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Ursprung der Gemeinschaft

Verhaltensforschung. - Menschen sind Gesellschaftswesen par excellence: Familie, Freunde, Nachbarn - oder komplexer: Stämme oder Staaten, der Mensch ist ein durch und durch von der Gemeinschaft bestimmtes Wesen. Nur - wo liegen die evolutionären Wurzeln dieses Verhaltens? Ein neuer Ansatz wird heute in "Nature" präsentiert.

Von Dagmar Röhrlich |
    Forschungen zu Bienen und Vögeln haben bisher das Modell dafür geliefert, wie Primaten im Lauf ihrer Evolution von Einzelgängern zu sozialen Wesen geworden sind. Danach geschah dies schrittweise:

    "Zu einem einsamen Tier, das ganz auf sich selbst gestellt lebt, gesellt sich ein zweites. Die beiden bilden ein Paar, zu dem dann ein anderes Paar kommt, kleine Gruppen entstehen, wachsen, werden komplexer - und irgendwann hat man eine große soziale Gruppe","

    erklärt Susanne Shultz von der Oxford University. Sie und ihre Mitarbeiter sind inzwischen jedoch anderer Ansicht:

    ""Wir glauben, es ist so gewesen: Die Primaten sind abrupt vom Leben als Einzelgänger übergegangen zu größeren, nicht höher strukturierten Gruppen, zu 'einfachen' Herden also. Aus diesem Stadium heraus entwickelten sich später Strukturen wie Paarbeziehungen oder spezielle soziale Verbände wie Haremsgruppen oder Familien."

    Um zu dieser Schlussfolgerung zu kommen, hatten die Forscher zunächst in einer Literaturrecherche das Verhalten von 217 Primaten-Arten analysiert:

    "Wir haben uns also bei lebenden Primaten die Verteilung des Sozialverhaltens angeschaut und uns dann überlegt, wie unser jüngster gemeinsamer Vorfahr wohl am wahrscheinlichsten gelebt hat."

    Mit Hilfe von statistischen Methoden wollten die Forscher dann die Evolution des Verhaltens nachvollziehen. Weil nahe verwandte Arten ihre Gemeinschaften immer sehr ähnlich organisieren und zwar unabhängig von der Umwelt, müssten diese Strukturen vererbt sein. Das Ergebnis: Wahrscheinlich schlugen die Ahnen aller Menschenaffen, Makaken oder Paviane vor rund 52 Millionen Jahren den Weg in die Gruppe ein:

    "Wir haben dann untersucht, ob wir den Faktor identifizieren können, der sie sozusagen dazu gebracht hat. Am wahrscheinlichsten ist, dass unsere Primatenahnen diesen Übergang vollzogen, weil sie sich von der nachtaktiven Lebensweise auf die tagaktive verlegten. Danach entwickelte sich das Leben in Gemeinschaft, weil am Tag das Risiko steigt, gefressen zu werden und große Gruppen einen gewissen Schutz vor Räubern bieten."

    Später tauchten dann andere Formen des sozialen Zusammenlebens auf: Harems zum Beispiel erscheinen in der Entwicklungslinie der Stummelaffen und entstanden wahrscheinlich vor 16 Millionen Jahren. In der Linie der Gibbons gibt es Paarbeziehungen seit 8,6 Millionen Jahren, bei den Springaffen seit 4,5 Millionen Jahren. Shultz:

    "Während die Altweltaffen wie die Paviane, Gibbons oder auch die Menschenaffen ihre Lebensweise unabhängig von der Umwelt beibehalten, haben Menschen je nach Umwelt unterschiedliche Lebensstile - also unterschiedliche Sozialverhalten - entwickelt."

    Das gibt es bei den anderen Primaten nicht. Aber: Einmal zum Gruppenwesen geworden, kehrte kein Primat mehr ins Einzelgänger-Dasein zurück. Der Übergang von lockeren Verbänden zu Gruppen mit stabilen Beziehungen sei vielleicht der Schlüssel zur Entwicklung des kooperativen Sozialverhaltens der Menschenaffen und Menschen, vermutet Susanne Shultz.