Eine schicke Kochzeile aus Edelstahl, drum herum Barhocker. Der Gastgeber rührt im Suppentopf, während seine Freundin den Gästen Wein nachschenkt. Im Zimmer nebenan schlafen die beiden kleinen Töchter.
Sechs Leute Ende Dreißig verbringen einen Abend unter Freunden. Sie haben gute Jobs, schöne Wohnungen, hübsche Kinder. Es könnte Berlin Mitte sein oder Prenzlauer Berg. Die gebildete, urbane Mittelschicht – Menschen wie wir, die Thomase und Stephans dieser Welt. Man plaudert über Dinkelbrot und Trüffelöl, das Wohl und Weh in offenen Beziehungen und den Sinn von Osteopathen.
"Ach hat der die Bilder von ihr gemacht auf Facebook?"
"Du bist auf Facebook?"
"Ja, du nicht?"
"Nee."
"Ist schon ganz gut, man muss aufpassen, dass es nicht zu viel Zeit frisst, aber um Kontakte zu halten und so."
"Dafür gibt’s doch Telefone und Email."
"Also ich bin in der Facebookgruppe für das Flüchtlingsheim bei uns, da posten die so Listen von Dingen, die die brauchen."
"Das klingt doch sinnvoll."
"Ist es auch, nur ehrlich, die Leute die da posten, Horror, es geht doch gar nicht um Flüchtlinge, es geht um die selber, Selbstdarstellung, ich bin so toll, ich mache auch ne Doppelschicht im Heim und poste dann danach wie bereichernd das ist."
"Ach komm."
"Stimmt aber."
"Gut, aber du tust doch zum Beispiel nichts."
"Was soll das heißen?"
"Für Flüchtlinge meine ich."
"Das heißt Geflüchtete."
"Wie bitte?"
"Flüchtling ist politisch unkorrekt, man sagt heute Geflüchtete."
"Du bist auf Facebook?"
"Ja, du nicht?"
"Nee."
"Ist schon ganz gut, man muss aufpassen, dass es nicht zu viel Zeit frisst, aber um Kontakte zu halten und so."
"Dafür gibt’s doch Telefone und Email."
"Also ich bin in der Facebookgruppe für das Flüchtlingsheim bei uns, da posten die so Listen von Dingen, die die brauchen."
"Das klingt doch sinnvoll."
"Ist es auch, nur ehrlich, die Leute die da posten, Horror, es geht doch gar nicht um Flüchtlinge, es geht um die selber, Selbstdarstellung, ich bin so toll, ich mache auch ne Doppelschicht im Heim und poste dann danach wie bereichernd das ist."
"Ach komm."
"Stimmt aber."
"Gut, aber du tust doch zum Beispiel nichts."
"Was soll das heißen?"
"Für Flüchtlinge meine ich."
"Das heißt Geflüchtete."
"Wie bitte?"
"Flüchtling ist politisch unkorrekt, man sagt heute Geflüchtete."
Lifestyle gerät ins Wanken
Die Schauspieler, darunter Moritz Gottwald, Jenny König, Christoph Gawenda, sind mit Microports verkabelt, die Zuschauer tragen Kopfhörer und bekommen die Unterhaltung direkt ins Ohr gespielt – das bewirkt ein angenehm beiläufiges, realistisches Sprechen. Und während die Gäste im Partysmalltalk stecken, ereignet sich im Kinderzimmer eine Katastrophe, die die Eltern in den Abgrund reißen wird. Eins der Kinder stürzt aus dem Fenster.
"Lebt sie? Ich hab gesagt lebt sie? Sag was."
"Sie ist ganz weiß. Die Lippen. Oh Gott. Das Gesicht."
"Wiederbeatmung."
"Wie macht man das?"
"Mund und Nase, beides, mach los jetzt."
"Und?"
"Nichts. Sie ist tot, sie ist definitiv tot."
"Sie ist ganz weiß. Die Lippen. Oh Gott. Das Gesicht."
"Wiederbeatmung."
"Wie macht man das?"
"Mund und Nase, beides, mach los jetzt."
"Und?"
"Nichts. Sie ist tot, sie ist definitiv tot."
Gesellschaftsdiagnose wird zum Horrorfilm
Das Schreckliche erzählt Maja Zade in Rückblenden und allein in den Gesprächen der Gäste, deren Anzahl und Sprechaufteilung im Text nicht festgelegt ist. Mit ihrem zweiten Stück möchte Zade die Scheinsicherheit unserer Existenz aufzeigen. Das trügerische Gefühl, uns guten, anständigen Menschen könne nichts passieren. Unter der sauberen Oberfläche, so Zades plausible, aber wenig überraschende Analyse, sind wir unfähig, mit dem Unerklärlichen umzugehen. Angesichts des Unglücks versagen die Freunde kläglich. Die Mitleidsbekundungen sind groß, doch niemand ist auch nur fähig, ans Telefon zu gehen, als die unter Schock stehende Mutter in der Nacht noch einmal anruft. Lieber plaudert man sich den Schock von der Seele:
"Ich denke, entweder erklärt man sich das weg, als Erwachsener, oder du verdrängst es komplett."
"Wie ein schlechter Traum."
"I wish!"
"Auf jeden Fall: Strafe ..."
"Verbrechen und Strafe."
"Das ist Castorf. Ich weiß übrigens nie, wie man den schreibt, Cast-orf oder mit d, Cast – dorf, also mit Dorf wie die Ortschaft."
"Wie ein schlechter Traum."
"I wish!"
"Auf jeden Fall: Strafe ..."
"Verbrechen und Strafe."
"Das ist Castorf. Ich weiß übrigens nie, wie man den schreibt, Cast-orf oder mit d, Cast – dorf, also mit Dorf wie die Ortschaft."
Coolness um jeden Preis
Thomas Ostermeier setzt auf Technik und Atmosphäre. Die Kapitel, in die die einzelnen Gesprächsfetzen unterteilt sind, trennt er mit unheilvoller Musik. Dazu spielt er mit filmischen Schockeffekten. Den fassungslosen Eltern leuchtet eine Kamera frontal in die schreckensstarren Gesichter und projiziert das Bild über der Bühne.
Diese Mittel, das muss man dem Regisseur lassen, entfalten durchaus Wirkung. Betroffen, bestürzt, beklommen sitzt man da angesichts des Unbegreiflichen. Doch aus Zades Gesellschaftsdiagnose, aus diesem kleinen sozialen Modellfall, wird bei Ostermeier unversehens ein eiskalter Horrorfilm, der mit Gruseleffekten den Verlust eines Kindes inszeniert. Der Kindstod mutiert zum reinen Beweisstück für die These der Autorin. Das wirkt fast zynisch – und mehr und mehr eben auch moralisch: als sei das Unglück, dass in den Gesichtern der Eltern steht, eine Strafe für ihr vorangegangenes Geplapper. Beides sicher keine Intention – und doch wirkt die Regie mitunter so cool und abgebrüht wie die Partygäste auf der Bühne.