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Urteil des EuGH
Brok erwartet stärkere Handlungsfähigkeit der EU

EU-Parlamentarier Elmar Brok geht davon aus, dass der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die Klage Ungarns und der Slowakei gegen die Umverteilung von Flüchtlingen auf die EU-Staaten ablehnen wird. Über die Flüchtlingsfrage hinaus würde das bedeuten, dass Mehrheitsentscheidungen in der EU rechtens seien, sagte er im Dlf.

Elmar Brok im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Der Europa-Abgeordnete Elmar Brok während einer Tagung zum Thema Europa in Tutzing
    Der Europa-Abgeordnete Elmar Brok während einer Tagung zum Thema Europa in Tutzing (imago / Oryk Haist)
    Sarah Zerback: 2196 Flüchtlinge sollten Ungarn und die Slowakei zusammen aufnehmen – 2196 von insgesamt 120.000 Menschen, um die sich Italien und Griechenland ansonsten auch noch alleine kümmern müssten, die Länder, die nicht erst seit Beginn der Flüchtlingskrise 2015 besonders belastet sind, da sie nun mal am Mittelmeer liegen. Und so hat die EU damals beschlossen, wir sind solidarisch, Dublin-Verordnung hin oder her, und verteilen diese Menschen, die in Europa Schutz suchen, nach einer festgelegten Quote. Beschlossen wurde das allerdings nicht einstimmig, sondern gegen den Willen einiger nationalkonservativer Regierungen im Osten Europas, und so haben Ungarn und die Slowakei gegen die Quote rebelliert und geklagt. Ergebnis: Ungarn hat den europäischen Partnern keinen einzigen Flüchtling abgenommen, die Slowakei gerade mal 16, und was bei der Klage herauskommt, das entscheidet heute der Europäische Gerichtshof in Luxemburg.
    Zugehört hat Elmar Brok, dienstältester Abgeordneter im Europaparlament, und dort sitzt er für die CDU. Guten Morgen.
    Elmar Brok: Guten Morgen, Frau Zerback.
    Zerback: Herr Brok, kann man Solidarität erzwingen?
    Brok: Nein, man kann sie nicht erzwingen. Aber man muss sich auch an Regeln halten. Und ich glaube, über die Flüchtlingsfrage hinaus könnte das Urteil, wenn es so gefasst wird, wie der Generalanwalt dies vorgeschlagen hat, bedeuten, dass Mehrheitsentscheidungen machbar sind. Dies macht deutlich, dass in der Regel die Europäische Union heute mit Mehrheit entscheidet. Aber die Ausnahmen müssen festgelegt sein im Vertrag. Das ist die Änderung mit dem Vertrag von Lissabon. Und dieses Urteil könnte über diese Frage hinaus ein höheres Maß an Handlungsfähigkeit der Europäischen Union bedeuten.
    Zerback: Aber wir haben doch gerade in dem Bericht noch mal gehört, dass Viktor Orbán bereits im Vorfeld zu verstehen gegeben hat, dass er die Entscheidung des EuGH, so sie denn so ausfallen wird, nicht anerkennen wird. Was ist die dann wert?
    Urteil würde Klärung schaffen
    Brok: In dieser konkreten Frage mag es so sein und es ist ja auch so, dass die befristete Zeit ja auch praktisch schon ausgelaufen ist. Dieser Beschluss auf der Grundlage des Artikels 78, den Peter Kapern zitiert hat, bedeutet, dass das für zwei Jahre gemacht werden darf. Die zwei Jahre laufen jetzt schon aus. Deswegen wird es in dieser Sachfrage erst einmal keine dramatischen Veränderungen bedeuten, aber es schafft Klärung, dass in solchen Fragen der Notlagen hier Beschlüsse gefasst werden können, die wie in normalen Gesetzgebungsverfahren mit Mehrheit entschieden werden können, so dass daraus jetzt hoffentlich Mut entsteht, im Rat diesen Weg von Mehrheitsentscheidungen in dieser und in anderen Fragestellungen zu nutzen.
    Zerback: Diese Notlage, die Sie ansprechen, die wird ja weiter bestehen, auch wenn jetzt diese Frist Ende des Monats abläuft. Da die Visegrád-Staaten aber das Verteilungssystem ablehnen, weil es unwirksam ist – so ist ja die Begründung -, kann man ja sagen, es ist unwirksam, weil sie es ablehnen. Wie wollen Sie diesen Teufelskreis denn durchbrechen?
