Das Recht der Öffentlichkeit, im Internet archivierte Informationen abrufen zu können, überwiege das Recht auf Vergessen verurteilter Straftäter, urteilten die Richter in Straßburg. Es sei nicht gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, also das Recht auf Achtung des Privatlebens, verstoßen worden, hieß es weiter in dem Urteil.
Andere Situation als beim Lebach-Urteil
Grundsätzlich gebe es ein Recht auf Resozialisierung, sagte Gudula Geuther, Korrespondentin für Innen- und Rechtspolitik im Deutschlandfunk, im Gespräch mit @mediasres. Im sogenannten Lebach-Urteil habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) 1973 klargestellt, "auch die Pressefreiheit rechtfertigt es nicht, einen Täter immer wieder ins Licht der Öffentlichkeit zu zerren, indem in Medien Namen genannt und Gesichter abgebildet werden, wenn das öffentliche Interesse eigentlich längst erloschen ist und sich die Menschen nach verbüßter Haft ein neues Leben aufbauen wollen". Anders als im aktuellen Straßburger Fall sei es aber im Lebach-Urteil um damals aktuelle Berichterstattung lange nach der Tat gegangen.
1969 waren am Bundeswehrstandort Lebach Soldaten getötet worden. Drei Jahre später ging ein Mittäter gerichtlich gegen ein Fernsehspiel im ZDF über die Vorgänge vor. Das BVerfG untersagte in einer einstweiligen Anordnung eine Ausstrahlung. Das Urteil gilt bis heute als Grundsatzurteil zum Verhältnis von Rundfunkfreiheit und Persönlichkeitsrecht.
Die Frage der Pressefreiheit hätte im aktuellen Fall eine entscheidende Rolle gespielt, sagte Geuther. Die Richter in Straßburg hätten vor einer abschreckenden Wirkung gewarnt, auch hinsichtlich einer "Vorwirkung": Dass Journalisten nur deshalb Namen in aktueller Berichterstattung nicht nennen könnten, damit es später kein Problem mit den Archiven gibt.
Kein Verstoß gegen ethische Normen
Die Beschwerde der Mörder von Walter Sedlmayr richtete sich gegen eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2009. Der BGH hatte damals Unterlassungsklagen gegen den "Spiegel", den "Mannheimer Morgen" und das "Deutschlandradio" abgewiesen. Auf deren Webseiten konnten Internetnutzer archivierte Artikel oder Beiträge einsehen, in denen die Namen der Mörder genannt oder Bilder von ihnen gezeigt wurden. Die beiden Beschwerdeführer sahen dadurch ihr Menschenrecht auf Achtung des Privatlebens verletzt.
Dieser Argumentation folgten die Straßburger Richter nicht. Die Pressefreiheit erlaube es Journalisten, selbst zu entscheiden, welche Details sie veröffentlichen - zumal dann, wenn wie beim Mord an Sedlmayr ein großes öffentliches Interesse bestehe, urteilten sie.
Bedingung dafür sei, dass die Medien nicht gegen ethische Normen verstoßen. Zweifel an der Wahrhaftigkeit der betreffenden Texte gebe es nicht. Auch seien die Beiträge nur beschränkt für Leser zugänglich gewesen; ein Teil verbarg sich hinter einer Paywall, ein anderer war Abonnenten vorbehalten. Die Männer hätten außerdem einst selbst Medien um Berichterstattung in eigener Sache gebeten.
Die beiden Beschwerdeführer waren im Mai 1993 wegen des Mordes an Walter Sedlmayr zu lebenslanger Haft verurteilt worden. In den Jahren 2007 und 2008 wurden sie aus der Haft entlassen.