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Uraufführung des neuen Stücks von Pina Bausch in Wuppertal

Japan. Land der Inseln im Meer. Aus dunklem Boden ragen drei dunkle Formen, Flossen eines Wales. Die Schwanzflosse überragt die Tänzer wie ein haushoher Baum, und sie liegt quer zum Rücken, so dass es sich wohl um zwei Wale handelt, die sich unter diesem Bühnenboden tummeln. Wie ihr Liebesakt aussieht, oder wie überhaupt Lebewesen miteinander verbunden sind, das bleibt auf bezaubernde Weise rätselhaft in diesem neuen Stück von Pina Bausch.

Von Gabriele Wittmann |
    Mit lang wallendem Haar und bodenlangem Kleid schiebt sich Ditta Miranda Jasjfi durch die Diagonale, entwickelt eine zarte Handdrehung, holt mit dem Ellenbogen weit aus, kickt ihn weg, fächelt mit den Fingern, spreizt ihre Glieder. Dieses Fächeln und Spreizen, dieses unendlich langsame, meditative Suchen nach den eigenen Hautgrenzen, durchzogen von energetischen Ausbrüchen, wird sich später wiederholen, in immer neuen Variationen mit verschiedenen Körperteilen. Aber auch mit verschiedenen Körpern. Denn in diesem Stück wandert das Bewegungsmaterial von einem Solo zum nächsten, sodass die Menschen – vor allem die Frauen – auf geheimnisvolle Weise miteinander verbunden wirken, wie aus einem Urgrund gespeist. Was dabei ursprünglich von wem stammt, ist im Laufe des Abends nicht mehr auszumachen.

    Und dabei sind sie gleichzeitig so befangen, die Frauen. Eine Japanerin zeigt, wie es geht: Füße zusammen, Hände zusammen, und immer freundlich Lächeln. So bleibt jede Annäherung verhalten wie bei schüchternen Teenagern. Eine Tänzerin tippelt auf Zehenspitzen um einen Mann, fotografiert ihn, rennt dann weg – und freut sich diebisch. Eine andere lockt einen Kerl herbei, aber kiekst erschrocken, sobald er mit seinen wirbelnden Gliedmaßen auch nur in ihre Nähe kommt. Einzig Mechthild Großmann poltert mit ihrer frechen Schnauze durch die Szene, erheitert mit Gewürztipps zur Anregung der Geschlechtsdrüsen, oder dekliniert mit trällernden Stimmübungen die Worte Fujiyama, Bonsai, Sushi, "Sasosu-Samurai", und andere Klischees über Japan.

    Im zweiten Teil des Abends rieselt es beständig vom Bühnenhimmel. Es sind kleine Schnipsel die da herabtorkeln wie Blütenblätter; sie glitzern im Dämmerlicht wie Schnee, kreiseln in ihrer eigenen, ihrem Eigengewicht angemessenen Zeit, und versetzen den zuschauenden Blick in Trance. Um die Walflossen herum bilden sich allmählich weiße Inseln, die wie Meeresgischt auffliegen und zerstäuben, von den Tänzern aufgewirbelt und bewegt.

    Japanische Höflichkeit wird aufs Korn genommen: "Es tut mir unendlich leid, aber vielleicht sollten wir aufbrechen", säuselt Helena Pikon und watschelt mit Rucksack über dem rosa flatternden Sommerkleid davon. Hinten kauert eine Frau in der Ecke und steckt sich verstohlen eine Banane in den Mund. Vorne schleppt sich ein Paar wechselseitig auf dem Rücken vorwärts: ihre Beine zittern unter der Last, doch sie tasten sich geduldig weiter.

    Es sind überaus zarte Menschen- und Kulturbilder, die Pina Bausch da auf der Bühne malt. Und es scheint, als hätten sich ihre jahrelangen Besuche in Japan verdichtet zu einer Arbeit, die noch einfacher, noch reduzierter gehalten ist als bisher, und die zu den besten der letzten Jahre gehört. Zwar ist das Material dafür nicht neu, das muss es aber auch nicht sein. Denn die Tänzer entwickeln ihr eigenes Bewegungsmaterial ständig weiter. Und es erhält in diesem Stück eine schlüssige Präsenz, eine Atmosphäre, in der sich die Szenen verbinden durch in der Musik überschäumende Soli, mit unglaublicher Strahlkraft getanzt von Ditta Miranda Jasifi, Kenji Takagi, Nazareth Panadero, Helena Pikon, Dominique Mercy und all den anderen aus dem 17köpfigen Ensemble, das hier wieder ganz geschlossen wirkt.