Sommerurlaub
Armut lässt Ferienträume platzen

Die Reiselust scheint ungebrochen. Doch die Zahlen trügen. Fast ein Viertel der Menschen in Deutschland kann sich keine Woche Urlaub leisten. Wer ist besonders davon betroffen und wie kann trotz Armut eine Reise möglich werden?

    Ein leerer Spielplatz im Leipziger Stadtteil Grünau: Eine Schaukel ist im Vorderung, im Hintergrund die Plattenbau-Häuser Grünaus.
    Spielplatz statt Eis am Meer: Kinder aus armen Familien sind oft auf Hilfsangebote angewiesen, um in den Urlaub zu fahren. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Rezession, Inflation, Kriege und Krisen können den Menschen in Deutschland nicht die Reiselust nehmen. Viele haben für dieses Jahr Urlaubsreisen geplant – oft gleich mehrere, wie die Tourismusanalyse der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen zeigt.
    Die Reisebranche profitiert von dem Reiseboom. Gleichzeitig fehlt rund 22,6 Prozent der Menschen in Deutschland nach Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat das Geld, um zu verreisen.

    Inhalt

    Wie viel Geld geben die Deutschen für ihren Urlaub aus?

    Urlaubsreisen sind in diesem Jahr bei den Deutschen besonders beliebt. Sie haben dafür deutlich mehr Geld ausgegeben als in den vergangenen Jahren. Das zeigt die 40. Deutsche Tourismusanalyse der Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen.
    Im Jahr 2023 gaben die Deutschen demnach im Durchschnitt 1.538 Euro pro Person für ihren Haupturlaub aus. Für eine vierköpfige Familie liegen die Kosten bei mehr als 6.000 Euro.
    Damit nicht genug: Viele Deutsche verreisen sogar mehrmals im Jahr. Laut der Umfrage unternimmt jeder Vierte zwei Reisen pro Jahr. Zehn Prozent der Deutschen verreisen sogar mehr als vier Mal im Jahr.

    Beliebtestes Reiseziel ist Deutschland

    Deutschland bleibt laut Tourismusanalyse dabei nach wie vor das beliebteste Reiseziel: 22 Prozent verbringen ihren Haupturlaub im eigenen Land. Allerdings sind Fern- und Flugreisen stark im Kommen, mit Spanien (inklusive Mallorca) und der Türkei als bevorzugten Zielen.
    Nach Daten des Unternehmens TDA haben die Deutschen bis Ende Dezember 2023 in klassischen Reisebüros und auf Onlineportalen bereits Pauschal- und Bausteinreisen im Wert von rund 3,6 Milliarden Euro für die diesjährige Sommersaison gebucht. Die Umsatzeingänge lagen damit sogar über dem Wert des Vor-Corona-Jahres 2019 von 3,3 Milliarden Euro.

    Wie viele Deutsche können sich keinen Urlaub leisten?

    Trotz der hohen Ausgaben zeigen die Daten der Tourismusanalyse auch, dass weniger Menschen als vor der Pandemie reisen. Laut TDA hatten bis Ende Dezember 14 Prozent weniger Kunden eine Reise für die Wintersaison gebucht.
    Auch andere Studien zeigen, dass sich viele Menschen keine Urlaubsreise leisten können. Nach Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat fehlt 22,6 Prozent der Menschen in Deutschland das Geld, für eine Woche in den Urlaub zu fahren.
    Der Anteil der Bevölkerung, der sich einen einwöchigen Urlaub nicht leisten kann, ist laut Eurostat von 2022 auf 2023 um 0,4 Prozentpunkte angestiegen. Am höchsten ist dieser Anteil bei Alleinerziehenden - mit 43,2 Prozent. Aber auch bei Familien mit zwei Erwachsenen und drei oder mehr Kindern können sich überdurchschnittlich viele (31,3 Prozent) keinen einwöchigen Urlaub leisten.
    Generell haben Alleinstehende (30,4 Prozent) öfter als Paare (16,8 Prozent) zu wenig Geld für eine Auszeit. Diese Zahlen sind ebenfalls leicht gestiegen.

    Wie schauen Kinder aus armen Familien auf die Ferien?

