"Ich würde nicht sagen, dass ich irgendwie ´ne Macke hatte so rückwärts gesehen. Ich war einfach ein bisschen still."
Still ist Max Kruse auch heute noch gerne. Wenn er bequem im Sessel seines Wohnzimmers sitzt, dann blickt einen ein freundlicher, älterer Herr an, in dessen Augen jedoch noch viel von dem spitzbübischen Humor aufblitzt, den so viele seiner erfundenen Figuren auch besitzen. Max Kruse lebt heute mit seiner dritten Frau, der Chinesin Shaofang in Penzberg in Oberbayern, rund 50 Kilometer südlich von München.
"Bitte kommen Sie mit ins Arbeitszimmer. Dieses Regal, das was sie vor sich sehen, das ist sozusagen dreigeteilt. Der obere Teil, die obere Reihe, das sind alles meine Bücher, aber immer nur die deutschen Ausgaben und auch nicht vollständig. Ich hab längst aufgehört, es ordentlich zu machen. Dann hab ich eine Abteilung mit Kulturgeschichte, Kulturhistorie. Das ist hier in der Mitte alles. Und unten das setzt sich fort aus dem Nebenzimmer ist die Belletristik, also das fängt hier an mit dem Buchstaben "K" Kempowski, dann Thomas Mann, Hermann Hesse und so weiter, Goethe natürlich, der steht drüben, Klassiker Rilke, was nicht alles."
Gelesen hat Max Kruse alle der rund 1000 Bücher, die allein in seinem Arbeitszimmer in den beiden deckenhohen Bücherregalen stehen. Hier sind in mehr als 30 Jahren die Geschichten und Abenteuer von Don Blech, Lord Schmetterhemd und all den anderen Figuren der Kruse-Bücher entstanden. Eine Liegecouch, ein kleiner Tisch samt Espressomaschine und ein Computerarbeitsplatz stehen in Max Kruses Arbeitszimmer. Und nicht zu vergessen, der kleine antike Birkentisch in der Ecke.
"Ganz genau. Das Urmel hab´ ich an diesem Schreibtisch geschrieben, allerdings nicht hier, sondern in Ebenhausen, das ist ein Ort südlich von München im Isartal. Da hab´ ich damals in einer kleinen Wohnung gelebt, an diesem Schreibtisch, der hat mich aber immer begleitet und da hab´ ich das Urmel geschrieben. Ich weiß auf Saugpostpapier mit einem Kugelschreiber, der ´n bisschen gekleckst hat, sodass ich das beinah selber nicht mehr lesen konnte, aber ich hatte damals dort eine freiberufliche ältere Dame, die Sekretärin gewesen war beruflich und die in ihrer Freizeit jetzt dann noch so ausgeholfen hat, so Arbeiten gemacht hat. Die konnte das schreiben, die hat das Urmel abgeschrieben."
48 Jahre bevor das Urmel literarisch geboren wird, erblickt Max Kruse 1921 in Bad Kösen an der Saale das Licht der Welt – als Nesthäkchen des Bildhauers Max Kruse und der Puppenkünstlerin Käthe Kruse. Anfangs ist der kleine Max ein anfälliges, kränkliches Kind.
"Und ich war das letzte von sieben Kindern, sehr zart und hatte dauernd Fieber und der Arzt konnte nicht feststellen, was eigentlich die Ursache war. Also meine Mutter hatte riesige Angst, ich würde Tuberkulose kriegen und wenn ich Fieber hatte, wurde ich ins Bett gesteckt. Heute würde man dem Kind wahrscheinlich eher Sport machen lassen, aber damals hieß es halt Ruhe, ich wurde auch von der Schule befreit jahrelang oder dann nur zu einigen Fächern zugelassen, sodass ich sehr viel Zeit zum Lesen hatte, war überhaupt ein Einzelgänger."
Dennoch macht Max Kruse sein Abitur in Weimar und studiert Philosophie und Politik an der Universität Jena bis zu deren Schließung im Zweiten Weltkrieg. Max Kruse war nie Soldat. Er wird aus gesundheitlichen Gründen im Alter von 20 Jahren ausgemustert, obwohl mittlerweile der 2. Weltkrieg begonnen hat. Direkt nach dem Krieg heiratet Max Kruse Mechthild Heilner, 1952 wird Sohn Stefan, 1954 Tochter Sylvia geboren. In dieser Zeit arbeitet Max Kruse in der Puppenfabrik seiner Mutter Käthe. Käthe Kruse ist es dann auch, die ihrem Sohn Max zu einem ersten Auftrag verhilft. Er soll den Text zu einem modernen Märchenbuch schreiben, dass mit Fotos von Käthe Kruse-Puppen und Steiff-Tieren illustriert werden soll.
