Ute Meyer: Über das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg möchte ich jetzt mit Wolfgang Irrek sprechen. Er ist Professor für Energiesysteme und Energiewirtschaft an der Hochschule Ruhr-West in Bottrop. Herr Professor Irrek, die Energiekonzerne haben Anspruch auf Entschädigung, zumindest in Grenzen. Doch insgesamt war der Atomausstieg rechtens, sagt das Bundesverfassungsgericht. Haben Sie mit einem solchen Urteil aus Karlsruhe gerechnet?
Wolfgang Irrek: Im Grunde ja. Ich habe mit einem solchen Urteil gerechnet, weil letztlich zu erwarten war, dass das Primat der Politik bestätigt wird, dass die Politik Leitplanken für die Wirtschaft setzen kann und aus Sicherheitsgründen beispielsweise hier auch die Laufzeit der Atomkraftwerke begrenzen kann.
Meyer: Entschädigungszahlungen fallen aber an, und wie hoch die ausfallen werden, ist noch gar nicht klar. Vorher muss ausgerechnet werden, wie hoch die Verluste sind. Lässt sich so was überhaupt ausrechnen?
Irrek: Ja, ich habe das mal für mich grob abgeschätzt. Denn was das Bundesverfassungsgericht im Detail sagt ist ja, dass im Grunde die Bundesregierung den Kernkraftwerken erlaubt hat, bis zum Ende einer etwa 32-jährigen Nutzungsdauer die Kraftwerke laufen zu lassen. In dieser Zeit hätten sich die Kraftwerke amortisiert und auch einen angemessenen Gewinn erzielt. Und es geht deswegen nur um Entschädigungszahlungen für Reststrommengen von zwei Kraftwerken, wo gesagt wird, dass RWE und Vattenfall hier keine Möglichkeit hätten, hier anderweitig einen Ausgleich konzernintern zu bekommen. Und wenn man das mal hochrechnet, was dort an Gigawattstunden im Bundesverfassungsgerichtsurteil angeführt wird und das mal ungefähr bewertet mit Preisen der letzten Jahre und Brennstoffkosten, dann kommt man auf einige hundert Millionen Euro. Ich schätze mal, so um die 500 bis 600 Millionen Euro jeweils für RWE und Vattenfall, die das maximal sein dürften.
"Im Zweifelsfall muss man vor den Zivilgerichten entsprechende Einigungen erzielen"
Meyer: 500 bis 600 Millionen Euro jeweils für beide Energiekonzerne? Wir sprechen ungefähr von einer Milliarde Euro, die Sie schätzen?
Irrek: Ja, maximal.
Meyer: Maximal. - Das ist aber ja sehr interpretationsbedürftig beziehungsweise man hört ja auch bei Ihnen raus, es ist abzuschätzen. Sind da Streitigkeiten über die Summen, die das ausmacht und die dann vor Gericht verhandelt werden können, nicht programmiert?
Irrek: Ja, sicher muss man darüber verhandeln und muss darüber letztlich im Zweifelsfall dann vor den Zivilgerichten entsprechende Einigungen erzielen. Aber da wird es diese und jene Gutachten dann sicherlich dazu geben und irgendwann wird dann eine Entscheidung getroffen werden, und das wird sicherlich dann angemessen sein.
Meyer: In den Monaten vor Fukushima durften die Energiekonzerne davon ausgehen, dass die Laufzeiten der Kraftwerke verlängert werden unter der schwarz-gelben Bundesregierung, und für Investitionen in diesen paar Monaten sind auch Entschädigungen fällig. Ganz konkret vier Monate sind betroffen von Dezember 2010 bis März 2011. Ist es überhaupt glaubhaft, dass in dieser Zeit Investitionen getätigt wurden?
Irrek: Ich will es nicht ausschließen, dass auch in dieser Zeit Investitionen getätigt wurden im Vertrauen darauf, dass die Laufzeiten verlängert wurden, und man dann gesehen hat, okay, damit diese Kraftwerke auch länger laufen können, muss das eine oder andere investiert werden. Aber natürlich hat jede Investition auch eine Vorlaufzeit, und viel kann das eigentlich nicht sein, was dort dann investiert worden ist in dieser kurzen Zeit.
Meyer: Angesichts dieser Entschädigungen, die auf die Bundesregierung zukommen, wie werden die finanziert? Eventuell mit einer erhöhten Ökostrom-Zulage?
Irrek: Nein. Erst einmal muss natürlich das allgemein aus dem Bundeshaushalt finanziert werden. Ich denke, man sollte jetzt hier auch nicht verschiedene Dinge vermischen. Eine weitere planbare Erhöhung der Ökosteuer ist sicherlich eine andere Geschichte, mit der man vielleicht weitere Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen anreizen kann, wenn dies planbar über mehrere Jahre hinweg gestaltet wird. Das würde ich jetzt auch politisch hier ganz getrennt davon sehen.
Meyer: Die Entschädigungen müssen auch nicht unbedingt Geld sein, sondern können auch mit längeren Laufzeiten abgegolten werden. Ist es wahrscheinlich, dass bestimmte Atomkraftwerke dann längere Laufzeiten erhalten? Was denken Sie?
Irrek: Ich kann mir das eigentlich nicht vorstellen. Es ist mühsam ja um die Begrenzung der Laufzeiten gerungen worden, und wir haben so viele Großrisiken, die mit dem Weiterlaufen der Kernkraftwerke verbunden sind. Und je älter die Kernkraftwerke werden, umso höher werden eigentlich die Risiken, dass etwas passiert. Von daher würde ich davon sehr stark abraten.
"Die Verlängerung der Laufzeiten 2010, das war sicherlich ein Fehler, den man nicht hätte machen sollen"
Meyer: Oppositionspolitiker haben sich heute schon zu Wort gemeldet und beklagt, dass letztlich die Verbraucher für die Verlängerung der Laufzeiten unter Schwarz-Gelb bezahlen werden. Können Sie diese Kritik der Opposition im Bundestag nachvollziehen?
Irrek: Es ist sicherlich richtig, dass die Verlängerung der Laufzeiten 2010, das war sicherlich ein Fehler, den man nicht hätte machen sollen. Aber dass die Politik Leitplanken setzt und hier die Laufzeiten der Kernkraftwerke begrenzt, das ist durchaus legitim und im Sinne der Verringerung von Großrisiken auf jeden Fall absolut notwendig.
Meyer: Ist dieses Urteil ein gutes Signal für den Energiemarkt der Zukunft in Deutschland?
Irrek: Ich denke, das Urteil ist ein sehr gutes Signal für den Energiemarkt der Zukunft, da hier jetzt klar ist, dass hier keine Enteignung stattgefunden hat, dass wir wirklich hier auslaufen mit den Kernkraftwerken und das Primat der Politik bestätigt wurde, Leitplanken auch für die zukünftige Energieversorgung zu setzen.
Meyer: Professor Wolfgang Irrek war das, Energieexperte von der Hochschule Ruhr-West in Bottrop. Das Interview habe ich vor der Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.