"Wir schwulen Säue wollen endlich Menschen werden und wie Menschen behandelt werden. Und wir müssen selbst darum kämpfen. Wir müssen uns organisieren. Werdet stolz auf eure Homosexualität. Raus aus den Toiletten, rein in die Straßen. Freiheit für die Schwulen."
Es war der zentrale Appell in Rosa von Praunheims halbdokumentarischem Lehrstück "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt". Nachdem der vom WDR produzierte Film am 4. Juli 1971 auf dem Berliner Filmfest im Rahmen des "Internationalen Forums des Jungen Films" uraufgeführt wurde, bildeten sich spontan erste bundesweite schwule Aktionsgruppen. Bewusst hatte Rosa von Praunheim mit seinem Film vor allem die Homosexuellen selbst wachrütteln wollen:
"Wir haben mit dem Film über 50 Schwulengruppen gegründet. Und wenn ein Film eben nicht nur ein ästhetisches Produkt ist, sondern eben auch eine Wirkung hat auf den Zuschauer, und da auch eine inhaltliche Wirkung, das ist das, was am wichtigsten ist von allen Sachen."
"Wir haben mit dem Film über 50 Schwulengruppen gegründet. Und wenn ein Film eben nicht nur ein ästhetisches Produkt ist, sondern eben auch eine Wirkung hat auf den Zuschauer, und da auch eine inhaltliche Wirkung, das ist das, was am wichtigsten ist von allen Sachen."
Ins Spießertum gedrängt
Der Film erzählt die Geschichte des jungen Daniel, der aus der tiefen Provinz nach West-Berlin zieht und sich dort in Clemens verliebt. Warum der Versuch, ganz bürgerlich als Paar zusammenzuziehen, scheitert, verhandelt diese Szene:
"Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwertig verachtet werden, versuchen sie, noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefühl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlichen Tugenden. Nicht die Homosexuellen sind pervers, sondern die Situation, in der sie zu leben haben."
"Da die Schwulen vom Spießer als krank und minderwertig verachtet werden, versuchen sie, noch spießiger zu werden, um ihr Schuldgefühl abzutragen mit einem Übermaß an bürgerlichen Tugenden. Nicht die Homosexuellen sind pervers, sondern die Situation, in der sie zu leben haben."
"Meine Liebe ist in ihrer Welt verboten!"
Daniel bleibt als Ausweg nur die homosexuelle Subkultur von Bars, Kneipen oder Schwimmbädern. Er trifft auf Paul, der ihn in seine schwule Studenten-WG aufnimmt. Dort wächst durch zahlreiche Diskussionen über Emanzipation sein politisches Bewusstsein. Wie es zu jener Zeit auch die schwule Musik Theater-Gruppe "Brühwarm" um Rio Reiser besang:
"Sie haben mir ein Gefühl geklaut / Und das heißt Liebe / Denn meine Liebe ist in ihrer Welt verboten!"
"Sie haben mir ein Gefühl geklaut / Und das heißt Liebe / Denn meine Liebe ist in ihrer Welt verboten!"
Paragraf 175 - reformiert, nicht abgeschafft
Nachdem 1969 der berüchtigte Paragraf 175 reformiert wurde, war Homosexualität erstmals unter erwachsenen Männern ab 21 straffrei. Eigentlich hätten sich die Betroffenen offen zeigen können, doch aus Angst vor gesellschaftlicher Stigmatisierung versuchten die meisten nach wie vor, unerkannt zu bleiben. Martin Dannecker, Co-Autor und Mitgründer einer der ersten politischen Schwulengruppen, wollte diese Selbstverleugnung endlich aufheben, so Dannecker:
"Die Homosexuellen haben ihre Probleme fast durchgängig damit gelöst, indem sie sich angepasst haben, indem sie außerhalb dieser engen Räume, was Subkultur und ein enges Leben meint, so getan haben, als ob sie nicht different wären. Und genau damit hat die frühe Schwulenbewegung gebrochen."
Die ARD versteckte den Film im dritten Programm
Und so kamen wütende Proteste gegen eine TV-Ausstrahlung im "Ersten" ausgerechnet von konservativen Schwulen-Magazinen und -Organisationen. Sie erzeugten einen derartigen Druck, dass Rosa von Praunheims Film 1972 lediglich im dritten Programm WDR ausgestrahlt wurde. Die entsprechende Begründung der "Ständigen Programm-Konferenz der ARD":
"Der Film könnte geeignet sein, Vorurteile, die ohne jeden Zweifel gegen Homosexuelle trotz aller gesetzlichen Liberalisierung noch bestehen, zu bestätigen oder zu verstärken."
Homophobe Zuschauerreaktionen
Ein Jahr später, 1973, sendete die ARD den Film schließlich auch bundesweit, wobei sich der Bayerische Rundfunk allerdings kurzfristig ausschaltete. Zwar gab es die typischen empört-homophoben Reaktionen in Zuschauer- und Leserbriefen.
Provokation statt Ästhetik
Viele Kritiker aber störten sich an der scheinbar dilettantischen Machart. Denn der Film war aus Kostengründen ohne Ton gedreht und nachträglich mit schlecht synchronisierten Dialogen unterlegt worden. Aber Rosa von Praunheim ging es nicht um Ästhetik. Er wollte vor allem bewusst provozieren:
"Ich war einer der ersten, der sozusagen in der Öffentlichkeit sich gezeigt hat und eben politisch gearbeitet hat, und hab damit auch viele genervt. Die eben eher anonym bleiben wollten, habe ich sicher viele auch wütend gemacht. Aber ich glaube, es war notwendig. Und jetzt haben wir ja viele Gesichter."
Mit seinem Appell, die eigenen Rechte einzufordern, hat Praunheim zwar in den Siebzigerjahren mit dazu beigetragen, dass sich eine selbstbewusste Schwulen- und Lesbenbewegung entwickelte. Doch dauerte es in West-Deutschland rund acht Jahre, bis sich etwa in Berlin und Köln mit dem "Christopher Street Day" große jährliche Demonstrationszüge gegen Diskriminierung und Ausgrenzung etablierten.