"Und dann haben sie mich an einen Tisch geführt, wo diese Puppen kreuz und quer drauflagen und daneben auf dem Fußboden lag ein Haufen mit den Steifftieren und dann haben sie gesagt: Nun mach´ mal."
"Der Löwe ist los" ist als Buch zunächst ein Flop. Dann verfilmt es die Augsburger Puppenkiste und Max Kruse wird über Nacht bekannt. Es folgen weitere Kinderbücher und kleinere Erfolge. Privat verändert sich viel im Leben. Er trennt sich von seiner ersten Frau und nach einer sehr kurzen zweiten Ehe heiratet Max Kruse 1965 seine jetzige Frau Shaofang. Vier Jahre später schlüpft dann der wahrscheinlich süßeste, eitelste und frechste Dino der Neuzeit aus einem Ei in Eisblock aus der Urzeit. Das Urmel und seine Abenteuer werden die erfolgreichsten Bücher Max Kruses. Die Idee zum Urmel aus dem Eis entsteht in der Zeit der Vater-Sohn WG Mitte der 60er-Jahre. Im Alter von neun Jahren war Sohn Stefan zu seinem Vater gezogen.
"Ich hab ´ne Zeit lang auch mal sehr viel gekocht, hab auch für meinen Sohn gekocht, für uns gekocht. Und dann kam ich auf die Idee, was ich zum Abendbrot machen wollte, kaufte Forelle, tiefgefrorene und da hab ich mir gedacht, ja wenn nun ein Ei aus der Urzeit tiefgefroren, also sich erhalten hat, der Gedanke der Konservierung war das wichtige dabei. Tiefkühltruhe ist nicht wichtig, aber im Eis konservieren, das war, das war die Kernidee und dann hab ich halt das andere drumrum gesponnen."
"Das andere" sind vor allem Professor Habakuk Tibatong, der mit Tim Tintenkleks und der Schweinedame Wutz, die für den Professor den Haushalt führt auf die Insel Titiwu aussiedelt und dort Wawa, den Waran, Ping Pinguin, Schusch, den Schuhschnabel und den immer so traurigen Seele-Fant trifft. Dass die Geschichten des nie erwachsen werdenden Urmel so populär werden würden hat Max Kruse nicht erwartet. Heute aber hat er eine Erklärung dafür.
"Es ist das Ensemble. Und es ist vor allen Dingen, glaube ich, dass es in aller Fantasiewelt, die es hat, doch eine Familiengeschichte ist. Es sind Geschwister, wenn auch Tiere, es sind Freunde, die sich kabbeln, die sich aufziehn, die sich necken, die doch immer wieder ganz nett zueinander sind, die aber auch ihre Eigenheiten haben. Der eine ist furchtbar traurig, der Seelefant, der andere will unbedingt in die Muschel hinein, die der andere besitzt. Und auch vielleicht die Schulsituation, die ja nur angedeutet ist, aber das alles, glaube ich, spricht die Kinder schon an. Vor allen Dingen das Fantasievolle, ja, ich glaub, das ist die Hauptsache."
Max Kruse schreibt auch heute noch mit seinen 90 Jahren so oft er kann. Seine Autobiografie ist der beste Beweis, dass er nach wie vor ein ganz besonderer Geschichtenerzähler ist. Warm, herzlich, mit einem Augenzwinkern und ehrlich beschreibt Max Kruse auf fast 600 Seiten sein Leben. Wenn Max Kruse heute seinen 90. Geburtstag feiert, dann blickt er auf ein erfülltes und bewegtes Leben zurück – und auf ein sehr erfolgreiches. Mehr als 50 Bücher hat er geschrieben, dazu unzählige Artikel, seine Werke sind knapp eine Million mal verkauft worden – weltweit. Und ganz aufhören und sein Arbeitszimmer für immer zuschließen? Daran denkt Max Kruse noch nicht.
"Ich bin ein großer Gegner davon, dass man mit 65 – kann man schon aufhören zu arbeiten, man muss ja auch zum Teil aufhören. Es ist ja auch zum Teil zu anstrengend, körperliche Arbeit – aber man sollte nicht aufhören sich zu interessieren, man sollte nicht aufhören, irgendein Hobby zu haben, irgendetwas, was einen beschäftigt. Man darf sich nicht hinsetzen und sich nur berieseln lassen – das ist der Tod."
