Vor viereinhalb Milliarden Jahren entstand aus einer Wolke aus Gas und Staub die Erde. Erste verklumpte Brocken stießen immer wieder zusammen und wuchsen mit der Zeit. Nach wenigen Millionen Jahren schon war der feste Körper der Erde ausgebildet. Diese Erkenntnis ist bereits einige Jahrzehnte alt. Doch noch immer gibt es ein großes Rätsel, sagt die Geochemikerin María Isabel Varas-Reus von der Universität Tübingen.
"Wir wissen, dass die Erde aus Stoffen entstanden ist, die vergleichsweise trocken waren. Da gab es kaum Wasser und andere flüchtige Verbindungen. Dennoch haben wir heute Wasser und Leben auf der Erde. Das heißt, an einem bestimmten Punkt ihrer Geschichte müssen all diese flüchtigen Stoffe von außen zur Erde gelangt sein, damit sie bewohnbar wird."
Selen bringt Forscher auf die kosmische Spur
Kometen und verschiedene Asteroidengruppen kommen als Wasserlieferanten in Frage. Doch um eine dieser Quellen einwandfrei nachzuweisen, müsste es Gemeinsamkeiten zwischen dem Wasser im All und jenem auf der Erde geben. María Isabel Varas-Reus und ihre Kollegen sind der Lösung dieses Rätsels jetzt deutlich näher gekommen, indem sie Meteoriten aus dem All und Gesteine aus dem Erdmantel verglichen - allerdings nicht hinsichtlich des Wassers, sondern eines anderen flüchtigen Stoffes. Denn beide Gesteine enthalten ein Element, das Aufschluss über die Zeit der Erdentstehung geben kann, das bislang aber in niedrigen Konzentrationen nur schwer nachzuweisen war.
"Selen ist ein eisenliebendes Element. Schon zu Beginn der Erdentstehung muss das gesamte Selen im Erdmantel noch tiefer in den Kern gewandert sein, denn der besteht hauptsächlich aus Eisen. Dadurch muss der gesamte Erdmantel an Selen verarmt sein. Trotzdem finden wir heute noch Selen im Mantel. Die einzige Erklärung dafür ist, dass das Selen mit den Meteoriten auf die Erde kam, als die Entstehung des Erdkerns schon vorüber war."
Meteoriten als Wassertransporter
Mit einem Plasma-Massenspektrometer gelang es den Forschern nun, das Verhältnis verschiedener stabiler Isotope des Selen zu bestimmen. Diese Selenisotope sind eine Art Fingerabdruck: Von wo sie auch immer auf die Erde und in den Mantel gelangt sind – der Fingerabdruck dürfte sich seither kaum verändert haben. Denn Selen nimmt kaum an bekannten chemischen Reaktionen im Erdinneren teil.
"Nachdem wir auch die Werte für das Mantelgestein hatten, mussten wir nur noch das Verhältnis der Selenisotope mit Meteoriten aus dem All vergleichen. Und die einzige Signatur, die passte, stammte von einer Klasse von Meteoriten, die CI-Chondrite genannt werden. Bei denen war bereits klar, dass sie aus der äußeren Region des Sonnensystems stammen, irgendwo hinter dem Orbit von Jupiter."
Von dort brachten diese Meteoriten also viel Wasser zur Erde. Noch ist die Methode der Tübinger Forscher zwar völliges Neuland, winzige Mengen von Selenisotopen aus dem Erdmantel so genau zu bestimmen - und dürfte somit in der Fachwelt noch ausgiebig diskutiert werden. Die Ozeane der Erde kann das Ergebnis aber bereits zu großen Teilen erklären.
Lebensbausteine von schwarzen Brocken jenseits des Jupiters
"Wir haben ausgerechnet, wie viel anderes Material die CI-Chondrite zur Erde geliefert haben, weil wir sehr genau wissen, wieviel Selen sie enthalten. Laut dieser Bilanzrechnung kommen wir auf bis zu 60 Prozent des irdischen Wassers, logischerweise 100 Prozent des Selens und ebenso auf einen großen Anteil des Kohlenstoffs, den diese Chondrite geliefert haben."
Wenn sich die Ergebnisse der Geochemiker erhärten, käme auch das chemische Inventar aller Lebewesen inklusive der Menschen von unscheinbaren schwarzen Brocken irgendwo hinter der Jupiterbahn.