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Unwetterkatastrophe in Erftstadt-Blessem
Die Erft soll zurück ins alte Flussbett

Nach dem sintflutartigen Regen Mitte Juli in Erftstadt flutete die Erft eine Kiesgrube. Die Folgen waren verheerend: Erdrutsche rissen eine Wiese fort, drei Häuser stürzten ein, weitere müssen abgerissen werden. Nun soll der Fluss wieder zurück in sein altes Bett geleitet werden - mit leistungsstarken Pumpen.

Von Volker Mrasek |
Helfer gehen an einem Schild mit der Aufschrift "Danke" vorbei
Tage nach den Überschwemmungen durften die Bewohner des Ortes Blessem im Rhein-Erft-Kreis wieder in ihre Häuser (picture alliance/dpa | David Young)
Am Ortsrand von Erftstadt-Blessem führt eine Brücke über die Autobahn 61 zwischen Köln und Koblenz. Sie ist gesperrt und bewacht von der Polizei. Hier beginnt die Gefahrenzone. Bernd Bucher trägt Gummistiefel, es prasselt auf seinen Regenschirm, als er sich am Samstag, den 24. Juli, hier umschaut - zehn Tage nach der Hochwasser-Katastrophe im Kölner Südwesten: "Wir hoffen, dass der Niederschlag nicht allzu viel wird. Damit die Erft nicht zu stark ansteigt heute."
Bernd Bucher ist Hydrologe und leitet den Erftverband. Der kümmert sich um alle Belange des Wassermanagements im Flussverlauf. Nur noch ein paar Schritte bis zum höchsten Punkt der Brücke, und die Kiesgrube am Ortsrand von Blessem kommt in Sicht. Ein See ist hier entstanden. Die Erft strömt nach wie vor hinein: "Das ist natürlich ein Zustand, der so nicht bleiben kann. Die Erft würde sich tiefer fressen. Sie würde die Autobahn A61 noch mehr in Mitleidenschaft ziehen. Das muss jetzt schnellstens repariert werden!"

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Die Erft strömt weiter in den See, doch der Pegel sinkt

In Blessem war die Angst groß, dass der Pegel des Tagebau-Sees weiter steigt und die Erft den Ort so ein zweites Mal überflutet. Doch diese Gefahr scheint seit dem Wochenende gebannt, sagt Bucher: "Der See sinkt schon seit einigen Tagen. Wir haben hier Lockergestein, Kiese, Sande, und die haben ja immer Lücken dazwischen. Da kann die Erft jetzt ablaufen. Die Versickerung im See ist größer als der Zufluss der Erft."
Abgestürzte Teile einer Reithalle in Blessem. Blessem, 16.07.2021
Gefahr an der Kiesgrube
Die Erft ist ein schmales Flüsschen, das südlich von Düsseldorf in den Rhein mündet. Während des jüngsten Hochwassers schwoll die Erft an und strömte bei der Ortschaft Blessem in eine Kiesgrube, die Erosion fraß sich zu Häusern am Rand des Dorfes. Nun zeichnen sich neue Probleme ab.
Der Pegelrückgang im See ist ein erster Erfolg des Krisenmanagements. Den Grundstein dafür legt eine Operation der Bundeswehr in den Tagen davor. Nonstop befördern Transporthubschrauber unzählige Big Bags durch die Luft nach Blessem: mit Kies gefüllte Plastiksäcke, jeder von ihnen eine Tonne schwer. Die Riesensäcke setzen die Piloten in das neue Bett der Erft. So entsteht ein provisorischer Damm vor der Kiesgrube, rund 80 Meter breit und anderthalb Meter hoch. Er staut den Fluss so weit auf, dass das Technische Hilfswerk zum ersten Mal Wasser aus der Erft abpumpen und in ihr altes Bett zurückleiten kann.