    Jedes fünfte Kind in Deutschland lebt in Armut, heißt es im aktuellen Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Diesen Familien fehlt das Geld für den Urlaub.
    „Es ist ein zentraler Indikator von Armut in unserem Land, wenn sich Familien nicht mindestens einmal im Jahr eine Woche Auszeit außerhalb der eigenen Wohnung leisten können, um sich zu vergnügen oder zu erholen“, sagt Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen. Sie ist Professorin an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main.
    Ein Urlaub müsse gar nicht die teure Flugreise, sondern könne auch eine Reise ins nächste Bundesland sein, so Andresen. „Wenn das nicht möglich ist, sind Kinder eklatant benachteiligt.“

    Bevorstehende Sommerferien können belastend sein

    Die bevorstehenden sechswöchigen Sommerferien könnten eine lange Zeit für Kinder und Jugendliche werden. Denn vieles, was im Sommer attraktiv sei, koste Geld. Das können Eintrittsgelder oder ein Eis mit Freundinnen sein.
    Im Sommer merke man besonders, was es heißt, arm zu sein, sagt Janina Lütt. Sie ist alleinerziehende Mutter einer zehnjährigen Tochter. Aufgrund einer Depression ist sie arbeitsunfähig.
    „Wenn ich das große Glück habe, habe ich mal zwei, drei freie Tage. Bewusst in den Urlaub fahren, kann ich gar nicht. Ich bin froh, wenn ich genug Geld für Lebensmittel habe“, sagt sie.

    Urlaubsreisen für alle: Welche Lösungen gibt es?

    Janina Lütt erzählt, wie ihr Kind einmal bei einer Ferienaktion teilgenommen hat. Dabei wurden die Kinder für drei Tage im Reitstall betreut, sie duften sogar reiten. „Die drei Tage haben 35 Euro gekostet. Da bin ich von der Patentante finanziell unterstützt worden. Das hat meinem Kind ganz gutgetan“, sagt Lütt.
    Sie sei in der Hinsicht recht privilegiert, da sie einen Freundeskreis habe, der ihr auch unter die Arme greife. „Armutsbetroffene Menschen haben normalerweise nicht ein so gut funktionierendes soziales Netzwerk“, sagt Lütt.
    Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen hat für ihre Studien mit vielen Eltern gesprochen. Sie haben ihr berichtet, wie gern sie Angebote, etwa der Kirche oder von Vereinen, annehmen würden. Diese hätten Freizeitheime in der Nähe und richteten sich an Familien.
    Damit mehr Familien solche Angebote nutzen, seien besonders die Kinder- und Jugendarbeit, Religionsgemeinschaften sowie die Kommunen gefragt, meint Andresen.

    Diakonie-Programm: Urlaub an Kinder schenken

    Seit 2006 ruft zum Beispiel die Diakonie Mitteldeutschland jährlich für das Programm „Kindern Urlaub schenken“ zu Spenden auf, um Familien mit geringem Einkommen Ferienaktionen zu ermöglichen. Im vergangenen Jahr sammelte die Diakonie gut 330.000 Euro; rund 7.000 Kinder konnten an Ferien- und Bildungsaktionen teilnehmen.
    Der Erziehungswissenschaftler Roland Merten äußerte die Sorge, dass sich Städte und Kommunen zunehmend aus der Verantwortung ziehen: „Es ist ein Skandal, dass sich die mitteldeutschen Bundesländer kaum Gedanken machen, wie die Kommunen junge Menschen und junge Familien unterstützen können.“

    Familienferienstätten und Seniorenreisen

    Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Familienerholung bietet 83 gemeinnützige Familienferienstätten an, damit Familien mit kleinerem Einkommen und in herausfordernden Lebenssituationen Urlaub machen können. Diese werden vom Bundesfamilienministerium gefördert.
    Je nach Bundesland und Einkommen besteht zudem die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung für einen Aufenthalt in einer Familienferienstätte zu erhalten oder von ermäßigten Preisen zu profitieren. Ob man einen Zuschuss bekommt, kann mit dem Zuschussrechner überprüft werden. Hilfsangebote gibt es zudem für armutsbetroffene Senioren.

    Reisebörse für Alleinerziehende

    Erziehungswissenschaftlerin Sabine Andresen hält es für eine der wichtigsten und dringlichsten Maßnahmen, die aktuelle Sozialpolitik stärker an den Bedarfen, an den Rechten und am Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen auszurichten. Es gebe bereits genug profunde Forschung, die zeige, was Kinder für ein gutes und sicheres Aufwachsen benötigten.
    Die Bundesregierung tue deshalb gut daran, die Kindergrundsicherung und in diesem Zusammenhang eine Grundberechnung des Existenzminimums voranzutreiben. Doch die Kindergrundsicherung wird frühestens 2025 starten.

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