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Urteil zu EZB-Anleihekäufen
"Die Unabhängigkeit der EZB hochhalten"

Das Bundesverfassungsgericht hat Staatsanleihenkäufe der Europäischen Zentralbank beanstandet. Die Bank hat drei Monate Zeit, die Verhältnismäßigkeit zu belegen. Man werde nun genau hinschauen, ob die geldpolitischen Maßnahmen nicht doch heimlich Wirtschaftspolitik seien, sagte Lothar Binding (SPD) im Dlf.

Lothar Binding im Gespräch mit Stefan Heinlein |
    Der SPD-Abgeordnete Lothar Binding spricht im Bundestag während der Haushaltsdebatte
    Lothar Binding ist finanzpolitische Sprecher der SPD Bundestagsfraktion (dpa / picture alliance / Sebastian Gollnow)
    Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat die Billionen schweren Aufkäufe von Staatsanleihen der Euro-Länder durch die Notenbank als teilweise verfassungswidrig eingestuft. Erstmals in seiner Geschichte hat das höchste deutsche Gericht sich gegen den Europäischen Gerichtshof gestellt und erklärt, dass das von den europäischen Richtern für rechtens erachtete Aufkaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) teilweise gegen das deutsche Grundgesetz verstößt, die Bundesbank darf sich nur unter bestimmten Bedingungen weiter daran beteiligen.
    Die Karlsruher Richter rügen die Bundesregierung und das Parlament, dass sie das Aufkaufprogramm in der Eurozone stärker hätten überprüfen müssen. Und sie verlangen von der EZB, dass sie ähnliche Maßnahmen in der Zukunft auf ihre Verhältnismäßigkeit hin abklopft. Die Europäische Zentralbank will aber auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Anleihekäufen an ihrem Kurs festhalten.
    Totale des Gebäudes der Europäischen Zentralbank von unten, im Vordergrund ein Schild, worauf "European Central Bank / Eurosystem" zu lesen steht
    Urteil des Bundesverfassungsgerichts - Was Sie über den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB wissen müssenDas Bundesverfassungsgericht hat das Anleihekaufprogramm der EZB namens PSPP für teilweise verfassungswidrig befunden. Das aktuelle Corona-Programm der Notenbank bleibt davon aber unberührt. Ein Überblick.
    Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Lothar Binding, empfindet das Urteil aus Karlsruhe nicht als Ohrfeige. Bundestag und Bundesregierung seien jetzt gehalten, zu schauen was die Bundesbank macht. "Das haben wir aber bisher auch schon gemacht", sagte er im Dlf. Es gehe Letzen Endes um den zentralen Begriff der Verhältnismäßigkeit und darum, zu schauen, ob die geldpolitischen Maßnahmen der EZB nicht doch heimlich Wirtschaftspolitik sei.
    "Das kann man nicht ohne weiteres messen"
    Das könne man im Zweifelsfall auch umdrehen, sagte Binding: Bisher habe es immer den Vorwurf gegeben, die EZB würde heimlich Wirtschaftspolitik machen und jetzt kommt plötzlich das Gericht und sagt, die wirtschaftspolitischen Konsequenzen der Geldpolitik seien nicht hinreichend beachtet, sagte er.
    Mit Blick auf die Frage, ob die Abgeordneten damals zu leichtfertig grünes Licht für die Anleihekäufe gegeben hätten sagte er, dass das eine qualitative Abwägungsfrage gewesen wäre. "Das kann man nicht ohne weiteres messen."
    Hat Karlsruhe Kompetenzen überschritten?
    Es geht um die Summe von 2,6 Billionen, die zwischen in Staatsanleihen und anderes gesteckt wurde. Er sei sich nicht sicher, ob das rechtlich auf wackligen Füßen stehe. "Wir haben dieses Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, also wir geben Kompetenzen nach Europa ab. Und dann ist jetzt die Frage, ob die europäischen Organe, ob die europäischen Rechtsakte sozusagen als kompetenzwidrig behauptet werden. Das macht im Moment das Bundesverfassungsgericht."
    Daher wolle er die Frage äußern, ob nicht das Gericht gerade selbst Kompetenzen überschreitet, denn es erhebe sich auch darüber, über die Urteile des EUGH zu urteilen. "Das muss man nochmal untersuchen." Die Kompetenzfrage sei aber wichtig, damit die Zuständigkeiten eingehalten werden.
    Unabhängigkeit der EZB hochhalten
    Es sei wichtig, die Unabhängigkeit der EZB hochzuhalten. "Wir werden aber genau hinschauen, ob geldpolitische und wirtschaftspolitischen Maßnahmen ordentlich gegeneinander abgewogen werden. Und die Idee jemanden aufzufordern, genauer hinzuschauen, ist im Prinzip immer richtig."
