – nicht eben gefreut, ich werde ja förmlich Mode, und das wollte ich nie."
Glücklicherweise, muss man da sagen, wusste er nicht, dass er später in den USA "Mode" wurde, seine Bücher regelrechte "Bibeln" der Hippies waren, sich gar eine Rockband nach seinem Roman "Steppenwolf" nannte – und er heute der weltweit meist gelesene deutsche Autor ist … - Die vorliegende Ausgabe enthält rund 300 Briefe von Hesse, keine Gegenbriefe. Die meisten richten sich an die Eltern, andere an Schulfreunde oder seinen ehemaligen Lehrer Ernst Kapff, der ihn in seinen literarischen Interessen bestärkt. Gegen Ende des Bandes kommen Briefe an seinen Verleger, an befreundete Künstler und Autoren hinzu. Vor allem der junge Hesse schreibt und schreibt, die Briefe sind oft sechs bis acht Druckseiten lang. Stilistisch sind sie ungewöhnlich reif – und zugleich verwundert, wie wenig Hesse von der Außenwelt wahrnimmt. Entweder kreist er um seine schwierige Innenwelt oder doziert seitenlang über Lektüren, die freilich wirklich verblüffend sind. Es scheint kaum ein Buch gegeben zu haben, das er nicht gelesen hätte, von der Antike bis in seine Gegenwart, von den Russen bis zum Don Quichote – was in manchen Briefen zu einem grotesken Namedropping führt:
"Im Norden bin ich augenblicklich wenig orientiert, ich kenne allenfalls Lie, Ibsen, Kielland, Paulsen, Rydberg, Winterhjelm, Etlar, Hertz, Hostrup, Björnson, Bergsoe etc."
Viele Jugendbriefe Hesses lagen schon in anderen Ausgaben verstreut vor, doch inzwischen wurden weitere, bisher ungedruckte gefunden. Herausgeber Volker Michels, Doyen der Hesse-Forschung, entschloss sich daher, neue Funde ganz zu drucken, bereits bekannte Briefe aber behutsam zu kürzen und so Wiederholungen zu vermeiden. Michels´ Einleitung führt nicht nur kompetent in Hesses Jugend ein, sondern stellt auch die ganze geplante Briefedition vor. Die Anmerkungen zu den einzelnen Briefen sind knapp, aber ausreichend und stören den Lesefluss nicht. Dafür gibt es im Anhang Ausführliches zur Entstehung zahlreicher Briefe und zu den Briefpartnern. Alles gut also, und wir schließen mit dem Meister selbst:
"Ich will Sie in Ruhe lassen. Gebären Sie etwas Schönes, Warmes, und denken Sie nicht an andre. Mit vielen Grüßen, Ihr Hermann Hesse."
Buchinfos:
Hermann Hesse: "Ich gehorche nicht und werde nicht gehorchen!" Die Briefe 1881-1904. Hrsg. von Volker Michels. Suhrkamp Verlag, 662 Seiten, 39,95 Euro.