30 Milliarden Euro sollen in den Hilfsfonds fließen für den Wiederaufbau der vom Hochwasser betroffenen Gebiete in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Die riesigen Schäden bestätigen, was Fachleute schon seit einiger Zeit beobachten: Die Schäden, die weltweit durch Flusshochwasser entstehen, sind seit den 1990er-Jahren stark angestiegen. Darauf weist ein internationales Forschungsteam hin, das im Fachmagazin "Nature Review Earth and Environment" seine Ergebnise zusammengefasst hat. Für den Anstieg der Schäden gebe es mehrere Ursachen, erklärt der Hauptautor der Studie, der Hydrologe Bruno Merz vom Helmholtz-Zentrum Potsdam am Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ, und erläutert die Hintergründe.
- Woher kommt die deutliche Zunahme an Sachschäden?
- Wobei entstehen die meisten Schäden?
- Wie sieht der Trend bei den Todesfällen durch Hochwasser aus?
- Wann wird aus einem Extremwetter eine Flutkatastrophe?
- Welche Möglichkeiten haben Kommunen, sich zu schützen?
- Warum werden viele Menschen von den Wassermassen überrascht?
- Wie muss die Warnkette funktionieren?
Es ist ein ganzes Bündel von Faktoren, was man da betrachten muss und was da beiträgt, aber wenn sie nach der Hauptursache fragen, dann ist es die Zunahme der Werte, der Infrastruktur, der Industrie, der Siedlungen in hochwassergefährdeten Gebieten. Wir haben einen großen Druck weltweit auf Gebiete nah an Flüssen, und auch die Infrastruktur und die Siedlungen werden teurer.
Das ist interessant: Wir sehen natürlich überwiegend diese großen Ereignisse, die auch Signalwirkung haben, mit diesen großen Zahlen, aber man schätzt, dass circa 50 Prozent der Sachschäden weltweit durch viele kleine Schadenereignisse verursacht werden – also der Bach, der über die Ufer tritt, da eine Ortschaft betrifft, oder das Gewitterereignis direkt über einer Stadt, was dann zu einer Überschwemmung in 50 oder 100 Häusern führt.
Wir haben über einige Jahrzehnte eine Zunahme von Todesfällen gesehen, aber seit Mitte der 90er-Jahre haben wir einen Rückgang global. Wir hatten Mitte der 90er-Jahre ca. 10.000 Todesfälle pro Jahr durch Überschwemmungsereignisse weltweit, und das hat sich reduziert auf circa 4.000 Tote pro Jahr. Da ist sicherlich die Ursache, dass da doch große Anstrengungen unternommen wurden in Hochwasserschutz, in Frühwarnsysteme.
Da möchte ich auf den weltweiten Aspekt auch hier kurz ansprechen: Es gibt eine Reihe von Regionen – in Afrika, in Südostasien und so weiter –, da fehlen einfach die Ressourcen für Hochwasserschutz, für gute Frühwarnsysteme, für Vorsorge, und da sehen wir leider immer wieder, dass auch mittelgroße Ereignisse zu katastrophalen Auswirkungen führen. Anders ist es natürlich in den Industrieländern und Schwellenländern, wo Ressourcen verfügbar sind. Da kann in vielen Fällen ein Extremereignis beherrscht werden, also zum Beispiel durch die Talsperre oder das Rückhaltebecken, was ganz gezielt die Spitze einer Hochwasserwelle schneiden kann, oder durch Vorsorge von Menschen vor Ort. Allerdings ist es so, dass diese Maßnahmen Grenzen haben. Eine Talsperre ist immer auf ein bestimmtes Ereignis dimensioniert. Auch wenn jemand Vorsorge macht am eigenen Haus, kann das meinetwegen gegen einen Wasserstand von 1,50 Meter schützen, aber nicht gegen einen Wasserstand von vier Metern, und da sind Grenzen. Deshalb würde ich sagen, es kommt zu Katastrophen, wenn Situationen eintreten, auf die wir nicht vorbereitet sind, die unsere Schutzsysteme überschreiten und die wir auch nicht im Voraus durchdacht haben.
Da gibt es eine ganze Reihe von Maßnahmen. Ich würde sagen, grundsätzlich sollte jede Kommune wissen, was das Risiko ist, und im Idealfall sollten solche Abschätzungen bis zum Worst-Case-Szenario gehen. Wir haben heute in Deutschland flächendeckend an den Flüssen Hochwasserkarten, Hochwassergefahrenkarten, die zeigen ein Extrem-Szenario, das ist in etwa ein 200-jährliches Ereignis, also ein Ereignis, was im statistischen Mittel einmal in 200 Jahren erreicht oder überschritten wird, aber es kann natürlich ein extremeres Ereignis auftreten. Das müssen die Kommunen wissen, was passieren kann. Und dann hängt es natürlich von der spezifischen Situation ab. Wir haben Flussüberschwemmungen, Sturzfluten, wie wir kürzlich gesehen haben, oder urbane Überschwemmungen durch Starkniederschläge, und dann sind ganz spezifische Maßnahmen zu treffen.
Wenn wir das Thema Frühwarnsysteme anschauen, dann möchte ich hier auch unterscheiden zwischen Menschenleben retten und Sachschäden reduzieren. Alle Studien zeigen, dass in etwa eine Stunde reicht, um bei einer Flussüberschwemmung oder Sturzflut Menschenleben zu retten. Da gibt es Bevölkerungsgruppen, die brauchen Hilfe – kranke Personen, Kinder, die brauchen Hilfe –, aber die Überschwemmungsgebiete sind ja häufig sehr eng begrenzt, am Bach oder am Fluss. Deshalb reichen kurze Warnzeiten, um Menschenleben zu retten. Allerdings muss die Warnung verstanden werden, und es muss adäquat reagiert werden. Wir haben auch in den letzten Jahren immer wieder Befragungen durchgeführt nach Hochwasserereignissen in Deutschland, und unsere Befragungen zeigen ganz eindeutig, eine gute Warnung allein hilft nichts, solange die Menschen nicht wissen, was sie tun sollen.
Wir sprechen von einer ganzen Warnkette oder auch von der letzten Meile, und so eine gute Vorhersage muss ankommen, die muss auch gezielt ankommen. Es müssen die entsprechenden Kanäle vorbereitet sein, damit die Menschen die Warnung überhaupt erhalten, verstehen und reagieren können. Das ist richtig. Es reicht nicht, nur eine Frühwarnung auszusprechen und das auf einem Portal online zu stellen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.