    Brok: Ich glaube, es muss in Verhandlungen festgelegt werden, in welcher Art und Weise sie sich beteiligen. Ich bin auch der Auffassung, dass sie sich entsprechend auch an den Kosten beteiligen.
    Zerback: In welcher Weise denn? Was schlagen Sie da vor?
    Brok: Man kann ja sagen, dass die Länder, die Flüchtlinge aufgenommen haben, um anderen in dieser Notlage zu helfen, Geld bekommen und dass diejenigen, die keinen aufgenommen haben, sich an dieser Finanzierung besonders beteiligen - das hat die Kommission auch mal vorgeschlagen – und dass man eine solche Lösung findet, wenn das politisch-gesellschaftlich in bestimmten Ländern nicht durchsetzbar ist, oder noch nicht durchsetzbar ist, hier Flüchtlinge stärker zu verteilen. Wir müssen ja sehen, dass in den früheren Comecon-Staaten Mittel- und Osteuropas Fremdes als Gefährliches angesehen wird. Man kennt keine Fremden und deswegen ist man dagegen. Das ist ja auch eine Situation, die wir in Deutschland in der einen oder anderen Gegend beobachten können, und dass wir versuchen müssen, auf dieser Grundlage entsprechend weiterzukommen, um das gerechter zu gestalten.
    Zerback: Dazu muss man ergänzen, dass auch Deutschland da seinen Verpflichtungen noch nicht komplett nachgekommen ist. Auch da sind erst knapp 7000 von 27.000 Flüchtlingen aufgenommen aus diesem Kontingent. Warum denn nicht? Sollte Deutschland da nicht mit gutem Beispiel vorangehen?
    Brok: Das Verfahren ist wie es ist. Es hat nicht funktioniert, weil bestimmte Länder nicht mitgemacht haben.
    "Deutschland hat sich vorbildlich verhalten"
    Zerback: Deutschland auch nicht.
    Brok: Im Übrigen muss man sagen, dass Deutschland ja unabhängig von diesen Quoten sehr viel mehr aufgenommen hat in den Jahren 2015 und 2016, so dass man Deutschland schwerlich vorwerfen kann, es hätte bei der Aufnahme der Flüchtlinge nicht entsprechend mitgemacht. Länder wie Deutschland, Schweden und andere haben sich ja, glaube ich, in der Zeit vorbildlich verhalten.
    Zerback: Das mag stimmen, Herr Brok. Aber wir sprechen ja eventuell auch von einem Vorbildcharakter, wenn Deutschland da jetzt auch voranprescht und sagt, die anderen müssen nachziehen. Sie haben gerade darüber gesprochen, dass man da sonst ans Portemonnaie gehen müsste. Da gibt es ja konkrete Vorschläge. Im Gespräch waren da teilweise bis zu 250.000 Euro pro nicht aufgenommenem Flüchtling. Für Polen würde das heißen 1,5 Milliarden Euro. Gehen Sie da mit?
    Brok: Ich will mich jetzt nicht auf Zahlen einlassen im Einzelnen. Allerdings müssen diese Länder verstehen, dass dies eine von außen kommende Notlage ist, auf die man gemeinsam reagieren sollte. Es gibt ja andere Fragen, wo Ungarn, Polen und andere Länder gerne die europäische Unterstützung brauchen. Deswegen muss man hier, glaube ich, sehr viel deutlicher auch zum Ausdruck bringen, ohne jetzt aufgrund des Urteils triumphalistisch zu sein, dass solche Länder …
    Zerback: … das ja noch nicht gesprochen wurde.
    Brok: Bitte?
    Zerback: … das ja auch noch nicht gesprochen wurde.
    Brok: Nein, nein! Aber man muss ja aufpassen. Man darf jetzt nicht sagen, jetzt hat man die Leute gepackt, und darf das nicht ausnutzen, sondern man muss versuchen, auf der Grundlage dieses heute zu erwartenden Urteils doch hier neue Dialoge in solchen Ländern zu führen, um hier zu einer Verbesserung der Situation zu kommen.