Max Kruse: "Im Wandel der Zeit. Wie ich wurde, was ich bin"
Thienemann-Verlag, 2011
589 Seiten, 19,95 Euro
Still ist Max Kruse auch heute noch gerne. Wenn er bequem im Sessel seines Wohnzimmers sitzt, dann blickt einen ein freundlicher, älterer Herr an, in dessen Augen jedoch noch viel von dem spitzbübischen Humor aufblitzt, den so viele seiner erfundenen Figuren auch besitzen. Max Kruse lebt heute mit seiner dritten Frau, der Chinesin Shaofang in Penzberg in Oberbayern, rund 50 Kilometer südlich von München.
"Bitte kommen Sie mit ins Arbeitszimmer. Dieses Regal, das was sie vor sich sehen, das ist sozusagen dreigeteilt. Der obere Teil, die obere Reihe, das sind alles meine Bücher, aber immer nur die deutschen Ausgaben und auch nicht vollständig. Ich hab längst aufgehört, es ordentlich zu machen. Dann hab ich eine Abteilung mit Kulturgeschichte, Kulturhistorie. Das ist hier in der Mitte alles. Und unten das setzt sich fort aus dem Nebenzimmer ist die Belletristik, also das fängt hier an mit dem Buchstaben "K" Kempowski, dann Thomas Mann, Hermann Hesse und so weiter, Goethe natürlich, der steht drüben, Klassiker Rilke, was nicht alles."
Gelesen hat Max Kruse alle der rund 1000 Bücher, die allein in seinem Arbeitszimmer in den beiden deckenhohen Bücherregalen stehen. Hier sind in mehr als 30 Jahren die Geschichten und Abenteuer von Don Blech, Lord Schmetterhemd und all den anderen Figuren der Kruse-Bücher entstanden. Eine Liegecouch, ein kleiner Tisch samt Espressomaschine und ein Computerarbeitsplatz stehen in Max Kruses Arbeitszimmer. Und nicht zu vergessen, der kleine antike Birkentisch in der Ecke.
"Ganz genau. Das Urmel hab´ ich an diesem Schreibtisch geschrieben, allerdings nicht hier, sondern in Ebenhausen, das ist ein Ort südlich von München im Isartal. Da hab´ ich damals in einer kleinen Wohnung gelebt, an diesem Schreibtisch, der hat mich aber immer begleitet und da hab´ ich das Urmel geschrieben. Ich weiß auf Saugpostpapier mit einem Kugelschreiber, der ´n bisschen gekleckst hat, sodass ich das beinah selber nicht mehr lesen konnte, aber ich hatte damals dort eine freiberufliche ältere Dame, die Sekretärin gewesen war beruflich und die in ihrer Freizeit jetzt dann noch so ausgeholfen hat, so Arbeiten gemacht hat. Die konnte das schreiben, die hat das Urmel abgeschrieben."
48 Jahre bevor das Urmel literarisch geboren wird, erblickt Max Kruse 1921 in Bad Kösen an der Saale das Licht der Welt – als Nesthäkchen des Bildhauers Max Kruse und der Puppenkünstlerin Käthe Kruse. Anfangs ist der kleine Max ein anfälliges, kränkliches Kind.
"Und ich war das letzte von sieben Kindern, sehr zart und hatte dauernd Fieber und der Arzt konnte nicht feststellen, was eigentlich die Ursache war. Also meine Mutter hatte riesige Angst, ich würde Tuberkulose kriegen und wenn ich Fieber hatte, wurde ich ins Bett gesteckt. Heute würde man dem Kind wahrscheinlich eher Sport machen lassen, aber damals hieß es halt Ruhe, ich wurde auch von der Schule befreit jahrelang oder dann nur zu einigen Fächern zugelassen, sodass ich sehr viel Zeit zum Lesen hatte, war überhaupt ein Einzelgänger."
Dennoch macht Max Kruse sein Abitur in Weimar und studiert Philosophie und Politik an der Universität Jena bis zu deren Schließung im Zweiten Weltkrieg. Max Kruse war nie Soldat. Er wird aus gesundheitlichen Gründen im Alter von 20 Jahren ausgemustert, obwohl mittlerweile der 2. Weltkrieg begonnen hat. Direkt nach dem Krieg heiratet Max Kruse Mechthild Heilner, 1952 wird Sohn Stefan, 1954 Tochter Sylvia geboren. In dieser Zeit arbeitet Max Kruse in der Puppenfabrik seiner Mutter Käthe. Käthe Kruse ist es dann auch, die ihrem Sohn Max zu einem ersten Auftrag verhilft. Er soll den Text zu einem modernen Märchenbuch schreiben, dass mit Fotos von Käthe Kruse-Puppen und Steiff-Tieren illustriert werden soll.