Dem vorläufigen Damm soll in wenigen Wochen ein solider folgen

Der Hydrologe Bucher sieht kommenden Regenfällen nun gelassener entgegen, solange sie nicht zu stark ausfallen: Das sind sehr leistungsfähige Pumpen. Wir können bis zu 5.600 Liter – 5,6 Kubikmeter - pro Sekunde rüberfördern. Die Erft hat zur Zeit einen Abfluss von 2,8. Alles, was wir bislang berechnen mit dem Niederschlag, sollte dazu führen, dass weiterhin so gut wie nichts oder nur wenig in den See fließt."Die Helikopter haben ihren Job erledigt. Jetzt prägen Planierraupen das Bild am Rand des Kies-Tagebaus. Sie ebnen eine Baustraße, über die schon bald Laster rollen sollen. Denn der provisorische Damm wird durch einen richtigen aus großen Basaltsteinen und Erdreich ersetzt. Er soll der Erft den Irrweg in den Tagebau endgültig verbauen, erklärt Bernd Bucher: "Der wird etwa dann 140 Meter breit sein, vier Meter hoch. Also, das ist ein erhebliches Bauwerk, dass da gebaut werden muss."
20.000 Tonnen Basalt sind dafür nötig. Sie kommen aus einem Steinbruch bei Linz am Rhein. Die komplette Produktion der Grube sei aufgekauft worden, heißt es. In drei bis vier Wochen soll der Damm stehen.

Von der Kiesgrube geht aktuell keine Gefahr mehr aus

Bei der Bürgerinformationsveranstaltung am Samstag äußert sich auch Wolfgang Müller erstmals zur Lage, der Ingenieur ist Geschäftsführer der Rheinischen Baustoffwerke. Sie gehören zum RWE-Konzern und sind Pächter der Blessemer Kiesgrube. Müller hat ebenfalls gute Nachrichten. Die Böschungen im überschwemmten Tagebau wurden inzwischen mit Echoloten vom Boot aus untersucht: "Die Kiesgrube ist stabil. Und es ist keine Gefährdung fürs Umfeld zu sehen."
Klimaforscher Marotzke: Erreichen des 1,5-Grad-Ziels nicht sehr wahrscheinlich
Der Klimaforscher Jochem Marotzke hat untersucht, ob der Klimawandel gestoppt werden kann. "Was wir herausgefunden haben ist ernüchternd", sagte er im Dlf. Die gesellschaftliche Dynamik sei nicht stark genug, um den menschengemachten Temperaturanstieg so zu begrenzen, wie es notwendig wäre.
Kritisch bleibt die Lage dagegen in der Risikozone rund um Burg Blessem, rund 100 Meter vor der Kiesgrube. Hochwasser und Erosion haben die Landschaft dort meterhoch abgetragen und zerklüftet, drei Häuser stürzten in sich zusammen, die Burg steht jetzt quasi an einer Steilklippe. Weitere Erdrutsche sind nicht ausgeschlossen. Näher als 100 Meter darf niemand an diesen Bereich heran.

Sensoren überwachen kleinste Bewegungen von Gebäuden

Mit Drohnen inspiziert das Technische Hilfswerk jetzt laufend die Abbruchkante. Das Landesvermessungsamt hat Messbolzen in viele Hauswände in Blessem getrieben und ein System installiert, das jede noch so kleine Bodenabsenkung registriert. Der Geologe Roland Strauß erläutert es auf der Bürgerversammlung: "Das kann Höhenwertänderungen, Lageänderungen bis 0,1 Millimeter messen. Wir gewinnen Daten und können unter Umständen diesen 100-Meter-Bereich verkleinern."
Auf der gesperrten Brücke am Ortsrand von Blessem prasselt es am Samstagmittag weiter auf den Regenschirm von Bernd Bucher. Die Dinge entwickeln sich gut, freut sich der Hydrologe, dem der Niederschlag nichts ausmacht - Blessem aber vielleicht schon noch: "Deshalb gucken wir auch diesen Regen ein bisschen argwöhnisch an. Es darf natürlich jetzt kein weiteres Hochwasser geben. Das würde diesen provisorischen Damm gefährden. Dann müssten wir dann nochmal neu überlegen."