    "Wir müssen dafür Sorge tragen, dass Menschen nicht im Meer ertrinken"
    Zerback: Muss Ungarn da als Sündenbock dafür herhalten, dass die EU die Flüchtlingsfrage nicht in den Griff bekommt?
    Brok: Nein. Ich glaube, die Probleme sind sehr umfangreich, die mit den Ursachen zu tun haben, die mit den Kontrollen an den Außengrenzen zu tun haben und manche mehr. Es ist ja weitgehend unter Kontrolle. Es ist heute – und das waren ja vor allen Dingen damals die Flüchtlinge, die aus der Türkei kamen – so, dass in dem Herbst pro Tag zehn, 15.000 kamen. Heute sind es nach der Vereinbarung mit der Türkei 50 pro Tag. Das Problem ist jetzt die Mittelmeer-Route von Libyen aus, aber auch dort scheint man, das ja ein Stückchen mehr in den Griff zu bekommen, so dass da schon einiges passiert ist. Aber wir sind natürlich immer in der Situation, wenn Menschen Asylbewerber sind, muss man ihnen eine echte Chance geben und man muss internationales Recht bewahren. Das Asylrecht ist ein individuelles Recht. Wir müssen dafür Sorge tragen, dass Menschen, die in Not sind, nicht im Meer ertrinken.
    Zerback: Lassen Sie uns vielleicht noch einmal vom Meer weggehen und noch mal Richtung Osten gucken. Weil selbst wenn Ungarn jetzt das Urteil anerkennt und sagt, wir lenken ein, ist es doch so, dass Deutschland im Moment gar keine Flüchtlinge mehr nach Ungarn ausweist, wegen der rechtlich unsicheren Bedingungen. Ist das also Makulatur?
    Brok: Es ist so, dass die Zustände in Ungarn in den Lagern so sind, dass man schlecht Menschen dorthin ausweisen kann. Ich glaube aber auch, dies gehört zu dem Prozess, dass man Ungarn bewegen muss. Aber ich glaube, das Entscheidende in diesem Punkt ist: Orbán muss akzeptieren, auch vor der eigenen Bevölkerung, dass er sich rechtswidrig verhalten hat. Es kommt eines zum anderen und dieses wird neue Möglichkeiten des Gesprächs und außer dem Gespräch auch des Drucks erhöhen, um in dieser und anderen Fragen Mehrheitsentscheidungen zielgerichtet einzusetzen. Die Anwendung von Mehrheitsentscheidungen, die Durchsetzung ist natürlich in einem föderalen System immer von großer Schwierigkeit. Ich möchte daran erinnern, dass es beispielsweise vier Beschlüsse des Landesverfassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen gibt, dass Nordrhein-Westfalen einen verfassungswidrigen Haushalt hat. Das ist nie direkt umgesetzt worden. Das ist ein ganz großes Problem in föderalen Systemen: Wie kann man Beschlüsse, wie kann man Gerichtsurteile in der Praxis umsetzen und durchsetzen.
    Zerback: Was wäre denn Ihr konkreter Vorschlag? Martin Schulz hat ja zum Beispiel gesagt, man könnte die Flüchtlingsfrage direkt mit Haushaltsfragen verknüpfen. Bei der Verteilung von EU-Geld soll dann schlechter gestellt werden. Ziehen Sie da mit?
    Brok: Das kann nicht unmittelbar gemacht werden, weil das zwei unterschiedliche Dinge sind. Aber ich bin davon überzeugt, dass wir bei den gegenwärtigen Beratungen für die neuen Haushalte ab 2020, auch ohne Großbritannien, solche Spielräume stärker einbauen müssen, dass in Zukunft es rechtliche Möglichkeiten gibt, dass auf die Art und Weise, wenn Länder sich an rechtlich verbindliche Beschlüsse nicht halten, die sogar von Gerichtsurteilen untermauert sind, dass sie dann auf andere Art und Weise sich an der Solidarität beteiligen müssen und man deswegen dann weniger Geld etwa in der Strukturpolitik gibt.
    Zerback: … sagt Elmar Brok, Mitglied der EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Herzlichen Dank für das Interview heute Morgen, Herr Brok.
    Brok: Ich danke Ihnen, Frau Zerback.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.