"Und dann haben sie mich an einen Tisch geführt, wo diese Puppen kreuz und quer drauflagen und daneben auf dem Fußboden lag ein Haufen mit den Steifftieren und dann haben sie gesagt: Nun mach´ mal."
"Der Löwe ist los" ist als Buch zunächst ein Flop. Dann verfilmt es die Augsburger Puppenkiste und Max Kruse wird über Nacht bekannt. Es folgen weitere Kinderbücher und kleinere Erfolge. Privat verändert sich viel im Leben. Er trennt sich von seiner ersten Frau und nach einer sehr kurzen zweiten Ehe heiratet Max Kruse 1965 seine jetzige Frau Shaofang. Vier Jahre später schlüpft dann der wahrscheinlich süßeste, eitelste und frechste Dino der Neuzeit aus einem Ei in Eisblock aus der Urzeit. Das Urmel und seine Abenteuer werden die erfolgreichsten Bücher Max Kruses. Die Idee zum Urmel aus dem Eis entsteht in der Zeit der Vater-Sohn WG Mitte der 60er-Jahre. Im Alter von neun Jahren war Sohn Stefan zu seinem Vater gezogen.
"Ich hab ´ne Zeit lang auch mal sehr viel gekocht, hab auch für meinen Sohn gekocht, für uns gekocht. Und dann kam ich auf die Idee, was ich zum Abendbrot machen wollte, kaufte Forelle, tiefgefrorene und da hab ich mir gedacht, ja wenn nun ein Ei aus der Urzeit tiefgefroren, also sich erhalten hat, der Gedanke der Konservierung war das wichtige dabei. Tiefkühltruhe ist nicht wichtig, aber im Eis konservieren, das war, das war die Kernidee und dann hab ich halt das andere drumrum gesponnen."
"Das andere" sind vor allem Professor Habakuk Tibatong, der mit Tim Tintenkleks und der Schweinedame Wutz, die für den Professor den Haushalt führt auf die Insel Titiwu aussiedelt und dort Wawa, den Waran, Ping Pinguin, Schusch, den Schuhschnabel und den immer so traurigen Seele-Fant trifft. Dass die Geschichten des nie erwachsen werdenden Urmel so populär werden würden hat Max Kruse nicht erwartet. Heute aber hat er eine Erklärung dafür.
"Es ist das Ensemble. Und es ist vor allen Dingen, glaube ich, dass es in aller Fantasiewelt, die es hat, doch eine Familiengeschichte ist. Es sind Geschwister, wenn auch Tiere, es sind Freunde, die sich kabbeln, die sich aufziehn, die sich necken, die doch immer wieder ganz nett zueinander sind, die aber auch ihre Eigenheiten haben. Der eine ist furchtbar traurig, der Seelefant, der andere will unbedingt in die Muschel hinein, die der andere besitzt. Und auch vielleicht die Schulsituation, die ja nur angedeutet ist, aber das alles, glaube ich, spricht die Kinder schon an. Vor allen Dingen das Fantasievolle, ja, ich glaub, das ist die Hauptsache."
Max Kruse schreibt auch heute noch mit seinen 90 Jahren so oft er kann. Seine Autobiografie ist der beste Beweis, dass er nach wie vor ein ganz besonderer Geschichtenerzähler ist. Warm, herzlich, mit einem Augenzwinkern und ehrlich beschreibt Max Kruse auf fast 600 Seiten sein Leben. Wenn Max Kruse heute seinen 90. Geburtstag feiert, dann blickt er auf ein erfülltes und bewegtes Leben zurück – und auf ein sehr erfolgreiches. Mehr als 50 Bücher hat er geschrieben, dazu unzählige Artikel, seine Werke sind knapp eine Million mal verkauft worden – weltweit. Und ganz aufhören und sein Arbeitszimmer für immer zuschließen? Daran denkt Max Kruse noch nicht.
"Ich bin ein großer Gegner davon, dass man mit 65 – kann man schon aufhören zu arbeiten, man muss ja auch zum Teil aufhören. Es ist ja auch zum Teil zu anstrengend, körperliche Arbeit – aber man sollte nicht aufhören sich zu interessieren, man sollte nicht aufhören, irgendein Hobby zu haben, irgendetwas, was einen beschäftigt. Man darf sich nicht hinsetzen und sich nur berieseln lassen – das ist der Tod."
Max Kruse: "Im Wandel der Zeit. Wie ich wurde, was ich bin"
Thienemann-Verlag, 2011
589 Seiten, 19,95 Euro