    Die EZB hat jetzt drei Monate Zeit, die Verhältnismäßigkeit zu belegen – und Binding geht auch davon aus, dass ihr das gelingt. Die Programme würden nicht gestoppt, sie könnten erstmal weiterlaufen. Die EZB könnte durch diesen Prozess auch transparenter werden, sagt er.
    "Und die aktuellen Programme sind davon nicht betroffen, insofern, alles, was rund um Corona passiert, auch diese 500 Milliarden, die Europa in den Blick genommen hat, das dient alles der Hilfe Deutschlands und Europas."
    Coronavirus
    Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)

    Das gesamte Interview lesen Sie hier:
    Heinlein: Wie sehr schmerzt Sie die Ohrfeige aus Karlsruhe?
    Binding: Ich empfinde das zunächst nicht als Ohrfeige, weil die größte Sorge, die man haben konnte, war ja, dass es sich um eine verbotene Staatsfinanzierung handelt, und das hat ja das Gericht zunächst bestätigt. Ansonsten ist jetzt auch der Bundestag und die Bundesregierung gehalten zu schauen, was die Bundesbank macht. Das haben wir aber bisher auch schon gemacht. Es geht ja letztendlich darum, um diesen zentralen Begriff der Verhältnismäßigkeit, ob die geldpolitischen Maßnahmen der EZB nicht doch heimlich Wirtschaftspolitik seien. Und na ja, das kann man im Zweifelsfall herumdrehen. Bisher gab es ja immer den Vorwurf, die EZB würde heimlich Wirtschaftspolitik machen, und jetzt kommt plötzlich das Gericht und sagt, die wirtschaftspolitischen Konsequenzen der Geldpolitik seien nicht hinreichend beachtet. Insofern hat das Urteil durchaus zwei Seiten. Wir dürfen gespannt sein, wie es sich weiterentwickelt.
    "Das hört sich ja fast nach SPD-Politik an"
    Heinlein: Wenn es keine Ohrfeige ist, wie Sie sagen, Herr Binding, ist es zumindest eine Rüge auch an die Adresse der Bundesregierung und des Bundestages? Es heißt ja im Urteil, das Parlament hätte damals, die Abgeordneten hätten damals zu leichtfertig grünes Licht für die Anleihekäufe gegeben.
    Binding: Ich glaube, das ist tatsächlich eine qualitative Abwägungsfrage. Das kann man ja nicht ohne weiteres messen. Und ich habe auch gehört, dass die Richter sich auf spezielle Konsequenzen zum Beispiel in Bezug auf die Zinsen geäußert haben und dort aber nur die eine Hälfte der Medaille anschauen, die eine Seite. Sie sprechen von Aktionären, Sparern und Mietern. Das hört sich ja fast nach SPD-Politik an. Aber es gibt ja auch die andere Seite, dass der Staat natürlich über die gesenkten Zinsen sehr viel Geld spart, und der Staat sind ja Aktionäre, Sparer und Mieter erneut. Insofern: Wenn man beide Seiten betrachtet, kann man sagen, das Urteil lässt noch viel offen, und auch in der Begründung der Verhältnismäßigkeit kann man sicher sehr schön erklären, warum das jetzige Programm sinnvoll für Europa war.
    Heinlein: Es geht ja tatsächlich um die gigantische Summe von rund 2,6 Billionen Euro, die zwischen 2015 und _18 in Staatsanleihen und andere Papiere gesteckt wurden. Wird Ihnen da im Nachhinein mulmig als politisch Mitverantwortlicher, wenn das jetzt rechtlich auf einem wackeligen Fundament steht? So zumindest ja die Meinung aus Karlsruhe.
    Binding: Ich bin da nicht ganz sicher, ob es rechtlich auf wackeligen Füßen steht. Wir haben ja dieses Prinzip – wir nennen das das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung. Wir geben Kompetenzen nach Europa ab und jetzt ist dann die Frage, ob die europäischen Organe, ob die europäischen Rechtsakte als kompetenzwidrig behauptet werden. Das macht im Moment das Bundesverfassungsgericht. Da ist auch die Frage, ob nicht das Gericht selbst Kompetenzen überschreitet, denn es erhebt sich ja auch darüber, über die Urteile des EuGH zu urteilen. Das muss man, glaube ich, dann doch noch mal genauer untersuchen.
    Bei großen Zahlen – na ja, es kann einem schwindelig werden, wenn man ansonsten mit kleinen Zahlen umgeht. Die Bilanzsumme der EZB liegt ungefähr bei sechs Billionen. Die war schon immer so, irgendwie vier bis fünf Billionen, mal drei Billionen. Die Bilanzsumme der EZB schwankt stark – sicherlich eine Aufgabe, die langfristig wieder etwas niedriger einzujustieren, aber schwindelig wird mir nicht.
