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Urban, intellektuell, kreativ

Am Donnerstag beginnt die Leipziger Buchmesse, deren Länderschwerpunkt von Weißrussland, Polen und der Ukraine gebildet wird. Literatur aus Weißrussland? Einem abgeschotteten Land, dessen Nationalsprache vom Landesdiktator als "Bauernsprache" bezeichnet wird? Zeit, um diesen noch weißen Fleck auf der literarischen Landkarte vorzustellen.

Von Mirko Schwanitz | 11.03.2012
    Eine Küche in einem Minsker Plattenbau. Auf dem Tisch Käse und Wein, die Luft ist blau vom Zigarettenqualm. Eine junge Frau liest ein Gedicht.

    Es ist schwer eine Straße zu sein / besonders an der Stelle / wo die Zebrastreifen liegen

    – heißt es in dem Gedicht, das die junge Lyrikerin Volha Hapeeva ihren Freunden vorliest. Um die Horizontale geht es da, die Vertikale und das Meer – nicht um Politik, nicht um das Regime. In wenigen Tagen wird Volha ihre Gedichte auf der Leipziger Buchmesse lesen. Es ist für sie ein kleines Wunder.

    "Die Literaturszene in Belarus ist zersplittert. Bei uns gibt es kaum Fördermittel für die Literatur. Das hat zur Folge, dass einzelne Literaturkreise, wie die beiden Schriftstellerverbände oder das PEN-Zentrum eine Monopolstellung bekommen. Nur an sie werden Einladungen zu internationalen Literaturfestivals herangetragen. Und sie empfehlen nur selten Autoren, die nicht zu ihrer Gruppe gehören."

    Autoren in Belarus schreiben in einem schwierigen Umfeld, erklärt Andrej Chadanowitsch, den wir in einer Studentenkneipe treffen. Belarus sei das einzige Land der Welt, dessen Regierung gegen die eigene Nationalsprache kämpft. Sie verunglimpft das Belarussische, eine Mischung aus Polnisch, Litauisch und Russisch als "Bauernsprache".

    "Ich bin Schriftsteller. Ich bin Übersetzer. Und ich kann den Lesern in nur wenigen Sekunden zu der Erkenntnis verhelfen, dass die belarussische Sprache eine urbane, intellektuelle und kreative Sprache ist. Und das steht im völligen Gegensatz zu den Behauptungen von Lukaschenko, man könne auf belarussisch keinen einzigen ernsthaften Gedanken formulieren. So etwas können nur Menschen behaupten, die in keiner einzigen Sprache in der Lage sind, ernsthafte Gedanken zu äußern."

    Andrej Chadanowitsch schrieb seine ersten Bücher auf Russisch. Aus Protest gegen die Sprachpolitik des Regimes veröffentlicht er seit Jahren nur noch auf Belarussisch. Heute gehört der Dichter, Roman- und Kinderbuchautor zu den wichtigsten Sprachmodernisierern seiner Heimat.

    Mit ihrem Dreiländer-Schwerpunkt Polen, Ukraine und Belarus stellt die Leipziger Buchmesse die Literaturen dieser Länder bewusst in den Kontext eines historischen Raumes, in dem sich Staatsgrenzen immer wieder verschoben und jede Sprache in der anderen ihre Spuren hinterließ. Mit Blick auf Belarus gebührt der Buchmesse zugleich das Verdienst, uns die Türen zu einer bisher völlig abgeschotteten Enklave der europäischen Literatur zu öffnen. Eine Literatur, die immer noch mit den Folgen dieser Abschottung kämpft, meint Martin Pollack, Kurator des Messeschwerpunktes:

    "Es ist auch wahnsinnig schwer, für die Leser, sich zu orientieren: Wie entwickeln sich diese Literaturen? Und was die Literaturen selber auch natürlich zu spüren bekommen, das ist, dass sie sehr isoliert sind, das die Autoren isoliert sind, dass sie viel zu wenig hinauskommen. Das spürt man dann oft auch bei den Werken, dass sie eigentlich in der Isolation entstehen. Man kann wirklich das, was in Deutschland in den letzten Jahren aus der belarussischen Literatur übersetzt wurde, an den Fingern einer Hand abzählen."

    Dass sich eine solche Situation ändern kann, zeigt das Beispiel der ukrainischen Literatur, die noch vor wenigen Jahren in einer ähnlichen Situation war. Anfang der 90er-Jahre wurden ukrainische Bücher nur im Westen des Landes gedruckt, gelesen und wahrgenommen. Bis die Autoren ihre Literatur in neuen Formen präsentierten.

    Ein Club in Luhansk. Eine Stadt unweit der ukrainisch-russischen Grenze. Junge Dichter präsentieren hier ihre Lyrik zu Technorhythmen. Das Aufheben der Grenzen zwischen Poesie und Musik, das Experimentieren mit neuen Formen der Vermittlung von Literatur, so meint die Autorin Natalja Snjadanko, habe dazu beigetragen, dass Bücher in ukrainischer Sprache heute nicht mehr nur im Westen der Ukraine gelesen werden.

    "Eine ganz konventionelle Lesung, die ist für maximal dreißig Leute gedacht. Aber wenn es dazu noch eine Performance gibt, da kommen viel mehr Leute, die sich vielleicht nicht so sehr für die Literatur interessieren, aber die werden mitgezogen und dann kommen sie auch langsam zum Lesen. Und dadurch finde ich, dass jetzt sehr viele junge Leute vor allem Osten ukrainische Literatur sehr modern, sehr in finden und sich sehr dafür interessieren und auch massenhaft zu Lesungen kommen."
    So modern wie die Präsentation zeigt sich die ukrainische Literatur auch inhaltlich. Nicht zuletzt war es der Erfolg polnischer Übersetzungen, die auch deutsche Verlage auf ukrainische Autoren aufmerksam werden ließ. Und so sind Autoren wie Jury Andruchowytsch, Serhij Zhadan, Oksana Sabushko, Ljubko Deresch und viele andere längst ins Deutsche übersetzt. Das ist auch der Grund, warum Polen unbedingt in diesen Länderschwerpunkt gehört, meint Martin Pollack:

    "Also Polen bräuchte wahrscheinlich diesen Schwerpunkt nicht. Ich glaube, polnische Literatur ist in Deutschland bekannt, da gibt es gute Namen, gibt es relativ viele Übersetzungen. Jetzt haben wir uns entschlossen, diese drei Länder zusammenzunehmen aus zwei Gründen: Erst einmal gibt es eine historische Gemeinsamkeit, das ist ein gemeinsamer Raum. Und das Zweite ist, das Polen hier so etwas wie eine Vermittlerrolle, eine Brückenrolle übernimmt – gerade zwischen Belarus und der Ukraine und dem Westen. Und da ist es durchaus berechtigt, dass man Polen miteinbezieht in dieses Programm."