    "Es wird sicherlich darum gehen, die Details zu verstehen"
    Heinlein: Sie stellen die Frage, Herr Binding, ob nicht auch Karlsruhe, das Bundesverfassungsgericht jetzt mit diesem Urteil die Kompetenzen überschreitet. Ist tatsächlich jetzt die Gefahr, dass nationales Recht in dieser Frage, in dieser wichtigen finanzpolitischen Frage europäisches Recht bricht?
    Binding: Ich bin deshalb so empfindlich an dieser Stelle, weil wenn man die Kommentare aus Ungarn und Polen hört, dann sind die durchaus positiv und sagen, ja, seht mal, wenn Deutschland das auch so ähnlich sieht, wie wir das sehen, dann halte ich das für keine gute Entwicklung. Wir müssen schon schauen, dass die einzelnen Zuständigkeiten – insofern ist die Kompetenzfrage auch wichtig -, dass die einzelnen Zuständigkeiten eingehalten werden.
    Aber ich wollte wenigstens diese Frage stellen, damit das nicht so absolut daher kommt, dieses Urteil, aber ich habe es natürlich auch jetzt nur das erste Mal überflogen, nicht das gesamte Urteil gelesen. Es wird sicherlich darum gehen, die Details zu verstehen. Aber wenigstens diese Frage wollte ich gestellt haben.
    Die Verhältnismäßigkeit ist ja eigentlich eine materielle Frage
    Heinlein: Aber Sie stellen sich sicherlich jetzt auch schon die Frage, Herr Binding, welche Konsequenzen dieses Urteil für die künftige Arbeit der EZB, der Europäischen Zentralbank haben wird. Wird es schwieriger werden, den Euro zu stützen im Krisenfall, der ja vielleicht recht bald kommen wird?
    Binding: Eins wird sicher sein, dass wir die Unabhängigkeit der EZB – das war ja speziell auch auf deutsches Betreiben, natürlich um sie so ähnlich zu installieren wie die Bundesbank früher -, die Unabhängigkeit wollen wir sicherlich hochhalten. Aber wir werden genau hinschauen, ob die geldpolitischen und die wirtschaftspolitischen Maßnahmen ordentlich gegeneinander abgewogen werden. Und die Idee, jemand aufzufordern, genauer hinzuschauen, die ist im Prinzip immer richtig. Wenn da jemand einen Anlass findet, ist das sehr gut.
    Es ist insofern vielleicht auch noch eine Besonderheit: Die Verhältnismäßigkeit ist ja eigentlich eine materielle Frage. Aber plötzlich hat das Gericht gar keine materielle Frage mehr gestellt, sondern die Kompetenzfrage. Da sieht man: Das Gericht selber war sich noch nicht ganz sicher, in welche Richtung die Argumentation läuft. Deshalb bin ich insgesamt optimistisch, dass die EZB das jetzt seriös begründen wird, und es ist ja auch nicht so, dass jetzt hier Programme gestoppt werden. Sie können weitergehen. Drei Monate Zeit sind gegeben. Und die aktuellen Programme sind davon gar nicht betroffen. Insofern: Alles, was jetzt rund um Corona passiert, auch diese 500 Milliarden, die jetzt Europa in den Blick genommen hat, das dient ja alles der Hilfe Deutschlands, der Hilfe Europas, denn wir brauchen die anderen Länder, so wie sie uns brauchen. Deshalb bin ich da ganz zuversichtlich.
    "Ich bin optimistisch, dass die EZB das leisten kann"
    Heinlein: Sie sagen es mit Recht: Das Bundesverfassungsgericht hat Regierung und Parlament und damit auch Ihnen als Parlamentarier, Herr Binding, Hausaufgaben gegeben. Drei Monate hat man Zeit, auf die EZB einzuwirken, diese Verhältnismäßigkeit, die Sie angesprochen haben, der Anleihekäufe zu belegen. Wird diese Zeit ausreichen? Sie klangen gerade sehr optimistisch.
    Binding: Ja, ich glaube, das wird ausreichen. Vielleicht mit dem Begriff Einwirken bin ich ein bisschen vorsichtig, weil mir die Unabhängigkeit der EZB noch wichtig ist. Aber ich bin optimistisch, dass die EZB das leisten kann, und es findet ja ein permanenter Dialog zwischen den Ländern, zwischen den einzelnen Organen, auch zwischen den Nationalbanken und der EZB statt. Ich glaube, der Dialog in Europa ist so stark, dass diese Aufgabe leicht zu lösen ist.
    Heinlein: Wenn es gut läuft, Herr Binding, wird die EZB künftig in ihren Entscheidungen transparenter werden?
    Binding: Das denke ich auch, und das ist ja auch ein gutes Ziel, Transparenz.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.